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Richtlinie zur Gewalt gegen Frauen: Durchbruch für Frauenrechte in Europa?

Eine neue EU-Richtlinie soll Frauen vor Gewalt schützen. Die Vorsitzenden der SPD Frauen, Ulrike Häfner und Maria Noichl, sehen jedoch noch Verbesserungsbedarf. Auch bei einem deutschen Gesetz hoffen sie auf einen Durchbruch.

von Kai Doering · 15. Februar 2024
SPD Frauen-Vorsitzende Ulrike Häfner (l.) und Maria Noichl: Konservative Regierungen versuchen eine moralisch aufgeladene Version von Sexualität und gleichzeitig ein traditionelles Rollenbild auf dem Rücken der Frauen durchzudrücken.

SPD Frauen-Vorsitzende Ulrike Häfner (l.) und Maria Noichl: Konservative Regierungen versuchen eine moralisch aufgeladene Version von Sexualität und gleichzeitig ein traditionelles Rollenbild auf dem Rücken der Frauen durchzudrücken.

Stalking im Internet, Zwangsheirat und weibliche Genitalverstümmelung stehen künftig in der gesamten EU unter Strafe. Auf eine entsprechende Richtlinie haben sich das Europaparlament und die EU-Staaten Anfang Februar verständigt. Das klingt nach einem Durchbruch für Frauenrechte in Europa.

Maria Noichl: Ja, und doch nein. Die meisten Mitgliedstaaten waren bereits vor der Richtlinie in diesen Bereichen gut aufgestellt. Aber die, die beispielsweise die Istanbul-Konvention nicht ratifiziert und umgesetzt haben, werden ganz klar von diesen gemeinsamen Mindeststandards profitieren. Wichtig ist, dass wir mit der ersten europäischen Richtlinie zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt einen Grundstein legen und das Thema jetzt auf der Agenda der europäischen Politik angekommen ist. Mit der Revisionsklausel haben wir zudem dafür gesorgt, dass wir in fünf Jahren nachjustieren können. Wir hoffen dann zum Beispiel, die Straftatbestände ausweiten zu können.

Auf EU-weite Standards beim Tatbestand der Vergewaltigung gab es dagegen keine Einigung. Was bedeutet das in der Praxis?

Noichl: Leider haben sich hier Länder wie Ungarn, Frankreich, aber auch Deutschland, quergestellt. Ihnen war die rechtliche Basis zu unsicher – eine Einschätzung, die von vielen Stellen nicht geteilt wurde. Hier sei nur der juristische Dienst der Kommission oder auch der Deutsche Juristinnenbund genannt. 

Fakt ist: Nun wird das Prinzip „ja heißt ja“ nicht, wie von uns und dem Europäischen Parlament gefordert, europaweit als Standard bei der strafrechtlichen Verfolgung von Vergewaltigung festgehalten. Wir konnten hier nur einen Artikel zur Prävention festschreiben, der das Prinzip nur „ja heißt ja“ als Grundsatz hat. Das bedeutet in der Praxis: Nur, wenn die Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene beschließen, hier eine Reform voranzutreiben, wird sich derzeit etwas ändern. 

Und das wäre dringend notwendig, denn es gibt in der EU weiterhin elf Mitgliedsstaaten, die in ihrer strafrechtlichen Definition von Vergewaltigung das Konzept des Einvernehmens vollkommen unbeachtet lassen. Hier zählt weiterhin nur, ob  das Opfer nachweisen kann, dass der Täter Gewalt angewandt hat. „Gefriert“ das Opfer, hat es sich also nicht gewehrt, kann ein Täter hier nicht verurteilt werden. Zu diesen Ländern gehören zum Beispiel Frankreich und Italien, aber auch Ungarn.

Argentiniens Präsident Javier Milei will das Recht auf Abtreibung weitgehend abschaffen und selbst vergewaltigte Frauen zur Schwangerschaft zwingen. In Polen hat Donald Tusk angekündigt, das unter der vorherigen Regierung verschärfte Abtreibungsrecht wieder zu lockern. Warum spielt das Thema für rechtsgerichtete Regierung eine so große Rolle?

Ulrike Häfner: Dies ist die ultimative Macht, die über Frauen ausgeübt werden kann. Eine Frau wird damit für die Nutzung ihrer Freiheit bestraft, sie darf nicht selbst über ihren Körper entscheiden und muss gegen ihren Willen Mutter werden. Konservative Regierungen versuchen damit eine moralisch aufgeladene Version von Sexualität und gleichzeitig ein traditionelles Rollenbild auf dem Rücken der Frauen durchzudrücken. 

Auch wenn es sich um eine Vergewaltigung handelt, auch wenn die Schwangerschaft das Leben der Schwangeren bedroht. Hiermit wird deutlich gemacht: Das Leben einer Frau ist immer weniger Wert als das eines Ungeborenen und Frauen haben sich ihrem Schicksal zu fügen.

Auch in Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche offiziell illegal. Haben Sie Hoffnung, dass die Bundesregierung hier noch etwas ändert?

Häfner: Die sogenannte Fristenlösung erlaubt es Frauen, unter bestimmten Bedingungen einen Abbruch vornehmen zulassen. Natürlich sind wir der Meinung, dass Abtreibung keine Gnade, sondern ein Recht ist. Damit gehört der Paragraph 218 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Wie genau das passieren sollte, eruiert seit Beginn 2023 die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, deren Abschlussbericht bald vorliegen soll. Danach wird die Bundesregierung dementsprechend handeln.

Immer häufiger werden Frauen auch Opfer von Hass im Internet. Die SPD Frauen bieten zum Frauentag bereits am 4. März eine Online-Veranstaltung zum Thema an. Wie äußert sich der Online-Hass?

Noichl: Frauen werden beleidigt, ihnen wird gedroht, sie werden gestalkt. Drohungen werden auch oft sexualisiert, häufig werden Frauen Vergewaltigungen angedroht. Ihnen wird aber auch oft einfach die Kompetenz abgesprochen, sich äußern zu können. Damit sollen sie ruhiggestellt und mundtot gemacht werden. Ziel ist: Frauen aus dem öffentlichen Raum, aus dem öffentlichen Leben, zu verbannen. Das geht soweit, dass Frauen ihre Social-Media-Accounts löschen, und Politikerinnen oder Journalistinnen ihre Berufe aufgeben.

Ende vergangenen Jahres hat die Bundesregierung die Beratungen über ihre Gewaltschutzstrategie für Frauen begonnen. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Punkte?

Häfner: Wir sind sehr froh, dass die Arbeiten an der Gewaltschutzstrategie begonnen haben. Eine solche nationale Strategie ist auch ein Kernelement der Istanbul Konvention, das Deutschland nach wie vor vermissen ließ. Gewaltprävention, Gewaltschutz, effektive Strafverfolgung und ein umfassender koordinierter Ansatz bei der Umsetzung der Maßnahmen werden einen guten nationalen Rahmen bilden, um geschlechtsspezifische Gewalt effektiver zu bekämpfen als es bisher der Fall war. 

Wichtig ist zudem, weitere Forderungen und Standards auch aus der EU-Richtlinie aufzunehmen. Dazu gehört zum Beispiel eine höhere Anzahl an Zufluchtsorten, damit jede Frau, die von Gewalt betroffen ist, auch wirklich gehen kann. Eine umfassende Analyse der Strategie werden wir durchführen, sobald sie vorliegt.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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1 Kommentar

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Do., 15.02.2024 - 09:32

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auch die Frauenpolitik unter dem Gesichtspunkt des Feminismus neu justieren, da bin ich ganz bei der Autorin . Schluss mit der Männerdomäne, bzw um - präzise zu sein- der Herrschaft der alten weißen Männer