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EU-Asylreform: „Das derzeitige System funktioniert nicht gut“

Der SPD-Innenpolitiker Hakan Demir fordert, endlich gleiche Asylstandards in allen EU-Staaten zu schaffen. Bei den aktuellen Reformplänen auf europäischer Ebene sieht er einen Punkt jedoch besonders kritisch.
von Jonas Jordan · 8. Juni 2023
Deutschland finanziere als einziges Land zivile Seenotrettung und werde dafür von anderen EU-Staaten auch noch belächelt, kritisiert der SPD-Abgeordnete Hakan Demir.
Deutschland finanziere als einziges Land zivile Seenotrettung und werde dafür von anderen EU-Staaten auch noch belächelt, kritisiert der SPD-Abgeordnete Hakan Demir.

Seit Jahren wird über eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems diskutiert. Nun könnte es eine Einigung geben. Ist das nicht grundsätzlich erst mal positiv?

Wir kämpfen seit 20 Jahren für eine Reform. Das derzeitige System funktioniert an vielen Stellen nicht gut, etwa bei der fairen Verteilung von Geflüchteten innerhalb der EU. Und: Wir haben nicht in allen Ländern die gleichen Standards. Es wird endlich Zeit, das zu überwinden. Besonders problematisch ist zurzeit die Idee der Kommission, sichere Drittstaaten zu benennen, sodass Migrant*innen in dieses Land abgeschoben werden können.

Was würde diese konkret bedeuten?

Das würde bedeuten, dass Staaten außerhalb der Europäischen Union pauschal zu sicheren Drittstaaten erklärt würden. Das ist zum einen schwierig, weil sich einige dieser Staaten nicht an die Genfer Flüchtlingskonvention halten. Zum anderen könnte zum Beispiel eine Afghanin, die über Tunesien nach Italien flieht, wieder nach Tunesien abgeschoben werden, wenn das Land als sicherer Drittstaat eingestuft wird. Europa würde sich so der Verantwortung entziehen und das Asylverfahren gewissermaßen auslagern. 

Darüber hinaus wird in Deutschland auch diskutiert, weitere Staaten wie Georgien als sichere Herkunftsländer zu deklarieren. Wie ist Ihre Position dazu?

Ich sehe aktuell keine Mehrheit dafür, Georgien oder auch die Republik Moldau als sichere Herkunftsländer einzustufen. Gerade bei Georgien haben wir aktuell das Problem einer sehr niedrigen Asyl-Anerkennungsquote von weniger als einem Prozent. Das heißt, dass wir sehr viele Menschen wieder zurückführen müssen. Daher bin ich für eine Lösung ähnlich wie der für Menschen aus den Staaten des Westbalkans, nämlich eine reguläre Fachkräfteeinwanderung zu ermöglichen. Das kann auch durch Migrationsabkommen gelingen. Es ist widersinnig, dass wir einerseits Menschen wieder abschieben müssen, aber andererseits die Zuwanderung von 400.000 Fachkräften pro Jahr brauchen, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen.

Zurück zur europäischen Ebene: Glauben Sie, dass es eine Einigung am Donnerstag geben wird?

Ich rechne gerade nicht mit dem großen Durchbruch auf europäischer Ebene. Gerade Asyl- und Migrationspolitik werden in den verschiedenen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich gesehen. Es hilft in der Sache auch nicht, dass das Thema häufig populistisch ausgenutzt wird und zu Wahlkampfzwecken dient, etwa in Spanien, wo im Juli Wahlen stattfinden. 

In Deutschland hoffen vor allem Städte und Kommunen auf eine europäische Lösung, um Entlastung zu erhalten. Ist die Hoffnung auf eine schnelle Entlastung realistisch?

Die angespannte Situation in Deutschland ist dem geschuldet, dass wir seit Beginn des Krieges in der Ukraine im Februar 2022 fast eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer und weitere 200.000 Menschen aus anderen Ländern aufgenommen haben. Das war eine große Herausforderung. Im Mai gab es einen Gipfel mit dem Kanzler dazu. Wir werden als Bund die Kommunen noch einmal zusätzlich mit einer Milliarde Euro unterstützen. Insofern suchen wir aktuell auf zwei Wegen nach Lösungen, innenpolitisch und auf europäischer Ebene. Wenn es dort zu einer Einigung kommt, wird es jedoch vermutlich etwas dauern, bis sich das direkt in den Kommunen bemerkbar macht.

Mit Blick auf das Treffen am Donnerstag wird viel davon gesprochen, dass es aktuell ein begrenztes Zeitfenster für eine Einigung auf europäischer Ebene gebe und dann erst wieder in frühestens zwei Jahren. Wie sehen Sie das?

Ich glaube, dass nicht alles am 8. Juni entschieden werden muss. Selbst wenn es eine Einigung geben sollte, wird es sicherlich auch danach Punkte geben, die noch geklärt werden müssen. Bei einigen Punkten gibt es auch schon eine Einigung, zum Beispiel bei der Screening-Verordnung. Aktuell versucht man, das ganz große Paket zu schnüren, aber vielleicht kommt man auch irgendwann an den Punkt, an dem man sagen muss, man findet nicht in allen Punkten eine Einigung. Dann muss man sich auf die Punkte konzentrieren, auf die man sich bereits verständigt hat. Zeitlich gesehen sollte aber spätestens bis zum Jahresende eine Einigung erfolgen, um die Dinge noch vor der Neuwahl des Europaparlaments zum Abschluss zu bringen.

Was ich persönlich sehr schade finde, ist, dass die Seenotrettung bislang überhaupt keine Rolle spielt. Noch immer sterben viele Menschen im Mittelmeer, aber es gibt von Seiten der Mitgliedsstaaten keinerlei Bestrebungen, das zu ändern und die Seenotrettung wieder stärker in den Fokus zu nehmen. Deutschland finanziert als einziger Mitgliedsstaat die zivile Seenotrettung mit etwa zwei Millionen Euro pro Jahr, weil uns das Thema wichtig ist, aber dafür werden wir teilweise noch von anderen Ländern belächelt. Das ist schon makaber.

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Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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