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Kommunalwahl in Sachsen: Wie die SPD in Großharthau die AfD-Welle brach

Eine rote Insel im blauen Meer: In der sächsischen Gemeinde Großharthau hat die SPD bei der Kommunalwahl 46,1 Prozent geholt. Das hat viel mit Bürgermeister Jens Krauße zu tun. Im Interview erklärt der Sozialdemokrat sein Erfolgsrezept. 

von Nils Michaelis · 28. Juni 2024
Jens Krauße ist SPD-Bürgermeister in Großharthau

SPD-Bürgermeister Jens Krauße setzt auf pragmatisches Handeln und parteiübergreifende Netzwerke. Bei den Menschen kommt das an.

In Großharthau läuft wenig ohne Jens Krauße. Seit 2001 ist der Sozialdemokrat Bürgermeister der Gemeinde im Landkreis Bautzen. 2022 wurde er mit 98,2 Prozent der Stimmen für eine weitere Amtszeit gewählt. 

Dass die SPD bei der Kommunalwahl am 9. Juni entgegen dem Landestrend die mit Abstand stärkste Kraft im lokalen Parlament wurde, hat viel mit dem umtriebigen Gemeindechef zu tun. Am Auftreten seiner Partei im Freistaat und auf Bundesebene übt der 52-Jährige deutliche Kritik. Über einen Gesprächstermin mit Olaf Scholz würde er sich trotzdem freuen.

Mit 46,1 Prozent hat die SPD ihr bestes Ergebnis bei der sächsischen Kommunalwahl bei Ihnen in  in Großharthau eingefahren. Was kann die Partei im restlichen Freistaat von Ihrem Erfolg lernen?

Bei Kommunalwahlen werden vor allem Personen gewählt. Als Bürgermeister eines 3000-Einwohner-Ortes bekomme ich viel Aufmerksamkeit. Man muss aber auch etwas dafür tun. Seit meinem Amtsantritt im Jahr 2001 stehe ich in engem Kontakt mit den Menschen, den Vereinen und der Feuerwehr und anderen Akteuren, die im Ort viel auf die Beine stellen. 

Eine Schweizer Zeitung bezeichnete Sie als „Super-Sozi“. Sehen Sie sich als Vorbild?

Irgendwie schon. Ich stehe für eine pragmatische Politik, Nähe zu den Menschen und Bodenhaftung. Ich nehme mich der kleinen und großen Probleme der Leute an. Genau das erwarten sie von mir. Die Wahlergebnisse scheinen mir rechtzugeben. Diese Praxis lässt sich nicht eins zu eins auf Land und Bund übertragen. Dennoch denke ich, dass mehr Pragmatiker auf Spitzenposten der sächsischen SPD guttun würden.

Gab es Glückwünsche von der Bundes- oder Landes-SPD zu Ihrem Wahlsieg?

Nein. Es hat sich niemand bei mir gemeldet. Das war nach unseren Wahlerfolgen in den Vorjahren nicht anders. Viele Genossinnen und Genossen beklagen sich darüber, dass die Kommunikation mit überregionalen Parteistrukturen schlecht läuft. Die Lage in den Kommunen wird in Dresden oder Berlin häufig übersehen. In der Fläche und in einigen Kommunalparlamenten ist die SPD in Sachsen nicht mehr vertreten. Auch das hemmt den Austausch.

Hat es sich in Großharthau ausgezahlt, auf der offenen Liste der SPD auch Nichtmitglieder kandidieren zu lassen?

Auf jeden Fall. Bei vielen Begegnungen habe ich dafür geworben, sich auf die SPD-Liste setzen zu lassen. Da kam ein ordentlicher Pool an Leuten zusammen. Unter den 13 Kandidierenden war nur ein SPD-Mitglied. Wir haben diese Sympathisanten sorgsam an Kommunalpolitik herangeführt und ihnen klargemacht, dass es um Sachthemen geht und dass es darauf ankommt, konkrete Probleme zu lösen. So etwas könnte sicherlich auch in anderen Kommunen funktionieren. 

Jens
Krauße

Mir ist die Lust vergangen, einen SPD-Parteitag zu besuchen.

Mit 25 Prozent ist die AfD in Großharthau unter dem Durchschnitt im Landkreis Bautzen von 34,8 Prozent geblieben. Wie ist es gelungen zu verhindern, dass die Partei an Ihnen vorbeizieht?

Die sieben Gemeindevertreter der SPD sind sehr aktive und charismatische Leute. Zentral war auch unser Wahlprogramm, das wir intensiv vorbereitet haben. Wir haben uns gefragt: Welche Themen beschäftigen die Menschen am meisten? Und: Welchen Punkt aus dem vorherigen Wahlprogramm konnten wir noch nicht umsetzen? Damit haben wir uns klar von den Floskeln und einfachen Lösungen der AfD abgegrenzt. Eines der Top-Themen in unserer wachsenden Gemeinde ist die Kinderbetreuung. Wir wollen ein neues Hortzentrum bauen. 

Bisher haben Sie dafür geworben, Parteipolitik aus dem Gemeinderat herauszuhalten. Lässt sich daran festhalten, wenn nun die AfD erstmals mit vier Ratsmitgliedern vertreten ist?

Ich denke, das wird gelingen. Die vier Mandatsträger, mit denen die AfD in die Gemeindevertretung einzieht, sind Leute aus dem Ort, jeder kennt sie. Sie haben mir versichert, sich konstruktiv einzubringen. In unserer Gemeindevertretung gibt es keine Brandmauern. Die Parteizugehörigkeit hat im Miteinander bislang keine Rolle gespielt. Klar ist aber auch: Sollte die AfD beginnen, politische Kampagnen zu fahren, etwa gegen Geflüchtete, werden wir dagegenhalten. 

Rund um Großharthau liegt die AfD vorne. Wird die Zusammenarbeit mit anderen Kommunen im Landkreis in den kommenden Jahren schwieriger?

So könnte es kommen. Wir müssen sehen, wie sich die neuen Mehrheitsverhältnisse auf die Arbeit im Kreistag auswirken. Allerdings ist die AfD kein homogenes Gebilde, in der Partei sind auch vernünftige Leute aktiv, mit denen man reden kann. Zugleich gibt es menschenverachtende Ideologen, mit denen eine Zusammenarbeit unmöglich scheint.

Zu Ihrem Markenkern gehört es, sich von der Bundes- und Landespolitik anzugrenzen. Beiden politischen Ebenen haben Sie in einem Interview einen Mangel an Ehrlichkeit angekreidet. Woran machen Sie das fest?

Ich erlebe immer wieder, dass es auf entscheidende Fragen keine Antworten gibt. In der Debatte um den kommenden Bundeshaushalt hat Bundeskanzler Olaf Scholz weitere Investitionen angekündigt. Wie die bezahlt werden sollen, hat er nicht gesagt. Unter Ehrlichkeit verstehe ich, dass man sagt, wie es wirklich um die Dinge steht, gerade bei den Finanzen. Gerade unpopuläre Entscheidungen muss man besser erklären. Vielleicht zeigen die Bürger dann sogar Verständnis. 

Und was stört Sie an der sächsischen Landespolitik?

Bei der Landes-SPD stoße ich mich an der Kungelei um Mandate und Listenplätze. An der Basis ist kaum zu hören, worüber die Landespartei berät. Mir ist die Lust vergangen, einen Parteitag zu besuchen. Als SPD-Bürgermeister würde ich mir wünschen, mehr eingebunden zu werden, etwa bei den Kommunalfinanzen. Die Ausgestaltung der Kitapauschale ist für unsere Gemeinde ein extrem wichtiges Thema.

Trotzdem wünschen Sie sich einen Gesprächstermin mit Olaf Scholz. Was würden Sie ihm sagen?

Ich würde gerne mit ihm darüber reden, warum derzeit so viele Menschen frustriert sind und einen Groll auf die Politik haben.

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