Finnland: Warum der rechten Regierung ein Misstrauensvotum droht
IMAGO/Lehtikuva
Seit einem Monat ist die neue finnische Regierung im Amt. Nach zehn Tagen musste Wirtschaftsminister Vilhelm Junnila wegen Verbindungen zur Neonazi-Szene zurückgetreten. Nun steht die stellvertretende Ministerpräsidentin Riikka Purra wegen rassistischer Äußerungen unter Druck. Ist die Regierung bereits am Ende?
Es ist noch zu früh, diese Frage zu beantworten. Allerdings droht der Regierung ein Misstrauensvotum, wenn das Parlament im September aus der Sommerpause zurückkommt. Eine Bürgerinitiative hat der Opposition gerade 121.000 Unterschriften mit der Forderung nach Riikka Purras Rücktritt überreicht. Die Opposition hatte ja sogar eine Sondersitzung während der Sommerpause gefordert. Die hat Parlamentspräsident Jussi Hallaho, Vorgänger von Riikka Purra als Parteivorsitzender der „Finnen“, aber fürs Erste abgeschmettert. Ob das reicht, das politische Klima abzukühlen, wird sich zeigen. Derzeit demonstrieren regelmäßig Tausende in Helsinki gegen Rassismus und Rechtsextremismus, aber auch gegen die Sparpolitik Orpos und die Regierungspläne, den Kündigungsschutz entgegen internationaler ILO-Bestimmungen zu lockern.
Sowohl das Verhalten von Junnila als auch die Äußerungen Purras liegen einige Jahre zurück. Warum werden sie erst jetzt bekannt?
Weil sich bisher kaum jemand dafür interessiert hat. Selbst im Wahlkampf nicht, als die rechtsradikale Partei der „Finnen“ drohte, zur stärksten Kraft im Land zu werden. Kandidat*innen haben im Wahlkampf auch rechtsradikale Ideen zitiert, ohne dass es dafür besondere Aufmerksamkeit oder Kritik gab.
Warum nicht?
Ein Grund ist, dass die Rechtradikalen ein vollkommen normaler Teil des finnischen Parteiensystems geworden sind. Ihr Extremismus bekam so immer weniger Beachtung. Im Wahlkampf waren sie für Wähler*innen eine Option, wie jede andere Partei. Die „Finnen“ selbst vermarkten sich dagegen als „Partei, die nicht ist wie alle anderen“. Auch international waren die problematischen Haltungen der „Finnen“ kaum ein Thema vor der Wahl. Die in Finnland sehr beliebte Boulevardpresse schien sich ohnehin für eine rechts-konservative Koalition ausgesprochen zu haben. Nur die Sozialdemokratie und die Parteien der ehemaligen Regierungskoalition haben Klartext geredet: Sanna Marin hat nie ein Blatt vor den Mund genommen, was die „Finnen“ angeht.
Ministerpräsident Petteri Orpo hat sich von den Äußerungen der Politiker*innen seines Koalitionspartners distanziert. Wie glaubhaft ist das?
Zumindest erscheint er nicht konsequent, was sein Reden, Entscheiden und Handeln angeht. Als die „Finnen“ von 2015 bis 2017 bereits an der Regierung beteiligt waren, haben sie sich radikalisiert und aufgrund dessen gespalten. Der radikalere Teil regiert jetzt erneut mit. Finnland ist deshalb ein Beispiel dafür, dass sich rechtsradikale Parteien nicht unbedingt selbst entzaubern, auch wenn sie Probleme beim Regieren haben. Premierminister Orpo wusste, worauf er sich einlässt. Ähnlich wie sein schwedischer Kollege scheint er seine Möglichkeiten, seinen Koalitionspartner kontrollieren zu können, überschätzt zu haben. Schon in den komplizierten Koalitionsverhandlungen, aber auch im Zuge der Ministerwechsel wurde jetzt deutlich, dass die „Finnen“ unter Purra sehr selbstbewusst ihre Ziele vertreten. Wer sich von Radikalität abgrenzen möchte, muss keine Radikalen zum Koalitionspartner machen. Orpo hätte die Möglichkeit gehabt, mit den Sozialdemokrat*innen in eine Koalition zu gehen. Dann hätte er aber mehr Zugeständnisse im Bereich Wirtschafts- und Sozialpolitik machen müssen – was er offensichtlich nicht wollte.
Stattdessen regiert er nun u.a. mit der Schwedischen Volkspartei (SFP), die die Positionen der rechtsradikalen „Finnen“ sehr kritisch sieht. Wird sie zum entscheidenden Faktor für den Fortbestand der Koalition?
Schwierige Kompromisse und inhaltlich extrem breite Koalitionen sind in Finnland nichts Neues. Es sagt aber trotzdem einiges über die SFP, dass sie sich auf diese Koalition eingelassen hat, denn die „Finnen“ vertreten Positionen, die denen der SFP zum Teil diametral gegenüberstehen. Aus den bisherigen Verlautbarungen der SFP wird deutlich, dass die Partei vor allem Riikka Purras Umgang mit ihren persönlichen Verfehlungen kritisiert, bzw. wie die Regierung mit dem Aufruhr insgesamt umgeht. Die Parlamentsfraktion der schwedischen Minderheit erwartet jetzt von jedem Regierungsmitglied und der Partei eine eindeutige Abgrenzung vom Rassismus. Nach Ansicht der SFP-Fraktion war das bei Purra bisher nicht der Fall. Auch hieß es, Premierminister Orpo müsse die Situation besser handhaben. Es gibt viel Sorge, ob die Koalition funktionieren wird.
Wie groß ist der Druck auf die Regierung?
Die SFP hat Petteri Orpo aufgefordert, ernsthafte Gespräche mit den Vorsitzenden der Regierungsparteien zu führen. Aber wirklicher Druck sieht anders aus. Noch letzte Woche erklärte die SFP-Vorsitzende Anna-Maja Henriksson, dass die Angelegenheit innerhalb der Regierung nicht abgeschlossen sei. Ein paar Tage später wieder beschwichtigte sie gegenüber einer Boulevardzeitung, dass Petteri Orpo die Situation unter Kontrolle habe und sie seine Führungsqualitäten schätze. Allein aufgrund der Auslandsreisen wären Gespräche bisher nicht möglich gewesen. Eine Entscheidung stünde für die SFP erst danach an.
Das Interview wurde schriftlich geführt.
node:vw-infobox
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.