S&D-Vorsitzende García Pérez: „Weber muss eine klare Aussage treffen“
„Die kommenden Europawahlen werden entscheidend sein“, sagt die Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokrat*innen im Europaparlament, Iratxe García Peréz. Mit Blick auf eine mögliche Zusammenarbeit zwischen Konservativen und rechten Kräften im Parlament macht sie eine klare Ansage.
Dirk Bleicker
S&D-Vorsitzende Iratxe García Pérez: "Wir wollen die pro-europäische Koalition erhalten."
Es sind nur noch wenige Wochen bis zu den Europawahlen im Juni. Welche Gesetzesvorhaben sollten bis dahin noch abgeschlossen werden?
Mir ist hier vor allem ein Thema besonders wichtig, über das in der letzten Plenarsitzung abgestimmt werden soll: die Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Das wird die letzte Abstimmung der aktuellen Legislaturperiode sein. Uns ist es wichtig, ein Zeichen zu setzen, dass wir als Progressive und als Sozialdemokrat*innen die Rechte von Frauen in den vergangenen Jahren nachhaltig gestärkt haben. Erinnern wir uns an den Anfang der Legislaturperiode zurück: Als es darum ging, ob Ursula von der Leyen Präsidentin der EU-Kommission werden soll, haben wir unsere Unterstützung an klare Bedingungen geknüpft. Dazu gehörte auch die Stärkung von Frauenrechten durch eine EU-Richtlinie zu geschlechtsbasierter Gewalt. Nun können wir endlich sagen, dass diese Richtlinie dank uns Sozialdemokrat*innen Realität wird – und darauf können wir stolz sein. Es ist doch nicht zu fassen, dass heutzutage in Europa Frauen einzig und allein deshalb umgebracht werden, weil sie Frauen sind. Deshalb ist mir diese letzte Abstimmung so wichtig.
Viele Menschen haben Angst, dass Parteien der extremen Rechten bei den Wahlen im Juni stark an Stimmen dazu gewinnen könnten. Teilen Sie diese Angst? Und sollte es wirklich so weit kommen – was würde sich dann im EU-Parlament verändern?
Die kommenden Europawahlen werden entscheidend sein. Die Bürger*innen müssen begreifen, dass sie darüber abstimmen, in welchem Europa sie leben werden. Sie haben die Wahl zwischen denen, die die Europäische Union zerstören wollen, oder denjenigen, die Europa stärken wollen. Natürlich ist das derzeitige Erstarken rechter Kräfte ein empfindliches Thema auf europäischer, aber auch auf nationaler Ebene. Die traditionelle Koalition aus Konservativen, Liberalen und Sozialdemokraten ist Teil der Geschichte der Europäischen Union. Nun ist diese Koalition aber gefährdet, weil die konservative EVP die Option einer Koalition mit der extremen Rechten in Erwägung zieht. Das ist eine reelle Gefahr für die EU, denn eine solche Koalition will die gemeinsamen Werte und die europäische Gemeinschaft zerstören. Es gibt bereits viele Beispiele dafür – in meinem Heimatland Spanien relativiert die Koalition aus EVP und der rechtspopulistischen Vox-Partei beispielsweise die Verbrechen der Franco-Diktatur. Das ist absolut inakzeptabel. In Deutschland zeigt die AfD ja ähnliche Bestrebungen. Das ist ein klares Signal. Die extreme Rechte ist sehr koordiniert – es geht ihnen in verschiedenen Ländern immer um ähnliche Themen. Aber die Sozialdemokrat*innen werden diejenigen sein, die dem auf europäischer Ebene ein Ende setzen. Unsere Grenze ist klar: Es wird keinerlei Zusammenarbeit zwischen Sozialdemokrat*innen und der extremen Rechten geben – also weder mit der Fraktion Identität und Demokratie (ID) noch mit der Fraktion Europäischer Konservativer und Reformer (EKR). Die EVP grenzt sich hier nicht deutlich genug ab und ist sehr widersprüchlich in ihren Aussagen.
Iratxe García Pérez
Manfred Weber hat sich, ohne mit der Wimper zu zucken, mit Giorgia Meloni in Italien getroffen.
Sie denken, die EVP würde eine Koalition mit der extremen Rechten in Erwägung ziehen – was sehen Sie hierfür für Anzeichen?
Es gibt auf verschiedenen Ebenen eindeutige Zeichen dafür. Auf der nationalen Ebene gibt es bereits Zusammenarbeit zwischen der EVP und rechten Kräften in Italien, Schweden und Finnland. Auf der regionalen Ebene auch in Spanien. Aber auch im Europäischen Parlament gab es bereits Zusammenarbeit. In bestimmten Anliegen hat die EVP beispielsweise gemeinsam mit der ID und der EKR abgestimmt. So wird die Tür nach rechts geöffnet. Im Moment sind wir trotzdem gemeinsam mit den Liberalen, den Grünen und den Linken noch in der Mehrheit. Aber für die nächste Legislaturperiode muss sich unsere Position verbessern – denn wir brauchen eine starke, pro-europäische Mehrheit.
Welche Rolle spielen die EVP und ihr Vorsitzender, Manfred Weber, in diesem Zusammenhang?
Nun, wir müssen bedenken, dass er nicht nur der Vorsitzende der EVP-Fraktion ist, sondern auch der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei. Deshalb sage ich auch, dass er sich widersprüchlich verhält – in Deutschland sagt er, es gäbe eine klare Grenze zur extremen Rechten, die seine Partei nicht überschreiten wird. Aber außerhalb Deutschlands passiert eben genau das. Manfred Weber hat sich, ohne mit der Wimper zu zucken, mit Giorgia Meloni in Italien getroffen. In Spanien, Schweden und Finnland arbeitet er mit der extremen Rechten zusammen. Das ist sehr widersprüchlich. Deshalb bestehe ich auch darauf, dass Manfred Weber als Vorsitzender der Partei klarstellen muss, was er nach den Europawahlen vorhat. Die Leute haben ein Recht darauf, das zu wissen. Wir sagen ja auch, was wir nach den Wahlen tun werden – dass wir die pro-europäische Koalition erhalten wollen. Manfred Weber muss da eine klare Aussage treffen.
Was können Sie, als Vorsitzende der S&D-Fraktion, gegen das Erstarken extrem rechter Kräfte tun?
Dafür muss man zunächst verstehen, warum diese Parteien überhaupt an Stimmen gewinnen. Wenn wir wissen, wieso das so ist, können wir den Wähler*innen Alternativen aufzeigen. Ein großes Thema in Europa ist natürlich der russische Krieg in der Ukraine, aber auch die Fake News und die russischen Desinformationskampagnen, durch die versucht wird, auf Wahlen in der EU Einfluss zu nehmen. Wir müssen auf der anderen Seite aber verstehen, dass die extremen Rechten vor allem dann erstarken, wenn es viel Ungerechtigkeit gibt. Und wir sind diejenigen, die diese Ungerechtigkeit auf der sozialen Ebene bekämpfen. Wir setzen uns deshalb für einen European Green Deal mit einem „roten Kern“ ein – die soziale Dimension muss immer mitgedacht werden. Denn sonst bleibt es so, dass vulnerable Gruppen aus einem Gefühl der Ungerechtigkeit heraus die extrem rechten Parteien wählen. Deshalb ist es jetzt wichtiger denn je, dass die EU eine starke soziale Säule hat.
Beim diesjährigen SPE-Kongress in Rom haben Sie außerdem gefordert, dass Europa den Menschen wieder nähergebracht werden muss. Ist die Stärkung der sozialen Säule das, was Sie damit meinten?
Genau. Während der Pandemie haben sich die Sozialdemokraten beispielsweise konsequent für Solidarität innerhalb der Gesellschaft eingesetzt, und die Bürger*innen haben das gemerkt. Jetzt müssen wir genauso konsequent vorgehen, wenn es um die aktuellen Probleme geht. Die Wohnungskrise ist beispielsweise in ganz Europa ein Problem – ob in Berlin, Madrid, oder Lissabon. Gerade für junge Menschen ist die Lage extrem hart, sie müssen oft mehr als 80 Prozent ihres Einkommens für Miete ausgeben. Das kann so nicht weitergehen, die EU muss hier mehr tun und konkrete Vorschläge machen, wie diese Krise gelöst werden kann. Darauf warten die Bürger*innen: konkrete Lösungen für ihre Probleme. Wir arbeiten daran, aber wie es mit diesen Problemen weiter geht, wird eben auch bei den Wahlen im Juni entschieden – denn nur eine progressive und pro-europäische Mehrheit wird in diesen Punkten nachhaltige Lösungen liefern.
Iratxe García Pérez
Ich bin sehr dankbar für die tolle Zusammenarbeit gemeinsam mit unseren deutschen Kolleg*innen, und bin mir sicher, dass sie eine großartige Kampagne machen werden.
In Deutschland wird derzeit wieder über mögliche Einflussnahme Russlands auf Mitglieder der AfD diskutiert. Machen Sie sich Sorgen, Russland könnte versuchen, die Europawahlen zu beeinflussen?
Natürlich, das ist schließlich kein neues Problem. In den vergangenen zwei Jahren gab es ein Komitee, dass sich mit der politischen Einflussnahme auf der europäischen Ebene auseinandergesetzt hat. Der Bericht dieses Komitees war sehr deutlich: Putin versucht, alles, was mit Demokratie und Freiheit zu tun hat, zu zerstören. Und die EU steht für Demokratie und Freiheit. Er weiß, wie dringend wir aktuell unsere gemeinsamen Werte verteidigen müssen. Eine starke extreme Rechte in Europa wäre für Putin eine bedeutende Verbündete. Deshalb hat die S&D-Fraktion auch eine Plenardebatte für den heutigen Mittwoch einberufen, in der diskutiert werden soll, wie man eine solche Einflussnahme verhindern könnte.
Denken Sie, dass die Debatte um den Krieg in Gaza die Wahlen im Juni beeinflussen könnte?
Dieser Konflikt ist auch mit Blick auf die europäische Sicherheit ein wichtiges Thema. Für uns in Europa ist es wichtig, für Frieden zu sorgen. Solange dieser Konflikt existiert, herrscht jedoch kein Frieden, und deshalb müssen wir auch eine führende Rolle bei der Lösungsfindung für den Nahostkonflikt übernehmen. Seit dem Kriegsbeginn am 7. Oktober vergangenen Jahres haben wir als Sozialdemokrat*innen eine klare Position: Wir verurteilen den terroristischen Angriff und die Entführungen der Hamas und fordern die Freilassung aller Geiseln. Gleichzeitig können wir aber auch nicht tolerieren, was die israelische Regierung unter Netanjahu derzeit tut – die Angriffe auf die Zivilbevölkerung, auf Kinder, auf Frauen, auf alte Menschen. Das ist ein Massaker, das nicht nur gegen internationales Recht verstößt, sondern auch gegen die Menschlichkeit. Da müssen wir uns deutlich positionieren. Viele Menschen warten auf eine europäische Antwort auf das Ganze. Manche Staatsoberhäupter in der EU fordern eine internationale Friedenskonferenz, um den Krieg zu stoppen und die Zweistaatenlösung voranzubringen.
Denken Sie, dass die EU hier die Vermittlerrolle übernehmen sollte?
Das muss sie. Das tut sie derzeit noch nicht, aber sie muss es, unbedingt. Wir haben ja gesehen, was passiert, dass beispielsweise auch NGOs von der israelischen Armee angegriffen werden. Da muss mehr getan werden, die EU muss hier eine große Rolle spielen.
Die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahlen ist Katarina Barley, die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Planen Sie, gemeinsam mit ihr Wahlkampf zu machen?
Natürlich. Wir sind ja heute auch gemeinsam hier in Berlin. Wir haben immer zusammengearbeitet, wenn es darum ging, unsere Werte innerhalb der EU zu verteidigen. Ich bin sehr dankbar für die tolle Zusammenarbeit gemeinsam mit unseren deutschen Kolleg*innen, und bin mir sicher, dass sie eine großartige Kampagne machen werden.
Während Katarina Barley in Deutschland sehr bekannt ist, kennen noch nicht alle Deutschen Nicolas Schmit. Wie schätzen Sie ihn als Spitzenkandidaten ein?
Wir müssen den Bürger*innen klarmachen, dass Nicolas Schmit als EU-Kommissar für all diese sozialpolitischen Richtlinien maßgeblich mit verantwortlich war, über die wir hier geredet haben. Beispielsweise die Richtlinien zu Mindestlohn oder Lohntransparenz wurden von ihm vorangebracht – Nicolas Schmit hat gezeigt, wie die Sozialdemokratie das Leben der Bevölkerung Europas verbessern kann. Er hat in der Vergangenheit wichtige Arbeit geleistet und gute Kontakte zu allen Gewerkschaften auf der europäischen Ebene, was für uns sehr wichtig ist. Ich bin mir sicher, dass den Menschen am Ende des Wahlkampfs klar sein wird, wieso er unser Spitzenkandidat geworden ist.
Es ist zum Verzweifeln.
Kann die SPD ernsthaft glauben, sie könne bei „den kommenden Europawahlen“, die doch so „entscheidend sein werden“, damit punkten, das „Erstarken extrem rechter Kräfte“, festgemacht an der AfD und Manfred Weber, der sich „ohne mit der Wimper zu zucken, mit Giorgia Meloni in Italien getroffen“ hat, zu bekämpfen oder sich von ihnen abzugrenzen? Es wird auch nicht helfen, „das Erstarken extrem rechter Kräfte“ mit dem „russischen Krieg in der Ukraine... und die russischen Desinformationskampagnen, durch die versucht wird, auf Wahlen in der EU Einfluss zu nehmen“, in Beziehung zu setzen, „wenn es viel Ungerechtigkeit gibt“. Wer lässt sich denn von „Desinformationskampagnen“ beeinflussen – und was ist damit eigentlich gemeint?
Am 8.4. redete Pistorius, befragt in der Sendung „Was Nun?“, (geschätzt) 20 Sätze über den Krieg, den Putin in drei bis fünf Jahren gegen die Nato und damit auch gegen Deutschland führend werde; nur in einem Satz deutete ein „könnte“ darauf hin, dass es sich dabei um reine Spekulation handelte. Ist das eine der „Desinformationskampagnen“, durch die derzeit jede vernünftige EU-Initiative für eine Beendigung des Ukraine-Krieges von vorneherein ausgeschlossen aber jede Forderung nach mehr und noch mehr Geld für die Aufrüstung legitimiert wird?
Will die SPE bei der Europawahl nicht untergehen, muss sie eine Möglichkeit für das Ende der größten akuten Bedrohung auch unserer Bürger aufzeigen. Das kann und will sie aber nicht. Darum muss die Ukraine so lange kämpfen, bis Putins Armee erschöpft, vernichtet, jedenfalls nicht mehr kampffähig sich zurückzieht. Ob das realistisch ist, bleibt fraglich. Bis dahin allerdings muss der Westen aufpassen, nicht Kriegspartei zu werden und damit in einen Weltkrieg – möglicherweise atomar – zu schlafwandeln, wie Scholz befürchtet. Glaubt man dagegen den fünf „Genossen*innen als Wissenschaftler*innen“, „die Vorstellung, Risiken werden allein durch Zurückhaltung minimiert, ignoriert die Eskalationsgefahr, die allein dadurch entsteht, wenn Putin keine Grenzen gesetzt werden“, dann führen uns gerade die Befürchtung des Kanzlers direkt in den 3. Weltkrieg. Angesichts dieser gleich katastrophalen Optionen gebietet es die Vernunft, dringend nach einem Weg zu suchen, der den Frieden nicht in Krieg, sondern in Verhandlungen sucht. Frau Perez scheint die Zeichen der Zeit nicht zu sehen. Vielleicht kann sie ja mal mit Frau Barley (über Atomwaffen für eine EU-Armee) sprechen.
Der SPD ist nicht mehr zu helfen.