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Migration: Warum der Deal zwischen Albanien und Italien wenig bringt

Kann es funktionieren, wenn EU-Staaten Asylverfahren in anderen Ländern durchführen? Ein solches Migrationsabkommen von Italien mit Albanien sorgt für Furore, dürfte aber kaum zur Lösung der europäischen Asylprobleme beitragen.
von Darina Döbler und Stine Klapper · 13. November 2023
Unterzeichnen in Rom das albanisch-italienische Migrationsabkommen: die beiden Premierminister*innen Edi Rama und Giorgia Meloni.
Unterzeichnen in Rom das albanisch-italienische Migrationsabkommen: die beiden Premierminister*innen Edi Rama und Giorgia Meloni.

Es ist erst zwei Jahre her, dass Albanien weltweit Schlagzeilen machte mit seinem Vorgehen in Sachen Flucht. Während die EU laute Kritik auf sich zog wegen ihrer teils schlechten Unterbringungsmöglichkeiten für Asylsuchende, brachte die albanische Regierung afghanische Geflüchtete kurzerhand in Fünfsternehotels unter. Dort warteten sie auf ihre Weiterreise, meist in die USA. Erklärt wurde diese Aufnahmepraxis mit der eigenen Erfahrung der albanischen Bevölkerung mit Migration und Flucht und mit der tief verankerten albanischen Selbstverpflichtung zum Schutz Fremder, die auch historisch vielen Menschen das Leben gerettet hat.

Nun verkündeten am Montag vergangener Woche Italiens rechtspopulistische Regierungschefin Giorgia Meloni und Albaniens Premierminister Edi Rama erneut einen Alleingang: italienische Aufnahmelager auf albanischem Boden. Eine weitere Vorzeigeinitiative? Rahmenbedingungen und Aussichten sagen etwas anderes.

Abkommen für fünf Jahre

Der Deal zwischen Meloni und Rama sieht vor, Menschen, die über das Mittelmeer nach Italien flüchten, in Migrationszentren in Albanien zu bringen, wo italienische Offizielle über mögliches Asyl in Italien entscheiden. Minderjährige, Schwangere sowie Personen, die das Festland bereits erreicht haben, sollen davon ausgenommen sein. Bislang fehlen Einzelheiten zu dem Arrangement, bekannt ist jedoch, dass die für Frühjahr 2024 geplanten Migrationszentren Platz für 3.000 Geflüchtete bieten würden und das Abkommen für vorerst fünf Jahre gültig sein soll. Italien übernimmt den Bau der Zentren sowie alle administrativen Kosten und führt sie nach italienischer Jurisdiktion. Albanien stellt die Sicherheitsdienste zur Verfügung. 

Es ist schwer abzuschätzen, welche Konsequenzen das Abkommen mit Italien mittel- und langfristig für Albanien hätte. Bis zu 36.000 Menschen sollen laut Plan jährlich extraterritorial ein Asylverfahren durchlaufen. Ein Großteil der Menschen, die in Italien ankommen, hat jedoch kein Bleiberecht. Was also passiert mit den Menschen in Albanien, deren Anträge negativ entschieden werden? Haben diese dann das Recht, in Albanien einen Asylantrag zu stellen und würde Albanien dann die Verwaltungs- und Versorgungskosten dafür tragen? Unter welchen Bedingungen werden die Menschen in den Aufnahmezentren leben? Was passiert mit Menschen, die beispielsweise aufgrund gesundheitlicher Umstände nicht „abgeschoben“ werden können? Und was sollte Menschen davon abhalten, über die Balkanroute erneut ihr Glück Richtung EU zu versuchen?

Es ist nicht auszuschließen, dass ein großer Teil der Verantwortung für die Geflüchteten letztlich bei Albanien verbleibt. Offen bleibt auch die Umsetzung italienischer Hoheitsrechte auf albanischem Staatsboden und die generelle Konformität des Deals mit internationalem Recht. Menschenrechtsorganisationen üben deutliche Kritik.

Starke Verbundenheit mit Italien

In Albanien wird das Vorhaben unterschiedlich aufgenommen, wie so oft angesichts der tiefen politischen Polarisierung. Die Entscheidung kam unvorhergesehen, denn es gab keinen vorherigen Austausch im Parlament, keine öffentliche Debatte. Bei der Mitte-rechts-Opposition stoßen dieses Verfahren und das Vorhaben auf laute Kritik. Sie äußert diese vor allem mit Verweis auf die Sicherheitsrisiken – erste Proteste mit dem Slogan „Lezha ist nicht Lampedusa“ wurden in ihrem Umfeld organisiert. Auch in der Bevölkerung ist das Echo gemischt.

Die Akzeptanz Geflüchteter ist in der Regel groß, viele Albaner*innen haben in ihren Familien eigene Fluchterfahrungen und die uralte, gesellschaftlich verankerte Schutzverpflichtung prägt noch immer das Selbstbild. Auch die Verbundenheit mit Italien ist stark und damit die Unterstützung für intensive Zusammenarbeit. Doch viele Menschen äußern auch Bedenken vor einer Überforderung aufgrund zu erwartender steigender Zahlen.

Ein politischer Gewinn für Meloni

Dass Rama einen solchen Deal nun eingeht, ist einigermaßen überraschend. Vor wenigen Jahren sprach er sich noch mit deutlichen Worten gegen EU-Asylzentren in Albanien aus und dagegen, verzweifelte Menschen „wie Giftmüll“ abzuladen. Jetzt begründet er das Vorgehen mit einer solidarischen Haltung gegenüber Italien. Und die politische Wirkung dieser öffentlichkeitswirksamen Initiative ist tatsächlich bedeutend: Seiner rechtspopulistischen Amtskollegin wird dieser Deal helfen, hatte sie doch eine Bekämpfung der „illegalen Migration“ zu einem ihrer Wahlkampfthemen gemacht und bisher nicht liefern können. Meloni kann diesen Schachzug als politischen Gewinn verbuchen.

Dass sie sich zum Anlass der Verkündung dieses Deals auch deutlich für den EU-Beitritt Albaniens ausgesprochen hat, wird von einigen Beobachter*innen als Gegenleistung interpretiert. Da Italien jedoch ohnehin traditionell das Beitrittsgesuch des Landes unterstützt, ist dies als alleiniger Grund unwahrscheinlich. Vielmehr wird die generell große wirtschaftliche und politische Bedeutung Italiens für seinen Nachbarn auf der anderen Seite der Adria relevant gewesen sein. So sagte Rama selbst, dass er dies für kein anderes Land tun würde, Albanien jedoch in Italiens Schuld stehe, nachdem das Land nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in den 1990er Jahren so viele albanische Geflüchtete aufgenommen hatte. Ein Argument, das einer gewissen Ironie nicht entbehrt.

Fragliche Wirkung

Insgesamt ist die Wirkung des geplanten Vorhabens über das politische Signal hinaus jedoch fraglich. Mit Blick auf die bisher sehr langen Bearbeitungszeiten von Asylanträgen scheint die Kapazität der geplanten Aufnahmezentren eher gering. Allein in den ersten acht Monaten dieses Jahres sind laut Angaben des italienischen Innenministeriums bereits mehr als 100.000 Bootsflüchtlinge in Italien angekommen. Ob der geplante Deal damit überhaupt eine große Entlastung für Italien darstellt, bleibt fraglich.

Auch zur Abschreckung wird er nicht dienen. Die Aussicht auf einen eventuellen Umweg über Albanien wird Menschen kaum davon abhalten, die Flucht nach Europa auf sich zu nehmen, dafür ist ihr Leidensdruck viel zu hoch. Dass sie dadurch im Zweifelsfall eine alternative Route statt der nach Italien wählen oder nach abgelehntem Gesuch versuchen könnten, aus den Zentren in andere EU-Staaten weiterzureisen, mag jedoch Melonis Kalkül sein.

Versuche extraterritorialer Asylverfahren sind gescheitert

Eine Auslagerung der Bearbeitung der Asylgesuche – ein Menschenrecht – in andere Länder ist jedoch keine alleinige Idee der rechtspopulistischen italienischen Regierung. Die Absichtserklärung kommt zu einem Zeitpunkt, da das Thema in der gesamten EU kontrovers diskutiert wird und die Asylpolitik eine neue Ausrichtung bekommt. Erst vergangenen Monat stellte die EU ihre Asylreform vor. Auch darin ist von strengen Aufnahmeeinrichtungen die Rede, allerdings an den EU-Außengrenzen und damit innerhalb der EU.

Auch in Deutschland einigte man sich diese Woche im Rahmen der Bund-Länder-Konferenz auf weitere Verschärfungen in der Flüchtlingspolitik. Bisher scheiterten Versuche extraterritorialer Asylverfahren europäischer Staaten daran, dass sie nicht mit EU- und internationalem Recht vereinbar waren. Das umstrittene Asylabkommen des Vereinigten Königreichs mit Ruanda wird derzeit gerichtlich geprüft. Solange nicht garantiert werden kann, dass die Menschenrechte gewahrt und die Verfahren auf identische Weise durchgeführt werden können, sind extraterritoriale Asylverfahren nicht möglich. 

Asylverfahren sind kein Call-Center

Noch hat sich die EU-Kommission nicht negativ zu dem Deal geäußert, sie mahnte lediglich an, dass dabei internationales und EU-Recht gewahrt werden müsse. Italiens Alleingang in der Frage um Asylverfahren in Drittstaaten mag in Anbetracht der enormen Herausforderungen an den EU-Außengrenzen eine klare Reaktion auf fehlende Einigkeit und unzureichende Solidarität innerhalb der EU sein. Dennoch kann eine nachhaltige Lösung nur ein gemeinsamer, europäischer Weg sein, der keine Konkurrenzsituation unter den Mitgliedstaaten schafft. Aktuell ist es jedoch bedenklich, wie sehr rechtspopulistische Kräfte diese Debatte dominieren. Auch wenn ihre menschenfeindliche Motivation keineswegs geteilt wird, spielt der Ideenwettbewerb zu Abschottung und Auslagerung, der unter allen anderen politischen Kräften gleichermaßen ausgebrochen ist, ihnen dennoch in die Karten. 

Albanien ist Teil des Europarats, NATO-Mitglied und EU-Beitrittskandidat und damit sicherlich nicht einzureihen in so manch andere kontroverse Migrationspartnerschaftsidee. Auch ist es nicht gerecht, Albanien für diesen Deal die Verantwortung zu geben, zu ungleich ist die Partnerschaft der beiden Staaten. Doch ist es eine Verlagerung der Verantwortung Italiens und damit der EU in einen Drittstaat, der die „unangenehme Arbeit“ erledigen soll. Das mag im Call-Center-Bereich in den letzten Jahren gut funktioniert haben.

Der Verantwortung, die aus dem in der Charta der Grundrechte der EU verankerten Recht auf Asyl hervorgeht, entspricht dies jedoch nicht. Diese Herausforderung bedarf größerer Anstrengungen, als das Problem lediglich nach außerhalb der EU-Grenzen zu verbannen, auch weil dies nicht funktionieren wird. Wer es mit einem Ende des Sterbens im Mittelmeer ernst meint, schafft legale Wege der Einreise, ohne das Menschenrecht auf Asyl dabei auszuhöhlen. Ein wichtiger Start wäre, anstatt den rechten Narrativen zur Symptombekämpfung nachzulaufen, für eigene solidarische und europäische Ideen zu werben.

Am 10. November erschienen im IPG-Journal

Autor*in
Darina Döbler und Stine Klapper

Darina Döbler ist Sozialwissenschaftlerin und Projektassistentin bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Albanien. Stine Klapper leitet das Büro der FES in Tirana, Albanien. Zuvor war sie für die Stiftung in Bangkok und Skopje tätig.

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