Meinung

Polen vor dem Machtwechsel: Welche Chancen die Tusk-Regierung bietet

Nach dem Misstrauensvotum für den amtierenden Premier Morawiecki ist in Polen der Weg für einen Machtwechsel frei. Die neue pro-europäische Regierung unter Donald Tusk könnte Polens Politik grundlegend ändern, auch in Bezug auf Deutschland.

von Dietmar Nietan und Nils Schmid · 12. Dezember 2023
Der Weg ist frei für den Machtwechsel in Polen mit Donald Tusk als Ministerpräsidenten.

Der Weg ist frei für den Machtwechsel in Polen mit Donald Tusk als Ministerpräsidenten.

Rund acht Jahre lang hat in Polen die rechtsnational-populistische PiS-Partei als Teil der Regierung den polnischen Rechtsstaat und die Unabhängigkeit des Justizsystems sowie der Medien ausgehöhlt. Und dabei auch immer wieder die Konfrontation mit der EU gesucht. Die Hinterlassenschaften der Partei und die tiefe politische Spaltung im Land lassen sich so schnell nicht rückgängig machen, doch der Regierungswechsel hin zu einem pro-europäischen Bündnis könnte Polens Politik grundlegend ändern.

Neustart für das deutsch-polnische Verhältnis?

Zu Recht herrscht deshalb nicht nur in Warschau Aufbruchsstimmung und Tatendrang. Auch für das deutsch-polnische Verhältnis bietet der Regierungswechsel die Möglichkeit für einen Neustart der fast eingefrorenen Beziehungen. Ohne Zweifel wird die neue Regierung weiterhin eine selbstbewusste, an polnischen Interessen orientierte Politik machen. Doch dieser Kurs wird verbunden sein mit einem klaren Bekenntnis zur EU, zu Rechtstaatlichkeit und gesellschaftlichen Freiheiten.

Dietmar Nietan und Nils Schmid

Deutschland muss gegenüber Polen mehr Empathie aufbringen und lernen, die Geschichte gerade während der deutschen Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg aus der Perspektive des Nachbarn zu begreifen.

Wir sollten diesen Türöffner sehen und die drängenden Herausforderungen mit unseren neuen polnischen Partner*innen besprechen. Im Mittelpunkt steht die geopolitische Realität seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die Sicherung der NATO-Ostflanke. Die Verteidigungsfähigkeit in der EU und die Unterstützung der Ukraine müssen wir dabei immer im Blick behalten. Und den EU-Beitrittsprozess der Ukraine. Wir haben leider auch gesehen, dass die Warnungen Polens vor einer russischen Aggression allzu lange übergangen wurden. Für eine zeitgemäße Osteuropa- und Russlandpolitik sind wir auf unsere mittelosteuropäischen Nachbarn angewiesen.

Mehr Empathie gegenüber Polen

Deutschland muss gegenüber Polen mehr Empathie aufbringen und lernen, die Geschichte gerade während der deutschen Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg aus der Perspektive des Nachbarn zu begreifen. Neben den drei Millionen ermordeten polnischen Jüdinnen und Juden wurden durch die deutschen Besatzer*innen knapp drei Millionen Pol*innen ermordet. Diese Vergangenheit müssen wir anerkennen und dem Wunsch nach Gedenken aus der polnischen Gesellschaft nachkommen.

Für den Dialog mit Polen brauchen wir unbedingt die Zivilgesellschaft als tragende Säule. Ihre Arbeit muss stärker finanziell unterstützt werden. Das gilt auch für neue Impulse in anderen zahlreichen Feldern der bilateralen Zusammenarbeit, etwa beim Ausbau grenzüberschreitender Bahnverbindungen und beim muttersprachlichen Polnisch-Unterricht in Deutschland.

Energiewende Hand in Hand

Deutschland und Polen sind wirtschaftlich eng miteinander verflochten und stehen vor ähnlichen energie- und industriepolitischen Aufgaben, etwa beim Kohleausstieg. Bei den erneuerbaren Energien sollten wir stärker Hand in Hand arbeiten, damit etwa Wasserstoff als bedeutender Energieträger gefördert wird. Polen wird in Zukunft noch stärker eigene Wertschöpfungsketten entwickeln. Deutschland könnte mit seiner Erfahrung bei angewandter Forschung Polens wichtigster Innovationspartner werden.

Auf beiden Seiten der Oder gibt es viele Herausforderungen. Polen ist in den vergangenen 15 Jahren zu einem Schlüsselakteur und einer treibenden Kraft in Mittelosteuropa avanciert. Der Regierungswechsel in Polen bietet uns die Chance, nach langem Stillstand die deutsch-polnischer Regierungskonsultationen aufleben zu lassen. Wir brauchen Polen an unserer Seite.

Autor*in
Dietmar Nietan und Nils Schmid

Dietmar Nietan ist Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für Polen, Nils Schmid außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

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