Vermögensverteilung

Warum Erbschaften die Spaltung der Gesellschaft vertiefen

Vera Rosigkeit09. Februar 2023
Letzter Wille: Wer von Erbschaften profitiert, ist in Deutschland höchst ungleich verteilt.
Letzter Wille: Wer von Erbschaften profitiert, ist in Deutschland höchst ungleich verteilt.
Rund 400 Milliarden Euro werden jährlich in Deutschland vererbt. Wer wieviel bekommt, ist dabei sehr ungleich verteilt. Steuert der Staat nicht gegen, droht sich die Spaltung der Gesellschaft weiter zu vertiefen.

Erben ist schön, und im Leben etwas zu schaffen, das man weitergeben kann, sei ein verständlicher Wunsch vieler, sagt Norbert Walter-Borjans, ehemals SPD-Chef. Doch für die Hälfte der Bevölkerung bleibt es ein unerfüllbarer Traum. „In keinem anderen Industrieland ist Vermögen so ungleich verteilt und die Chance, ohne Erbschaft alleine mit Arbeit zu Vermögen zu kommen, so gering wie hierzulande“, betont der Ex-Finanzminister Nordrhein-Westfalens bei einer Veranstaltung des „vorwärts“ zu dem Thema in Berlin. Für ihn zeige sich beim Erben und Nichterben die wachsende Spaltung der Gesellschaft auf ganz besondere Art und Weise.

Wer erbt, ist sehr ungleich verteilt

Große Unterschiede gibt es bereits in der Gruppe der Erb*innen. Denn von den schätzungsweise 400 Milliarden Euro, die jährlich in Deutschland vererbt werden, erben lediglich zehn Prozent beinahe die Hälfte. Die andere Hälfte teilen sich die übrigen 90 Prozent. Und davon versteuert wurden wiederum nur 118 Milliarden. 

Julia Jirmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit ging im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung der Frage nach, wie viel Vermögen in den Jahren 2009 bis 2020 aufgrund von Sonderregelungen für Unternehmensübergänge steuerfrei vererbt wurden. Danach erhielt in diesem Zeitraum eine kleine Gruppe von 3.630 Fällen (0,1 Prozent) 64 Prozent des gesamten weitergereichten steuerfreien Vermögens von rund 260 Milliarden Euro. 

Der Staat geht leer aus

„Damit gehen fast zwei Drittel des steuerbefreiten Vermögens an wenige Einzelpersonen“, sagt Jirmann im vorwärts-Interview. Bei einem geltenden Steuersatz von mindestens 27 Prozent, „hat der Staat in diesem Zeitraum auf rund 70 Milliarden Euro verzichtet“. Weitere 33 Milliarden Euro erhielten laut Jirmann Kinder unter 14 Jahren, und das zu 99 Prozent steuerfrei.

Jirmann weist auf zwei weitere Ergebnisse hin: So schnitten Frauen beim Erben deutlich schlechter ab – bei Schenkungen von mehr als 250 Millionen Euro machten sie nur noch 32 Prozent aus – und nur zwei Prozent des steuerpflichtigen Erb- und Schenkungsvolumens landeten in Ostdeutschland.

„Wir haben in Deutschland eine regressive Erbschaftsteuer“, zieht Jirmann Bilanz. Je höher das Erbe und die Schenkung, desto niedriger der Steuersatz. Das bedeute, dass sich die ohnehin schon ungleichen Vermögensverhältnisse weiter verfestigen. Walter-Borjans beschreibt es so: „Mittlerweile sind Konstruktionen bekannt, die zu einer hundertprozentigen Verschonung auch großer und größter Unternehmenserbschaften führen.“ Es sei ein Skandal, dass man so gut wie sicher sein könne, keinen Cent Erbschaftsteuer zahlen zu müssen, wenn das Erbe groß genug sei. 

Ist Erben gerecht?

Das ruft die Gerechtigkeitsfrage auf den Plan: So fordert etwa die Initiative #FairErben, ein Bündnis aus Gewerkschaften und Vereinen, Steuerprivilegien für Superreiche abzuschaffen und setzt sich für eine wirklich progressive Erbschaft- und Schenkungsteuer ein. Damit steht sie nicht alleine. Schon 2021 forderte eine Reihe von Vermögenden in einem Appell „taxmenow“ eine höhere Besteuerung von Millionenvermögen.

„Ist Erben gerecht?“ Dieser Frage gingen auch Norbert Walter-Borjans und der Publizist und SPD-Politiker Yannick Haan nach. Haan ist einer, für den sich der „Traum des Erbens“ erfüllt hat. In seinem Buch „Enterbt uns doch endlich!“ schildert er, wie sehr diese Erbschaft sein Leben und das Verhältnis zu seinen Freunden verändert hat. Das hat ihn zu grundsätzlicheren Fragen geführt, beispielsweise warum Erben ein Tabuthema ist und wie sehr Erbschaften Vermögensunterschiede zementieren. Er plädiert für eine Debatte ohne Scheuklappen, wenn es um Steuerpolitik geht. Gerade in Krisenzeiten müsse es darum gehen einzugreifen. Denn in Deutschland ist genügend Vermögen vorhanden, damit alle gut leben können.

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Kommentare

Erben ist schön? Wirklich? Ich denke, dass so eine

Aussage den Widerspruch geradezu herausfordert, denn Erben geht nur einher mit dem Tod eines nahestehenden Menschen. Was daran schön ist, bleibt das Geheimnis der Autorin, der ich na dieser Stelle gerne ein wenig mehr Fingerspritzengefühl wünschen würde. Natürlich ist jede frei werdende Wohnung ein Gewinn für den Wohnungsmarkt, aber die dazu führenden Umstände dürfen doch dafür gerade in diesen Tagen nicht positiv besetzt werden. Ich würde mir wünschen, man würde was das Erben angeht, nicht so sehr auf die Verteilung des Fells, heisst den Zugriff des Staats zur Verteilung an die aus Regierungssicht zu begünstigenden Setzen, sondern das Ganze im Auge behalten. Daran mangelt auch in diesem Artikel

Vorzeitiges Erbe

Lieber Max, unsere Autorin hat nicht behauptet, dass erben schön ist. Eher hat sie Norbert Walter-Borjans zitiert, der gesagt hat, dass erben schön ist. Darüber hinaus muss eine Person zwangsläufig nicht vorher sterben, damit eine andere Person etwas von diesem Menschen erbt - es gibt auch die Möglichkeit vorzeitig etwas zu erben. Daher kann ich deinen angesprochenen Mangel, den der Beitrag deiner Meinung nach ausmacht, auch nicht nachvollziehen.

oha, ein Kenner im Kleingedruckten,

respekt. Ich nehme das zur Kenntnis, bleibe in der großen Linie aber dabei. Nich alles , was NWB sagt, ist auch zitierfähig

Nicht alles, was NWB sagt, ist auch zitierfähig

NWB hat jedenfalls das sehr gute, aufschlussreiche Buch geschrieben:
Steuern - der große Bluff

Das ist bestimmt zitierfähig und lesefähig!

Rezension:

https://www.socialnet.de/rezensionen/25065.php

Von der Politik erzeugte Armut spaltet die Gesellschaft!

Einerseits gibt es den seit Ende 1973 stattfindenden Armutszuzug, der 2015 von CDU+CSU+SPD+(Grünen, Linke, FDP) dann auch noch schlagartig erhöht und seitdem beibehalten wurde und wird.

Andererseits raubte man Bürger mit der Agenda 2010 und Hartz-IV aus und drängte sie in den in Deutschland eigens dafür geschaffenen grössten Niedriglohnsektor eines EU-Staates.

Reich und vermögend wurde und wird man durch Arbeit in der Regel nicht, doch man konnte sich bis 1998 bei gerade noch ordentlichen Löhnen&Gehältern einen kleinen Wohlstand schaffen.

Man muss in Deutschland wieder eine Politik machen, die genau das wieder ermöglicht. Doch gegenwärtig will man eher den Armutszuzug verstetigen.

Das kostete und kostet jede Menge Geld, das den Bürgern aus der Tasche gezogen wurde und wird. Schon allein dadurch schädigt man die Bürger.

doch , man wird reich, allein die Zahl der

Arbeiter, die den Spitzensteuersatz zahlen wird immer größer und wenn die Forderungen der Gewerkschaften für die Postbediensteten erfolgreich durchgesetzt wird, gehört demnächst auch ein Briefträger zu den Reichen, wenigstens zur gehobenen Mittelschicht. Ihre Behauptung ist damit glänzend widerlegt

Ja, den Spitzensteuersatz zahlen schon Facharbeiter

So argumentierte man bereits in der Regierung Schröder I. Da wurden 1998 damalige Durchschnitssverdiener [monatlich 3.600 DM brutto] als "Gutverdiener" bezeichnet.

genau, und die Entwicklung dauert ja an, nach den

Facharbeitern kommen die Arbeiter in den Genuss, reich zu sein Auch der zum Mindestlohn arbeitende steht in aussichtsreicher Position, muss allerdings noch etwas geduld aufbringen, bis dann irgendwann einmal nur noch Spitzensteuersatzzahler und Transferleistungsempfänger da sind, dann ist die Spaltung der Gesellschaft vollendet

Erben?

Ein Erbe ist meistens eine zusätzliche Bereicherung für den Erben, für die keine eigene Leistung erbracht wurde. Deshalb empfinde ich das Konstrukt strukturell unfair.

Lob

Frau Rosigkeit hat einen sehr informativen Artikel verfasst. Es dürfte jeder und jedem klar geworden sein, dass das deutsche Steuersystem hochgradig ungerecht war und ist und damit die Ungleichheit verfestigt hat. Sehr vielen Menschen in Deutschland könnte es sehr viel besser gehen (ökonomisch, ökologisch, psychisch und physisch), wenn die deutsche Steuerpolitik gerechter/ausgewogener wäre - wenn 'starke Schultern' mehr tragen müssten als 'schwache Schultern'. Und das würde die 'starken Schultern' bestimmt nicht schwach machen!