Inland

Warum Deutschland die zivile Seenotrettung mit finanziert

Mit acht Millionen Euro finanziert der Bundestag die zivile Seenotrettung im Mittelmeer. Das sorgt für Kritik aus Italien. Dabei übernehmen die privaten Retter*innen Aufgaben, die eigentlich die EU-Staaten lösen müssten.
von Kai Doering · 10. Oktober 2023
Eigentlich eine staatliche Aufgabe: Private Seenotretter von SOS Humanity im Mittelmeer
Eigentlich eine staatliche Aufgabe: Private Seenotretter von SOS Humanity im Mittelmeer

Die Entscheidung liegt fast genau ein Jahr zurück. Mitte November beschloss der Haushaltsausschuss des Bundestags, dass die zivile Seenotrettung zwischen 2023 und 2026 mit acht Millionen Euro unterstützt wird. Jedes Jahr sollen zwei Millionen Euro aus dem Etat des Auswärtigen Amtes an unterschiedliche Projekte „auf See und an Land“ fließen. Erste Auszahlungen sollten im Herbst an ein Projekt der christlichen Gemeinschaft Sant'Egidio zur Versorgung von Geretteten an Land gehen, weitere Mittel an die Seenotrettungs-Organisationen SOS Humanity und Sea-Eye. Es handele sich jeweils um Summen zwischen 300.000 und 800.000 Euro. Nach Angaben der Bundesregierung wurden im vergangenen Jahr rund 4.900 Menschen im Mittelmeer von Organisationen der Seenotrettung mit Sitz in Deutschland gerettet.

Die CDU unterstützt die Forderung von Meloni

Doch um die Unterstützung ist nun ein Streit entbrannt. Der italienischen Regierung um die Post-Faschistin Giorgia Meloni ist die zivile Seenotrettung schon lange ein Dorn im Auge. Im September forderte sie in einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz die Einstellung der Unterstützung. Zudem sollten die von privaten Schiffen aus Seenot Geretteten in die Herkunftsstaaten der jeweiligen Schiffshalter gebracht werden. Die „Bild“ meldete daraufhin am Wochenende, das Auswärtige Amt werde die Finanzierung der Seenotrettung einstellen, was ein Sprecher des Amtes dementierte.

Unterstützung erhielt Meloni von der CDU. Deren stellvertretender Bundestagsfraktionsvorsitzende Johann Wadepuhl bezeichnete die Haltung der italienischen Regierung als berechtigt und warf den privaten Rettungsorganisationen vor, Schleuserbanden ihr Geschäft erst zu ermöglichen. „Dafür sollte kein deutsches Steuergeld verwendet werden“, so Wadepuhl in der „Welt“. Ähnlich äußerte sich CDU-Chef Friedrich Merz.

Schwabe: Eigentlich müsste die Rettung staatlich passieren

Frank Schwabe bezeichnet das als „Quatsch“. Schließlich habe bereits eine Reihe von Untersuchungen widerlegt, dass Flüchtende den Weg über das Mittelmeer wählen, weil sie darauf setzen, im Zweifel von zivilen Schiffen gerettet zu werden. „Es ist zynisch zu sagen, wir dürfen niemanden mehr retten, weil dann noch mehr Menschen kommen“, sagt der Sprecher für Menschenrechte und humanitäre Hilfe der SPD-Bundestagsfraktion.

Die Entscheidung des Bundestags, die zivile Seenotrettung finanziell zu unterstützen, verteidigt Schwabe. „Wir müssen Ertrinkenden helfen. Das ist ein Grundsatz der Menschlichkeit“, findet Schwabe und verweist darauf, dass die privaten Rettungsschiffe ihren Einsatz erst verstärkt hätten, als die italienische Marine die Rettung Geflüchteter im Oktober 2014 einstellte. „Eigentlich müsste die Rettung staatlich passieren, das tut sie aber nicht“, sagt Schwabe.

Europaparlament will europäisch koordinierte Rettungsmission

Im Juli forderte das Europaparlament deshalb in einer gemeinsamen Entschließung, die Seenotrettung im Mittelmeer als gesamteuropäische Aufgabe anzugehen. Zuvor waren bei einer Schiffskatastrophe vor der griechischen Küste mehrere hundert Menschen ums Leben gekommen. „Zentral ist dabei unsere Forderung nach einer europäisch koordinierten Seenotrettungsmission, mit der die Kräfte der Mitgliedsstaaten gebündelt und durch Frontex (die europäische Grenzschutzagentur, Anm.d.Red.) unterstützt werden sollen“, erklärt die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel.

Ein koordiniertes Vorgehen im Umgang mit Geflüchteten ist auch das Ziel des Menschenrechtspolitikers Frank Schwabe. „Wir brauchen eine langfristige Antwort“, sagt Schwabe. „Dabei dürfen wir die Länder, in denen die Erstaufnahme erfolgt nicht allein lassen.“ Konkret könnte das bedeuten, Geflüchtete von Inseln wie Lampedusa in sichere Länder außerhalb der EU zu bringen, damit sie dort ein Asylverfahren durchlaufen. Ist dieses nicht erfolgreich, müssten sie in ihre Heimatländer zurückkehren.

Klare Regelung im Koalitionsvertrag

„Wir streben eine faire Verantwortungsteilung zwischen den Anrainerstaaten des Mittelmeers bei der Seenotrettung an und wollen sicherstellen, dass Menschen nach der Rettung an sichere Orte gebracht werden“, heißt es auch im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Die Ampel-Parteien sprechen sich darin auch für „eine staatlich koordinierte und europäisch getragene Seenotrettung im Mittelmeer“ aus, denn „es ist eine zivilisatorische und rechtliche Verpflichtung, Menschen nicht ertrinken zu lassen“.

In einer ersten Fassung des Textes hieß es, das Auswärtige Amt gebe das Geld an das Seenotrettungsbündnis „United4Rescue“, das dieses an unterschiedliche Projekte weiterleitet. Das ist falsch. Wir haben es korrigiert.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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