Inland

Wie Deutschland mehr über seine östlichen Nachbarn erfahren soll

Ukraine, Polen, Slowakei: Laut der brandenburgischen Kulturministerin Manja Schüle weiß Deutschland noch zu wenig über seine östlichen Nachbarn. Wie kann das ein Ukraine-Zentrum in der ostdeutschen Stadt Frankfurt/Oder ändern?
von Sebastian Thomas · 21. April 2023

In der sogenannten „Frankfurter Erklärung“ fordern prominente Vertreter*innen aus Politik und Gesellschaft den Aufbau eines Ukraine-Zentrums. Zu den Intitiator*innen gehören unter anderem die brandenburgische Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD), Dietmar Nietan, Koordinator der Bundesregierung für deutsch-polnische Zusammenarbeit sowie der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev.

Für sie und andere habe der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine in der gesamten Europäischen Union, ganz besonders aber in Deutschland, weitverbreitete falsche Gewissheiten zunichte gemacht. „Er hat uns vor Augen geführt, wie dringend Politik, Gesellschaft und Medien auf fundiertes Wissen über unsere östlichen Nachbarn angewiesen sind. Nicht nur, aber aktuell vor allem über die Ukraine“, schreiben sie in dem zweiseitigen Papier.

Wann könnte ein solches Ukraine-Zentrum in Frankfurt (Oder) entstehen?

Von uns aus sofort. Ich bin meinen Mit-Initiator*innen und Erst-Unterzeichner*innen unglaublich dankbar für ihre Unterstützung. Aber die "Frankfurter Erklärung" war nur der Zündfunke. Jetzt muss es darum gehen, dass dieser Funke überspringt, dass wir weitere Unterstützer*innen finden, dass wir diese Idee weiterentwickeln, dass wir Strukturen aufbauen. Dafür stellen wir gerade die Weichen. Der nächste Schritt wird sein, dass wir jemanden in meinem Ministerium einstellen, der diesen Aufbauprozess aufsetzt.

In ihrer "Frankfurter Erklärung" weisen Sie auf einen dringenden Bedarf an fundiertem Wissen über unsere östlichen Nachbarn hin. In Deutschland hingegen existieren bereits Städtepartnerschaften und Schüleraustauschprogramme mit Ländern in Osteuropa. Wissen wir dennoch zu wenig über unsere östlichen Nachbarn?

Ja, das kann man in jeder Talkshow sehen. Der seit mehr als einem Jahr in der Ukraine tobende russische Angriffskrieg hat viele unserer Gewissheiten zerstört. Und er hat uns vor Augen geführt, dass wir nach wie vor zu wenig über unsere östlichen Nachbarn wissen. In Deutschland gibt eine Handvoll Professuren, die sich mit der Ukraine beschäftigen. Das ist ein Witz.

Als Ostdeutsche bin ich immer wieder verblüfft, wie viele Institutionen und Netzwerke sich in der Nachkriegszeit im deutsch-französischen Verhältnis entwickelt haben – und wie viele Ressourcen da zu Verfügung stehen. Das ist richtig so. Wir haben es aber nach der Wiedervereinigung versäumt, etwas Vergleichbares für die osteuropäischen Staaten aufzubauen – vielleicht auch, weil viele dachten, das sei „irgendwie alles Russland“. Das ist natürlich gefährlicher Quatsch. Ich glaube, wir sollten nicht zu klein denken, wenn es jetzt um die Zeitenwende in den Köpfen geht.

Wie könnte das Ukraine-Zentrum konkret zu den ukrainischen EU-Beitrittsbestrebungen, -bemühungen beitragen?

Indem es zum einen eine deutschlandweite Ukraine-Expertise aufbaut und bündelt und indem es sich zum anderen mit ukrainischen Akteur*innen, insbesondere in der Wissenschaft und Forschung, vernetzt. Mir ist in diesem Prozess besonders wichtig, dass die Ukraine sagt, was sie braucht.

Das Ganze soll ja keine Selbstbespiegelung der deutschen Ukraine-Traumata werden. Aber klar ist auch: Das Zentrum ist nicht der verlängerte Arm von irgendjemandem – unsere Lehre und Forschung sind und bleiben frei.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

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