Warum eine Sozialdemokratin nicht mehr als Ärztin arbeiten will
Ihren letzten Monat als Ärztin für Allgemeine Chirurgie haben Sie in der ARD-Videodokumentation „My doctor’s life – Tagebuch einer Ärztin, die aussteigt“ aufgezeichnet. Dann haben Sie ihren Job geschmissen. Warum?
Die Arbeit als Ärztin mache ich leidenschaftlich gerne, aber die Arbeitsbedingungen und die Kommerzialisierung der Medizin wollte ich so nicht mehr akzeptieren. Wenn ich immer wieder Entscheidungen treffen muss, hinter denen ich nicht stehe, wird es schwierig.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Viele. Dass Patient*innen stationär aufgenommen werden, weil es sonst kein Geld für die ambulante Behandlung gibt. Dass sie nicht verlegt werden dürfen, weil sonst der Fall und damit das Geld verloren geht. Oder sie entlassen werden, obwohl man weiß, dass sie zu Hause noch nicht gut zurechtkommen. Das sind einige Beispiele.
Auf Ihre Dokumentation haben Sie viele Rückmeldungen erhalten. Wie war die Resonanz?
Ich habe mehr als 100 persönliche Rückmeldungen bekommen, die meisten von Menschen, die selbst im Gesundheitssystem arbeiten, wie Ärzt*innen, Pflegekräfte, Operationstechnische Assistent*innen und Medizinischen Fachangestellte. Viele haben mir geschrieben, dass sie auch bald gehen wollen oder bereits gegangen sind. Es gibt eine regelrechte Flucht aus diesen Berufen.
Was ist das Hauptproblem?
Die Kommerzialisierung. Sie muss raus aus dem Gesundheitssystem. Wir müssen Entscheidungen nach medizinischen Aspekten treffen, nicht nach ökonomischen. Natürlich kann die Wirtschaftlichkeit nicht ganz außen vorbleiben, denn wir haben nur begrenzt Geld. Aber man könnte mehr Arbeitskraft und damit auch Geld sparen, wenn Patient*innen die Leistungen bekommen, die sie eigentlich brauchen und nicht die, die sie eigentlich nicht brauchen und die ihnen vielleicht sogar schaden. Aktuell herrschen aber die falschen Anreize bei der Vergütung. Der Grund dafür liegt in der Finanzierung über die Fallpauschalen. Deshalb haben wir die schlechten Arbeitsbedingungen und den hohen Kostendruck.
Sie sprechen von enormer Arbeitsbelastung. Wie sah ihr Arbeitsalltag aus?
Als Ärztin hatte ich vertraglich eine Arbeitswoche von ca. 40 Stunden, da kommen aber on top die 24-Stundendienste hinzu. Laut Tarifvertrag sind es höchstens vier im Monat. Wenn ich dann zum Beispiel am Samstag einen 24 -Stunden-Dienst mache, sind es bereits 64 Wochenstunden als Regel ohne Überstunden. Einen Ausgleich dafür in der Folgewoche gab es nicht. In der Realität hatten wir allerdings um die sechs bis sieben 24-Stunden-Dienste pro Monat. Viele Fachkräfte zieht es inzwischen in die Leiharbeit. In Berlin arbeiten inzwischen elf Prozent der Pflegekräfte über Zeitarbeitsfirmen. Gehalt und Arbeitsbedingungen sind besser, sie müssen keine Überstunden machen. Da sie weniger Verantwortung haben und Arbeitsorte wechseln, interessieren sie sich aber auch weniger für die Entwicklung im Betrieb. Das ist ein Riesenproblem und sorgt beim angestellten Klinikpersonal wiederum für Überlastung, denn irgendjemand muss ja immer einspringen.
Was müsste passieren, damit sie in ihren Beruf als Ärztin zurückkehren?
Wir brauchen einfach genug Personal auf den Stationen und ich möchte als Ärztin Entscheidungen nach rein medizinischen Gründen fällen können. Ich möchte nicht Zahlen generieren wie in einer Schuhfabrik, denn wir sind keine Schuhfabrik und können nicht kranke Menschen aus dem Boden zaubern, um genug Fälle zu generieren. Es ist doch völlig unsinnig, dass Krankenhäuser um die Anzahl von Patient*innen in Konkurrenz untereinander stehen. Die müssen einfach nur gut versorgt werden, ganz gleich wo.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat eine Krankenhausreform vorgelegt, die das System der Fallpauschalen nicht abschaffen, aber einschränken will. Was ist ihre Meinung dazu?
Das geht in die richtige Richtung. Leider aber will die Reform das Fallpauschalensystem nur abschwächen, das System an sich aber behalten. Deshalb bin ich skeptisch, denn das wird nicht genug sein. Es wird noch zu viel Ökonomie bleiben. Lauterbach wird am Ende auch noch mit der FDP verhandeln müssen und da wird erst dann wird sich herausstellen, wie viel an Marktmechanismen die im System behalten will. Zwischen dem derzeitigen System und einem guten sozialdemokratischen System der Bürgerversicherung wird die jetzige Klinikreform irgendwo in der Mitte anzusiedeln sein. Lauterbach hat eine Revolution versprochen, aber es bleibt die Sorge, dass es ein Reförmchen bleibt. Ich wünsche mir mehr.
Werden Sie sich weiterhin politisch engagieren?
Auf jeden Fall. Als Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokrat*innen im Gesundheitswesen in Südhessen werde ich mich weiterhin dafür engagieren, das Gesundheitssystem sozial gerecht zu gestalten. Und ich kandidiere für den Wahlkreis 39 (Frankfurter Nordosten) für den Hessischen Landtag. Die SPD ist in Verantwortung, wir haben das Gesundheitsministerium und haben die Möglichkeit zu gestalten. Deshalb müssen wir jetzt auch liefern.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.