Frankfurter Erklärung

Warum Deutschland ein Ukraine-Zentrum bekommen soll

Sebastian Thomas20. April 2023
In der ostdeutschen Grenzstadt Frankfurt/Oder fordert die brandenburgische Kulturministerin Manja Schüle in einer Erklärung zusammen mit anderen Initiator*innen ein Ukraine-Zentrum.
In der ostdeutschen Grenzstadt Frankfurt/Oder soll, wenn es nach den Plänen der brandenburgischen Kulturministerin Manja Schüle und weiteren prominenten Persönlichkeiten geht, ein Ukraine-Zentrum entstehen.
Brandenburgs Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD) fordert zusammen mit weiteren Mitstreiter*innen ein Ukraine-Zentrum. Deutschland sei auf die Expertise der östlichen Nachbarn angewiesen - wie genau, haben sie in einer Erklärung festgehalten.

In der sogenannten „Frankfurter Erklärung“ fordern prominente Vertreter*innen aus Politik und Gesellschaft den Aufbau eines Ukraine-Zentrums. Zu den Intitiator*innen gehören unter anderem die brandenburgische Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD), Dietmar Nietan, Koordinator der Bundesregierung für deutsch-polnische Zusammenarbeit sowie der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev.

Für sie und andere habe der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine in der gesamten Europäischen Union, ganz besonders aber in Deutschland, weitverbreitete falsche Gewissheiten zerstört. „Er hat uns vor Augen geführt, wie dringend Politik, Gesellschaft und Medien auf fundiertes Wissen über unsere östlichen Nachbarn angewiesen sind. Nicht nur, aber aktuell vor allem über die Ukraine“, schreiben sie in dem zweiseitigen Papier.

Mit Ukrainer*innen reden, nicht über sie

Für sie klar: Es braucht einen neuen Ansatz. Nötig sei ihrer Meinung nach ein Zentrum, „das nicht nur zur Ukraine forscht, sondern vor allem auch lehrt, Wissenstransfer betreibt und eng mit ukrainischen Partner*innen verbunden ist“. Kurzum: Eine Einrichtung, in der nicht nur über die Menschen in der Ukraine geredet werde, „sondern mit ihnen“. Das Zentrum solle ein Ort des Forschens und Lehrens werden.

Die dort gewonnenen Erkenntnisse sollten im Idealfall auf die gesamte deutsche Wissenschaftslandschaft ausstrahlen. Darüber hinaus unterstütze man den Aufbau, damit ein intensiver transnationaler Dialog mit ukrainischen Partner*innen in Gang kommt. Zuletzt solle das Zentrum insbesondere mit Blick auf den Wiederaufbau und die EU-Beitrittsbestrebungen der Ukraine europäische Partner*innen vernetzen und zur gegenseitigen Unterstützung befähigen.

Ukraine-Zentrum könnte in Frankfurt/Oder entstehen

Auf die Frage, wo ein solches Zentrum entstehen soll, schlagen die Unterzeichner*innen die europäische Doppelstadt Frankfurt an der Oder/Slubice vor. Dieser Ort stehe exemplarisch für Partnerschaft und Grenzüberwindung und biete mit der Europa-Universität Viadrina ideale Anknüpfungspunkte für den Ausbau eines Ukraine-Zentrums. Manja Schüle und ihre Mitstreiter*innen sehen große Anknüpfungspunkte zwischen einem Ukraine-Zentrum und der Universität in der ostdeutschen Grenzstadt: In Frankfurt an der Oder beschäftige man sich schon seit sehr langer Zeit mit europäischen Zukunftsfragen.

„Auch die Viadrina wurde als Europa-Universität mit diesem Anspruch 1991 (wieder-)gegründet und diesen Anspruch lebt sie bis heute – gerade auch mit Blick auf die Ukraine.“ Darüber hinaus pflege die Universität sehr enge Kontakte in die Ukraine und an der Viadrina werde sehr rege zu dem von Russland angegriffenen Land geforscht und gelehrt. Zu den Erstunterzeichner*innen gehören neben der Sozialdemokratin und ehemaligen Präsidentin der Europa-Universität Viadrina, Gesine Schwan, die Grünen-Politikerin Marina Weisband sowie der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter.

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Kommentare

Sehr gut!

Ich hoffe, dann irgendwann auch ein mal ein parteigebundenes Ehrenamt, vielleicht sogar mehr, abzubekommen

„Warum ein Ukraine-Zentrum“?_1

Deutsche Staatsräson garantiert die Sicherheit Israels, und, so scheint es, auch die der Ukraine. Da ist es doch naheliegend, wenigstens ein Ukrainezentrum zu schaffen, von dem nicht nur „die dort gewonnenen Erkenntnisse ... auf die gesamte deutsche Wissenschaftslandschaft ausstrahlen“ sollen, sondern auch „die EU-Beitrittsbestrebungen der Ukraine mit europäischen Partner*innen vernetzt und zur gegenseitigen Unterstützung befähigt“ werden. Unbedingt notwendig wäre für letzteres ein solches Zentrum nicht mehr, denn SPD-KIP bis Nato/EU haben eigenständig „eines ihrer erfolgreichsten Instrumente wiederentdeckt: die Erweiterungspolitik“ und wollen „so schnell wie möglich die Voraussetzungen für die Aufnahme der Ukraine, Moldaus und perspektivisch Georgiens schaffen“ (KIP). Nato-Generalsekretär Stoltenberg stimmt da freudig zu. Die Russische Föderation leider nicht, denn „das revisionistische und imperialistische Russland zählt große Teile Osteuropas zu seiner Einflusssphäre“ (KIP), was natürlich (in dieser Richtung) nicht angeht.

„Warum ein Ukraine-Zentrum“?_2

Wir sollten einen (wirklich) kurzen Blick auf die Anfänge der Nato/EU-Ukraine-Beziehungen werfen.

Mit dem Zerfall der Sowjetunion wurde die Ukraine (1991) ein selbständiger Staat mit dem die Nato seit 1997 versuchte, eine „ausgeprägte Partnerschaft“ einzugehen, ausdrücklich unter Betonung der strategischen, „euro-atlantischen Sicherheitslage“ (Nato-Ukraine-Vertrag).1997, vermutlich, wollte die Ukraine-Bevölkerung noch nicht in die Nato/EU.
2008, weiß die SWP (März 2008), waren „nur 20% der Bevölkerung für einen Nato-Beitritt“, so dass die Stiftung Wissenschaft und Politik der „Allianz“ empfahl, sich nicht „gegen den Willen der betroffenen Bevölkerung um die Ukraine zu erweitern“. Aber „offenbar (war) in Washington die Entscheidung gefallen, ... auf die Aufnahme Georgiens und der Ukraine ... zu drängen“, obwohl es mit „Rücksicht auf Russland“ ratsam gewesen wäre, „eine als konfrontativ empfundene Nato-Entscheidung einzuschränken“. Merkel und Sarkozy wollten sie darum nicht, konnten sich aber dem „politischen Druck auf die Bündnispartner (durch Washington)“ (SWP 2008) nicht gänzlich entziehen, stimmten darum einer vagen Beitrittszusage zu.

Dann kam 2014 und 2022.