Katarina Barley: „Dann haben die Rechten keine Chance.“
Dirk Bleicker
Ob Italien, Finnland oder Schweden: In vielen Ländern Europas sind die Rechtsextremen auf dem Vormarsch. Welche Auswirkungen hat das auf die Europäische Union?
Die Auswirkungen sind gewaltig. Über den Europäischen Rat sind die nationalen Regierungen ein sehr wichtiger Player mit großem Einfluss. Mit den Regierungswechseln macht sich schon bemerkbar, dass sich die Verhältnisse verschieben. Beim Klimaschutz, aber auch in sozialen Fragen sind viele Regierungen deutlich weniger ambitioniert oder blockieren Vorhaben gleich ganz. Ganz massive Auswirkungen werden wir nach der Europawahl im kommenden Jahr zu spüren bekommen.
Inwiefern?
Die nationalen Regierungen entscheiden darüber, wie die EU-Kommission besetzt wird. Nach der Europawahl wird es hier ja eine Neuaufstellung geben und wir laufen Gefahr, dass zwei der drei europäischen Institutionen – der Rat und die Kommission – deutlich nach rechts rutschen. Deshalb ist die Europawahl so wichtig, weil das Parlament die einzige Institution sein kann, die da noch gegenhält.
Auch bei der Europawahl im kommenden Juni befürchten jedoch viele einen Rechtsruck.
Diese Sorge ist berechtigt. Die Europawahl ist ja von den nationalen Verhältnissen nicht unabhängig. Trotzdem bin ich mir sicher, dass die Sozialdemokratie gute Chancen hat. In Schweden zum Beispiel lagen die Sozialdemokraten bei der nationalen Wahl deutlich vorn. Dass dort die Konservativen regieren, liegt allein daran, dass sie sich von den rechtsextremen Schwedendemokraten tolerieren lassen. Ähnliches gilt für Italien. Wenn sich die moderaten Kräfte da einig gewesen wären, hätte Giorgia Meloni nicht gewonnen. Sie ist ja nur deshalb Ministerpräsidentin geworden, weil ihr die Konservativen den Steigbügel gehalten haben.
Welche Rolle spielen die konservativen Parteien allgemein beim Aufstieg der Rechten?
In Europa verschwimmen die Grenzen immer mehr. Die Konservativen spielen eine sehr unrühmliche Rolle. Das gilt besonders für die deutschen. Der Vorsitzende der EVP und ihrer Fraktion im Europaparlament ist ja Manfred Weber von der CSU. Er hat in mehreren Wahlkämpfen, zuletzt in Italien, keinen Hehl daraus gemacht, mithilfe der Rechtspopulisten oder gar Rechtsextremisten an die Macht kommen zu wollen. So hat er im Wahlkampf den Rechtspopulisten Silvio Berlusconi unterstützt, obwohl er wusste, dass er mit der Postfaschistin Meloni in einem festen Bündnis ist.
Auch im Europaparlament liebäugelt Manfred Weber immer offensiver mit den Rechtsextremen. Im Juli wollte er gemeinsam mit ihnen das europäische Renaturierungsgesetz verhindern. Will er auch hier ein neues Bündnis schmieden?
Ja, davon bin ich überzeugt. Das wurde in den vergangenen Monaten immer wieder sichtbar. Manfred Webers Verhalten beim Renaturierungsgesetz ist doppelt interessant, weil er sich damit gegen seine eigene Kommissionspräsidentin gestellt hat. Für Ursula von der Leyen sind Klimaschutz und der „Green Deal“ ja das große Prestigeprojekt. Die Vorgänge aus dem Sommer zeigen: Da findet ein Machtkampf innerhalb der konservativen Partei statt, der Europa zu lähmen droht.
Geht es dabei nur um Machtragen oder auch um den künftigen inhaltlichen Kurs der EVP?
Das ist schwer zu sagen. In der Auseinandersetzung geht es viel um gekränkte Eitelkeit. Manfred Weber hat es immer noch nicht verwunden, dass er nicht Kommissionspräsident geworden ist, obwohl er ja europäischer Spitzenkandidat bei der letzten Europawahl war. Stattdessen wurde Ursula von der Leyen aus dem Hut gezaubert. Aber natürlich spielen auch inhaltliche Fragen eine Rolle. Der Vorstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat vor einiger Zeit einen Brief an Ursula von der Leyen geschrieben, in dem er eine deutliche Bremse beim Klimaschutz gefordert hat. Das deutet schon darauf hin, dass es auch inhaltliche Differenzen gibt.
Was ist – außer der bereits erwähnten Mithilfe der Konservativen – der Grund für das Erstarken der rechten Kräfte überall in Europa?
Das hängt sehr vom einzelnen Land ab. In Italien waren die „Fratelli d’Italia“ von Giorgia Meloni die einzige ernst zu nehmende Partei, die nicht an der Regierung beteiligt war. In Krisenzeiten gibt es immer ein Potenzial an Unzufriedenen. Die hat Meloni bedient und so eingefangen. Außerdem haben sich die Rechten zu einem festen Bündnis zusammengetan, während die Linke zerstritten war. In Schweden und Finnland sind die Rechtsextremen dagegen Mehrheitsbeschaffer für die Konservativen und sind so in Verantwortung bekommen. Ein Kurs, der in Spanien übrigens nicht aufgegangen ist. Insgesamt gelingt es rechten Kräften zurzeit in vielen Ländern sehr gut – häufig mit Hilfe der Konservativen – die Gesellschaft anhand von Einzelfragen aufzustacheln.
Welche Ziele verfolgen die Rechten in Europa?
Die Rechten wollen ein anderes Europa, das sie ein „Europa der Vaterländer“ oder „Bund europäischer Nationen“ nennen. Das klingt vielleicht erstmal gar nicht schlecht, bedeutet in der Praxis aber das Ende des europäischen Gedankens. Statt eines Europas zum Wohle aller wollen sie Egoismus, Abschottung und Nationalismus. Das führt am Ende zu mehr Konflikten.
Ungarn unter Victor Orban und Polen unter der Pis-Regierung gelten mit ihren Rechtsstaatsverstößen schon länger als Problemfälle in Europa. Sind sie ein Vorbild für rechte Parteien in anderen Ländern?
Wir sollten alles dafür tun, dass sie nicht zum Vorbild werden. Im Moment ist es ja noch eine Minderheit der Länder in Europa, die so regiert werden, aber es gibt einige, die auf der Kippe stehen, Österreich mit seiner Bundesregierung aus ÖVP und FPÖ etwa. Auch in Griechenland liegt in Sachen Rechtsstaatlichkeit einiges im Argen. Die kritische Masse ist zwar noch nicht erreicht aber, wenn wir nicht aufpassen, kann es ganz schnell gehen. Und dann werden auch Leute wie Meloni ihre Masken fallen lassen. Im Moment gibt sie sich ja sehr kooperativ gegenüber Brüssel, weil sie weiß, dass sie mit ihrem harten Rechtskurs in Europa in der Minderheit ist. Das wird sich aber schnell ändern, wenn mehr Ländern auf diesen Kurs einschwenken. Dann erleben wir einen Domino-Effekt, den wir jetzt verhindern müssen, ehe es zu spät ist.
Was kann die europäische Sozialdemokratie dem entgegensetzen?
Wir werden den Menschen klarmachen, dass unser Europa allen hilft. Je mehr Europa es gibt, desto mehr werden die Menschen davon profitieren. Das betrifft ganz unterschiedliche Bereiche, die Freizügigkeit ebenso wie soziale Sicherungen oder Umwelt- und Klimaschutzstandards. Ich war vor kurzem in Großbritannien, wo es Strände gibt, an denen die Menschen nicht mehr baden gehen können, weil so viel vergiftetes Abwasser eingeleitet werden darf, dass die Wasserqualität einfach zu schlecht geworden ist. Vor dem Brexit war das durch europäische Vorgaben verboten. Den Menschen war gar nicht bewusst, dass es die Europäische Union war, die für eine gute Wasserqualität gesorgt hat. Diese Errungenschaften der EU müssen wir den Menschen viel stärker ins Bewusstsein rufen. Dann haben die Rechten auch keine Chance.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.