„Schämt euch!“ – Tausende Menschen protestieren gegen FDP-Ministerpräsident
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„Schämt euch, schämt euch!“ – die Rufe werden immer lauter. Mehr als 1.000 Menschen demonstrieren am Mittwochabend vor dem Hans-Dietrich-Genscher-Haus, der FDP-Bundeszentrale in der Berliner Reinhardtstraße. Sie protestieren gegen die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen wenige Stunden zuvor. Der Liberale war in geheimer Wahl auch durch die Stimmen der rechtsextremen AfD ins Amt gekommen.
Während im Hintergrund die Lichter des Friedrichstadtpalastes glitzern, wehen vor der FDP-Zentrale an diesem Abend die Fahnen von SPD, Grünen und Linken. Zur spontanen Kundgebung hatten auch die Jusos aufgerufen. Deren Berliner Landesvorsitzende Annika Klose kommentiert die Geschehnisse mit den Worten: „CDU und FDP sollten sich schämen. Für einen kurzfristigen Wahlerfolg paktieren sie mit Faschist*innen wie Höcke. Wir sind entsetzt und angewidert und rufen alle Demokrat*innen zum Widerstand auf.“
„Ganz Berlin hasst die FDP!“
Widerstand bedeutet an diesem Abend gellende Pfiffe für die FDP und Rufe wie „Fünf Prozent, wer denkt ihr, wer ihr seid?“, „Wer hat uns verraten? Freie Demokraten!“ oder „Ganz Berlin hasst die FDP!“. Eine Sprecherin ruft über ein Megaphon: „Wir sind hier, um ein Zeichen gegen den Faschismus zu setzen.“
Zuvor hatten bereits zahlreiche Menschen am späten Nachmittag vor dem Konrad-Adenauer-Haus, der CDU-Bundeszentrale, demonstriert. Unter ihnen war auch der stellvertetende SPD-Vorsitzende und Juso-Bundesvorsitzende Kevin Kühnert. Er sagte: „Der 5. Februar 2020 wird in die Geschichtsbücher eingehen als der Tag, an dem der Faschist Björn Höcke entscheiden konnte, wer ein deutsches Bundesland regiert. Ermächtigt dadurch wurde er durch die örtlichen Vertreter von FDP und CDU.“
Kühnert machte daher deutich, was er nun insbesondere von der CDU, dem Koalitionspartner der SPD im Bund, erwartet: „Was heute geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden, aber es muss rückgängig gemacht werden. Wir erwarten von unserem Koalitionspartner, jetzt nicht nur die Situation zu beklagen, sondern alles dafür zu tun, dass Herr Kemmerich nicht Ministerpräsident bleibt und die Situation in Thüringen bereinigt werden kann.“ Darüber werde es „sehr zeitnach“ Gespräche im Koalitionsausschuss geben, kündigte Kühnert an. Wie es anschließend weitergehe, solle am Sonntag im SPD-Parteivorstand beraten werden.
„Bodo ans Fenster!“
Auch in Thüringen gab es am Abend spontane Demonstrationen mit insgesamt mehreren tausend Menschen. Vor der Staatskanzlei in Erfurt skandierten die Demonstrant*innen „Bodo ans Fenster“ und bildeten eine Menschenkette um das Gebäude. Auf dem Jenaer Holzmarkt kamen etwa 2.000 Demonstrant*innen zusammen. Auch in anderen Thüringer Städten wie Gera, Weimar, Gotha und Ilmenau kam es zu Spontandemonstrationen.
Darüber hinaus versammelten sich Menschen in zahlreichen weiteren deutschen Städten, etwa in Köln, Düsseldorf, Leipzig, Magdeburg, München, Hamburg oder Kiel, wo etwa 100 Personen demonstrierten, darunter die stellvertetende SPD-Bundesvorsitzende und schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Serpil Midyatli. Sie schrieb auf Facebook: „Auf Schleswig-Holstein ist Verlass. Nachdem FDP und CDU gemeinsam mit der AfD in Thüringen den Ministerpräsidenten gewählt haben, gab es sofort eine spontane Demonstration mit 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Gemeinsam stehen wir gegen Rechts!“
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo