Ein Wahlsieg in Paris könnte die Sozialisten Frankreichs wiederbeleben
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In 150 Städten und Gemeinden Frankreichs findet am 28. Juni der entscheidende zweite Wahlgang der Kommunalwahlen statt. Wegen der besonders großen Zahl an Corona-Infizierten und Toten fiel der Shutdown besonders strikt aus. Es gab in den vergangenen Wochen null Wahlkampf. Nirgends. Weder in Paris, noch in anderen Städten oder auf dem Land.
Sinkende Wahlbeteiligung erschwert Prognosen
On ne sais jamais – man kann nie wissen – sagen deshalb die Meinungsforschungsinstitute im Land über den Wahlausgang. Eine belastbare Voraussage trauen sie sich kaum zu, ganz sicher nicht für die Hauptstadt. Auch weil landesweit die Wahlbeteiligung auf nur 44,7 Prozent und damit um fast 20 Prozentpunkte gegenüber der letzten Wahl gefallen war. In Paris beteiligten sich sogar nur 43 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung. Wer kann vorher wissen, ob die Wahlbeteiligung erneut so gering ausfällt oder ob in der zweiten Runde mehr und andere Menschen abstimmen werden. Einerseits ist die Stimmung zum Beispiel durch die auch in Frankreich große Anti-Rassismus-Kampagne politisch aufgeheizt. Andererseits sorgt das Auslaufen des Shutdown für spürbare Erleichterung.
In Paris wird es zu einem Dreikampf kommen. Die Protagonistinnen sind:
Die sozialistische Amtsinhaberin Anne Hidaldo, die Paris bis zu den olympischen Spielen 2024 zum verkehrspolitischen Modell für Europa entwickeln will, weitgehend ohne Autos in der Innenstadt.
Die schillernde, ultrakonservative Ex-Justizministerin unter Präsident Sarkozy, Rachida Dati, die sich im wesentliche als Law-and-order-Politikerin zu profilieren sucht.
Die Ex-Gesundheitsministerin Agnès Buzyn, eine hoch anerkannte Ärztin und Krebsforscherin mit vergleichsweise wenig politischer Erfahrung.
Warum Anne Hidalgo siegen könnte
Meinungsforscher, Journalisten und Politikberater wollen sich hinsichtlich des Wahlausgangs nicht festlegen, sprechen von einem Kopf-an-Kopf-Rennen, mit leichten Vorteilen für Hidalgo. On ne sais jamais – niemand kann in die Glaskugel schauen und mit großer Sicherheit voraussagen, was die Auszählung in 10 Tagen ausweisen wird, aber die Prognose sei gewagt: Der Dreikampf wird ein Solo. Und die Siegerin heißt Anne Hidalgo.
Bei aller Kompliziertheit des französischen Wahlrechts, alle Fakten weisen darauf hin, dass die PS-Kandidatin auch zum zweiten Mal in das herausgehobene Amt des Bürgermeisters von Paris gewählt werden wird.
Klarer Vorsprung im ersten Wahlgang
Schon den ersten Wahlgang hatte sie glatt für sich entschieden. Dass Sie dabei die 30 Prozent Marke fast erreichen würde, hatte so niemand erwartet, dafür war die PS bei allen vergangenen Wahlen dann doch zu sehr abgestraft worden. Trotzdem hat Hidalgo die Konkurrentinnen klar distanziert und damit ein erstes Zeichen gesetzt. Obendrein dürfte ihr helfen, dass es keine Kampfkandidatur zwischen ihr und nur einer der beiden anderen, sondern ein Dreikampf ist. Auch wenn Buzyn politisch näher bei Hidalgo als bei Dati zu verorten ist, Dati und Buzyn nehmen sich eher gegenseitig Stimmen ab, als der klar linken Hidalgo.
Anfang Juni hat Hidalgo zudem – nicht ganz unerwartet – eine Übereinkunft mit dem Viertplatzierten, dem Grünen David Belliard getroffen. Der wird zu ihren Gunsten auf seine Kandidatur verzichten. Dabei ist eine förmliche Koalition mit gemeinsamen Inhalten und Zielen vereinbart worden. Die Grünen rufen ihre Anhänger jetzt auf, für Hidalgo zu votieren. Damit hat die Hauptstadt in Zukunft ein rot-rot-grünes Projekt hinter dem Sozialisten, Kommunisten und Grüne gemeinsam stehen. Ziel ist sowohl der ökologische Umbau gerade des Zentrums der Metropole, als auch der Plan, der chronischen Wohnungsnot und den unfassbaren Preisen gegenzusteuern.
Auch die Vorstädte von Paris sind entscheidend
Außerdem wird man gemeinsame Anstrengungen unternehmen müssen, die Lebensumstände in den Pariser banlieues deutlich zu verbessern, was Verkehrsanbindung, Ausstattung mit Schulen und sozialen Einrichtungen und vieles andere angeht. Ein Mammutprojekt: Absolut nötig, aber extrem schwer, weil die banlieues zwar vollständig von Paris abhängig sind, aber nicht zum Verwaltungsgebiet der Stadt gehören. Das bedeutet, man macht die Bürgermeisterin sehr wohl mitverantwortlich – sie ist aber gar nicht zuständig.
On ne sais jamais, bedeutet auch, dass sich die Stimmergebnisse von Sozialisten und Grünen aus dem ersten Wahlgang lassen sich nicht einfach zu einem beruhigenden Vorsprung addieren, schon gar nicht zu einer absoluten Mehrheit. Da wird es noch einiger Arbeit bedürfen. An Durchsetzungsvermögen wird es sicher nicht scheitern. Wer es (wie Hidalgo) schafft, zuerst die Seine-Uferstraßen für den Autoverkehr zu sperren und nun in der berühmten Magistrale Rue Rivoli zwei der drei Spuren zu Radwegen umzuwidmen, hat daran kaum Mangel.
Staatspräsident Macron enttäuscht in Corona-Pandemie
Schließlich gibt es den Amtsbonus. Natürlich hat die Politik in den vergangenen drei Monaten nicht stillgestanden. Die Bürgermeisterin war, wie alle anderen in Verantwortung, vollauf damit beschäftigt, die Pandemie in den Griff zu bekommen. Aber was es an Ärger über Maßnahmen des Shutdown geben mag, wird weniger bei ihr, als bei Präsident Macron und seiner Partei abgeladen werden.
Genaues weiß man erst nach Auszählung der Stimmen. Aber: Anne Hidalgo regiert die Stadt seit 2014 und will ihr Amt verteidigen. Und die Tochter bettelarmer Einwanderer aus Südspanien – Armutsflüchtlinge - hat gute Chancen wieder Bürgermeisterin von Paris zu werden. Sie hätte damit in jedem Fall einen großen Beitrag zur Wiederbelebung der Sozialisten geleistet. Und sie wäre automatisch auch eine herausgehoben starke Figur in der französischen Politik insgesamt, wenn nicht zum Gegenentwurf zu Emmanuel Macron. Sie hat zwar mehrfach betont, keine Ämter über Paris hinaus anzustreben, aber: on ne sais jamais.