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Einsatz von KI: Warum SPD-Chefin Esken starke Schutzrechte fordert

Laut Saskia Esken hat die fortschreitende Digitalisierung einiges an Dividende zu bieten, vorausgesetzt alle Menschen sind daran fair beteiligt. Gleichzeitig fordert die SPD-Chefin starke Schutzrechte, wenn es um den Eisnatz von KI geht.
von Vera Rosigkeit · 30. Mai 2023
Will beim Einsatz von Künstlicher Inetelligenz auch in der Arbeitswelt für eine gute Verteilung sorgen, SPD-Chefin Saskia Esken.
Will beim Einsatz von Künstlicher Inetelligenz auch in der Arbeitswelt für eine gute Verteilung sorgen, SPD-Chefin Saskia Esken.

Der Einsatz sogenannter Künstlicher Intelligenz (KI) birgt viel positives Potenzial. Haben Sie ein Beispiel?

Die fortschreitende Digitalisierung hat einiges an Dividende zu bieten, um das Leben der Menschen einfacher zu machen. Durch die besondere Fähigkeit der Methoden der Künstlichen Intelligenz können große Datenmengen ausgewertet und miteinander verknüpft werden. So lassen sich beispielsweise Medikationspläne oder auch Therapieansätze erstellen, die auf die persönliche Situation und Erkrankungszusammenhänge zielen. Damit können wir eine bessere individuelle Medizin hinbekommen. Diese Dividende muss aber allen Menschen zugutekommen und nicht nur denen, die es sich leisten können. Nicht zuletzt, weil die Künstliche Intelligenz diese Mehrwerte aus Daten generiert, die wir alle produziert haben, die also auch Gemeingut sein sollten. Es muss zudem immer auch der Datenschutz gewahrt und damit der besonderen Sensibilität von Gesundheitsdaten Rechnung getragen werden.

Es gibt eine Reihe Experten, die eine Pause bei der Entwicklung von KI fordern. Was halten Sie davon?

Ich halte nicht viel von einem Moratorium, weil wir ja gar nicht in der Lage sind, alle darauf zu verpflichten. Und wer sich dann nicht daranhält, verschafft sich einen Vorsprung. Ganz klar braucht es aber jetzt eine Regulierung auf Ebene der Europäischen Union – der AI Act ist ja nun auf dem Weg. Handlungsleistend müssen unsere Grundwerte sein. Die SPD steht für einen transparenten, gemeinwohlorientierten Einsatz von KI-Modellen, in dem der Mensch die Kontrolle behält und im Zweifel das letzte Wort hat. In unserem aktuellen Papier zur sozialdemokratischen Digitalpolitik, das wir Anfang Mai erarbeitet und veröffentlicht haben, gehen wir auch darauf ein.

Bleiben wir bei dem Ziel, dass der Mensch die Oberhand behalten muss. Welche Aufgabe hat die Politik dabei?

Der Bundestag hat in der Enquete-Kommission zur künstlichen Intelligenz einen Ansatz erarbeitet, die Regulierung von Künstlicher Intelligenz von Risikostufen abhängig zu machen. Bei einem höheren Risiko im Sinne von starkem Einfluss auf den Lebensweg eines Menschen sollte immer eine menschliche Letztentscheidung gegeben sein und natürlich auch ein Rechtsweg. Wenn wir schädliche Tendenzen wie z. B. diskriminierende Entscheidungen verhindern wollen, brauchen wir Transparenz vor allem über die Daten. Die Systeme lernen aus Daten, die unsere Realität abbilden, und die ist nicht diskriminierungsfrei.

Die technologische Entwicklung scheint aktuell rasend schnell. Können politische Entscheidungen mithalten?

Wir müssen schneller und agiler sein, aber auch grundsätzlicher regeln, um technologische Entwicklung mit abbilden zu können. Dann darf man natürlich keine Anwendungen aufzählen, die man regulieren will, sondern eher deren Funktionsweise und Wirkung. Außerdem müssen wir Methoden finden, wie sich ein Gesetz immer weiterentwickeln kann. Aber Gesetze müssen auch durchgesetzt werden. Dazu braucht es gut ausgestattete Behörden und Justiz.

Müssen diese Entscheidungen nicht auch international gültig sein?

Wir haben mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) oder dem Digital Services Act, der Plattformen beispielsweise bei Hass und Hetze in die Pflicht nimmt, gezeigt, dass wir europäisch regulieren können. Auch Global Player wie Google, Apple, Facebook, Amazon oder TikTok müssen sich in Europa an die Regeln halten. Außerdem können wir mit unserer Gesetzgebung beispielgebend sein – die europäische DSGVO findet mittlerweile Nachahmung.

Reicht das aus, um uns – wie Sie fordern – die Netze zurückzuholen?

Wir wollen, dass die großen Player sich an die Regeln halten, wir wollen aber auch Alternativen dazu stark machen. Man hat lange geglaubt, ein deutsches oder europäisches Facebook würde sowieso nie fliegen. Und dass man gegen die eine große Marktmacht nicht ankommt. Aber mittlerweile haben die sogenannten sozialen Netzwerke ihren Charakter verloren. Wir brauchen doch digitale öffentliche Räume, wo Menschen sich informieren, sich miteinander vernetzen, sich austauschen. Wir wollen die Frage stellen: Wie stellen wir uns soziale Netzwerke eigentlich vor? Was müssen die leisten?

KI verändert auch die Arbeitswelt. Sie sprechen von einer digitalen Dividende. Was ist damit gemeint?

Wir müssen die Veränderungen der Arbeitswelt so gestalten, dass sie allen gleichermaßen zugutekommt und dass nicht die einen ihren Job verlieren und die anderen künftig 120 Prozent arbeiten. Wir müssen für eine gute Verteilung sorgen. Alle müssen einen Zugewinn an Selbstbestimmung und Lebensqualität haben und nicht nur die, die Homeoffice auch realisieren können.

Was sagen Sie zur 4-Tage-Woche?

Die 4-Tage-Woche ist ein spannender Ansatz. Nehmen wir als Beispiel das Arbeitszeitmodell einer Reha-Klinik in meinem Wahlkreis. Dort wird 36 Stunden an vier Tagen gearbeitet, also neun Stunden pro Tag. Weil die Leute weniger pendeln mussten und mehr Freizeit hatten, waren sie viel zufriedener, haben seltener gekündigt und waren seltener krank. Gleichzeitig hat sich eine höhere Vollzeitquote ergeben, weil einige Frauen aus Teilzeit aufstocken konnten. Das könnte eine Antwort auf den Fachkräftemangel sein, weil viele der Frauen, die derzeit in Teilzeit tätig sind, ihre Teilzeit durch flexible Arbeitszeitmodelle anheben können. Damit steigt die Erwerbsbeteiligung insgesamt.

Wie sieht es mit einer gerechten Besteuerung der Gewinne aus?

Dass global agierende Unternehmen ihren gerechten Anteil an der Finanzierung des Gemeinwesens leisten, liegt für mich auf der Hand. Wir wollen das mit einer globalen Mindestbesteuerung sicherstellen. Das ist ein wichtiges Ziel. Wir wollen aber auch dafür sorgen, dass nicht-monetäre Mehrwerte, die durch die Digitalisierung entstehen, gerecht verteilt werden: Effizienzsteigerungen, die beispielsweise in der Pflege dazu führen, dass bürokratischen Tätigkeiten weniger werden, sollten nicht dazu führen, dass weniger Pflegekräfte im Einsatz sind, sondern dass mehr Zeit für Patientinnen und Patienten bleibt.

Der Mensch soll die letzte Entscheidung haben. Wie können wir Menschen befähigen, souverän zu bleiben, um diese Verantwortung zu tragen?

Wir brauchen ein Bildungssystem, in dem die Menschen eine grundlegende digitale Bildung erhalten und verstehen, wie Algorithmen arbeiten. Auch dazu finden sich einige Vorschläge in unserem Digitalpapier. Wir müssen wissen, was die sogenannte Künstliche Intelligenz leisten kann und was nicht, um das nötige Selbstbewusstsein zu erhalten, sich über den Vorschlag der Maschine hinwegzusetzen. Und wir brauchen starke Schutzrechte. Eine demokratisch ausgehandelte Regulierung macht uns ebenfalls stark und selbstbewusst. Wir sollten uns lösen von Ideen, die eher in der Popkultur über Künstliche Intelligenz entstanden sind. Hier geht es nicht um „I, Robot“– dass eine KI ein Bewusstsein entwickelt und uns irgendwann auch emotional überlegen sei, hat mit der Realität nichts zu tun. Ich war kürzlich an einem Institut für Künstliche Intelligenz an der Uni Bremen, wo Roboter entwickelt werden. Die werden ganz gezielt so gestaltet, dass sie eben nicht aussehen wie ein Mensch, damit man genau diesem Trug- und Fehlschluss nicht unterliegt. Trotzdem haben wir dieses Bild im Kopf und das macht uns ehrfürchtig. Das ist aber die falsche Haltung, denn wir sind diejenigen, die gestalten.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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