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Niederlande: Wilders' Wahl sollte ein Warnsignal für Deutschland sein.

Der Wahlsieg des Rechtspopulisten Geert Wilders in den Niederlanden ist für viele ein Schock. Was von Wilders zu erwarten ist und warum man sich seinen Erfolg auch in Deutschland gut ansehen sollte, sagt der Politikwissenschaftler René Cuperus.

von Kai Doering · 24. November 2023
Wahlsieger Geert Wilders: „Sein Wahlsieg hat viel zu tun mit der Anti-Establishment-Stimmungen in den Niederlanden.“

Wahlsieger Geert Wilders: „Sein Wahlsieg hat viel zu tun mit der Anti-Establishment-Stimmungen in den Niederlanden.“

Der deutliche Wahlsieg von Geert Wilders hat auch über die Niederlande hinaus für großes Aufsehen gesorgt. Was war der Grund für das gute Abschneiden der PVV bei der Parlamentswahl?

Der Wahlsieg für Geert Wilders war für viele eine große Überraschung – auch für mich. Ich war zwar davon ausgegangen, dass diese Wahl eine Wahl gegen das Establishment werden würde, hatte aber damit gerechnet, dass davon eher die neue Partei von Pieter Omtzigt, der „Neue Gesellschaftsvertrag“, oder die Bauer-Bürger-Bewegung profitiert. In den letzten zwei Wochen vor der Wahl hat sich dann die Stimmung gedreht. Das lag zum einen an Einflüssen von außerhalb wie dem Krieg in Israel, zum anderen haben Omtzigt und andere aber auch grobe Fehler gemacht, von denen Geert Wilders profitiert hat. Man darf auch nicht vergessen, dass er von allen Spitzenkandidaten der erfahrenste gewesen ist.

Was hat Omtzigt falsch gemacht?

Sein größter Fehler war sicher, öffentlich zu zögern, ob er Ministerpräsident werden möchte. Geert Wilders trat dann in dieses Machtvakuum ein. Er wurde in den Augen vieler Wähler zum alternative Anführer einer Anti-Establishment-Bewegung.

Das Thema Migration hat also, wie jetzt häufig behauptet wird, nicht die entscheidende Rolle gespielt?

Doch. Migration ist das Thema, das die Niederlande am meisten bewegt. Im konservativen Parteienspektrum gibt es deshalb auch einen Konsens, dass die Zuwanderung drastisch begrenzt werden muss. Nicht, weil sie alle Rassisten sind, sondern weil die Gesellschaft zunehmend überfordert ist. In den Niederlanden gibt es eine Kombination von Asylmigration, Arbeitsmigration und vielen internationalen Studenten. Hinzu kommen 100.000 Ukrainer, die die Niederlande seit Beginn des Kriegs aufgenommen hat. Gerade für junge Niederländer ist es deshalb vor allem in den Großstädten kaum noch möglich, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Diese Parlamentswahl hat sich vor allem um die Themen Migration und Wohnen gedreht.

Um Ministerpräsident zu werden, muss Geert Wilders mindestens zwei Koalitionspartner finden. Wird ihm das gelingen?

Das ist sehr schwer zu sagen. Die Partei des scheidenden Ministerpräsidenten Mark Rutte, die VVD, hat gerade erst mitgeteilt, dass sie nicht für eine Koalition mit Wilders bereitsteht. Es ist also fraglich, ob er eine Koalition bilden und Ministerpräsident werden kann. Wird er es nicht, wäre das aber eine Art demokratischer Verrat, denn die Wähler haben ihn mit einer deutlichen Mehrheit ausgestattet. Gleichzeitig hat sein Programm deutliche Spannungen mit dem Rechtsstaat. Er hat zwar gesagt, dass diese Punkte in einer künftigen Regierung keine Rolle spielen sollen – in den Niederlanden wird er deshalb schon Geert Milders genannt – aber es ist fraglich, ob es am Ende wirklich so kommen wird. Wenn es Geert Wilders wirklich gelingen sollte, eine Regierung zu bilden, wird es an den Koalitionspartnern liegen, ihn zu zähmen.

Wie lässt sich Geert Wilders innerhalb der europäischen Rechten einordnen?

Seine Partei ist auf jeden Fall nicht mit der AfD in Deutschland vergleichbar, auch wenn ihm Alice Weidel zur Wahl gratuliert hat. In Wilders‘ Umfeld gibt es keine Nazis. Er ist gegen den Islam, aber für Israel. Stattdessen kritisiert er die Muslime für ihren Antisemitismus.. Wie sich Geert Wilders verhält, wenn er tatsächlich an die Macht kommt, ist schwer zu sagen. Selbst bei Giorgia Meloni haben sich die schlimmsten Befürchtungen ja nicht bestätigt. Die niederländischen Wähler haben ihm ein Mandat gegeben für eine Begrenzung der Migration und für eine Lösung der Wohnungskrise, aber nicht für einen Austritt aus der Europäischen Union. Den sogenannten Nexit lehnt eine sehr große Mehrheit der Niederländer ab.

Welche Lehren sollten die anderen Parteien aus dem guten Abschneiden von Wilders ziehen?

Sein Wahlsieg hat viel zu tun mit der Anti-Establishment-Stimmungen in den Niederlanden. Das ist übrigens etwas, das ich auch in Deutschland immer stärker wahrnehme. Insofern sollte diese Wahl auch ein Warnsignal für Deutschland sein. Die politische Mitte muss sich fragen, was sie falsch macht, wenn eine so große Gruppe der Bevölkerung die politische Rechte wählt. Wenn die politische Mitte nicht liefert, entsteht ein Vakuum für Populisten. Wenn die Menschen das Gefühl haben, dass die Großstädter und die Akademiker den Kurs eines Landes bestimmen, stärkt das die Populisten. Insofern ist die Wahl in den Niederlanden ein Paradebeispiel für das, was gerade in Europa und eigentlich in der ganzen Welt passiert.

Droht also bei der Europawahl im kommenden Jahr ein weiterer Rechtsrutsch?

Wenn sich die anderen Parteien nicht radikal ändern, ja. Die Parteien der politischen Mitte haben die Verbindung zur großen Teilen der Bevölkerung verloren und werden wahrgenommen als Vertreter von Elitenpolitik. Das unterminiert die Mittelschichtsdemokratien in ganz Europa. Die Folge ist gerade in vielen Ländern zu beobachten. Um da gegenzuhalten, braucht es wieder mehr Gerechtigkeit und mehr Demokratie statt Top-Down-Politik. Ich bezweifle, dass sich da bis zur Europawahl deutlich etwas ändern wird.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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