Europawahlkampf der SPD: Mit Harry Potter für die Demokratie
Bei der Europawahl am 9. Juni steht viel auf dem Spiel – vielleicht so viel wie noch nie: für die Demokratie, für Europas Zukunft. Deswegen ist die SPD im Wahlkampf unermüdlich unterwegs.
Picture Alliance
Beharrlich im Einsatz: SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley tourt im Europawahlkampf durch's Land, wie hier in Karlsruhe.
Wahlkampf ist kein Zuckerschlecken. Das weiß Katarina Barley nur zu gut. Ein randvoller Terminkalender, über Wochen Auftritte im gesamten Bundesgebiet, viel Stress, wenig Schlaf: Trotzdem geht die Vizepräsidentin des Europaparlaments zum zweiten Mal nach 2019 als Spitzenkandidatin für die SPD bei einer Europawahl ins Rennen.
Denn Barley weiß auch, was in und für Europa auf dem Spiel steht. Das macht sie beim Wahlkampfauftakt auf dem Altonaer Fischmarkt in Hamburg Ende April eindrucksvoll deutlich, indem sie aus einem Kinderbuch-Klassiker zitiert: „Vor uns liegen dunkle, schwere Zeiten, Harry. Schon bald müssen wir uns entscheiden zwischen dem richtigen Weg und dem leichten.“
Kehren die dunklen Kräfte zurück?
Das sagt Albus Dumbledore, der Rektor der Zauberschule Hogwarts, am Ende des vierten Bandes zu Harry Potter, nachdem der „dunkle Lord“ Voldemort zurückgekehrt ist. Und auch wenn Barley über keinen Zauberstab verfügt, um die dunklen Kräfte in Europa zu bekämpfen, ist ihre Wahl klar: „Wir dürfen nicht den leichten Weg gehen, sondern den richtigen“, ruft sie den Menschen auf dem Altonaer Fischmarkt zu. Wenn Demokratie und Rechtsstaat abgebaut würden, treffe es stets zuerst dieselben Gruppen. „Dagegen“, verspricht Barley in Hamburg, „werde ich mein ganzes Leben lang kämpfen“.
Bundeskanzler Olaf Scholz weiß sie dabei an ihrer Seite. „Europa kann die Aufgaben, die sich stellen, lösen“, zeigt sich Scholz beim Wahlkampfauftakt optimistisch. Die Demokratie könne verteidigt werden, wenn der Staat stark sei, sagt er. Dafür aber brauche es alle. „Die wichtigste Grundlage der Demokratie sind wir Bürgerinnen und Bürger.“ In Hamburg verspricht Scholz eben jenen Bürgerinnen und Bürgern auch mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Aggressor: „Sie können sich darauf verlassen, dass wir diesen Kurs der Besonnenheit nicht verlassen werden.“
SPD setzt auf Kurs der Besonnenheit
Einen Kurs der Besonnenheit nicht nur zu propagieren, sondern auch in praktische Politik umzusetzen – das unterscheidet nicht nur die deutsche, sondern auch die europäische Sozialdemokratie von den Konservativen. Deutlich wird das nicht zuletzt beim Europafest der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) in Aachen, als Nicolas Schmit das Wort ergreift. Der 70-jährige Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten gilt als „Mister Mindestlohn“, nachdem der Luxemburger als Sozial-Kommissar maßgeblich für die Einführung der europäischen Mindestlohnrichtlinie verantwortlich war – in der von Ursula von der Leyen (CDU) geführten EU-Kommission.
Doch nun stellt sich Schmit deutlich gegen seine bisherige Chefin, nachdem diese in einer Debatte mit ihm und den anderen europäischen Spitzenkandidaten nicht ausschloss, im künftigen Parlament auch Mehrheiten mit Hilfe von Rechtspopulisten zu suchen. „Ich kann mich nur wundern über Frau von der Leyen“, sagt Schmit in Aachen und macht deutlich, dass eine solche Zusammenarbeit für die Sozialdemokratie nicht infrage komme. Es gebe eine klare Trennungslinie nach extrem rechts. „Diesen Kampf müssen wir überall in Europa bestreiten.“
Klare Abgrenzung nach Rechts
Auch der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil sagt: „Es ist für mich einer der wichtigsten Kämpfe der Sozialdemokratie, dass wir die Nazis wieder kleinkriegen.“ Anders als für die konservative Spitzenkandidatin und aktuelle Kommissionspräsidentin sei die sozialdemokratische Haltung gegenüber Rechtspopulismus und Rechtsextremismus jeglicher Couleur klar: „Nein, denen reichen wir nicht die Hand.“
Ähnlich sieht das einer von Schmits Vorgängern. Martin Schulz war fünf Jahre Präsident des Europaparlaments und 2014 der erste gesamteuropäische sozialdemokratische Spitzenkandidat. „Frau von der Leyen hat den Anspruch verspielt, nächste Kommissionspräsidentin zu werden“, sagt er in Aachen und fordert: „Wir haben es mit einem rechtsextremen Mob zu tun und brauchen Mutige, die sich ihm in den Weg stellen.“
Rechter Angriff auf Matthias Ecke
Eine Aussage, die noch am selben Abend durch einen traurigen Anlass deutlich an Aktualität gewinnt. Denn in Dresden wird der SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke beim Plakatieren überfallen und von mutmaßlich Rechtsextremen krankenhausreif geprügelt. Einen Tag später veranstaltet die SPE in Berlin einen Demokratiekongress. Dort sprechen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten aus ganz Europa ein klares Bekenntnis gegen jede Zusammenarbeit mit der extremen Rechten aus. Für die SPD unterzeichnen neben Spitzenkandidatin Katarina Barley auch die Vorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken die „Berliner Erklärung“. Überschrieben ist sie mit den Worten: „Für unsere Parteienfamilie gibt es eine klare rote Linie: Wir werden niemals mit Rechtsextremen zusammenarbeiten oder mit ihnen Koalitionen bilden.“
Dies bekräftigt auch der SPE-Vorsitzende Stefan Löfven in seinem Redebeitrag. Angriffe wie der auf Matthias Ecke zeigten, dass es eine Radikalisierung und Brutalisierung der politischen Debatte und des politischen Umfelds gebe – und eine Normalisierung von rechtsextremen und rechtsnationalistischen Parteien.
Eine Warnung aus Italien
Davon weiß auch Elly Schlein, Vorsitzende der italienischen SPD-Schwesterpartei Partito Democratico (PD), in Berlin zu berichten. Es gehe rechten Parteien nur um ihre eigenen Interessen und nicht darum, das Leben der Menschen zu verbessern, sagt sie. Unter Ministerpräsidentin Georgia Meloni seien in Italien Sozialleistungen gekürzt worden, die Rechte von gleichgeschlechtlichen Paaren und vor allem Eltern würden angegriffen. Umso wichtiger sei es deshalb für sozialdemokratische und sozialistische Parteien, zu zeigen, für welche Politik sie stehen – und wie sich diese positiv auf das Leben der meisten Menschen auswirkt. Auf das Leben der Mehrheit der Menschen und nicht einer Minderheit.
Spätestens an dieser Stelle, wird deutlich, was Katarina Barley in ihrer Rede bekräftigt: „Die Lage ist sehr ernst. Das, wogegen wir in Deutschland und in anderen EU-Ländern kämpfen, ist in vielen Mitgliedsländern schon Realität.“ Schweden, Finnland, Italien, zuletzt auch die Niederlande – zahlreiche nationale Regierungen sind inzwischen nach rechts gekippt. Zwei Wochen später bei einer Großveranstaltung in Karlsruhe betont erneut Barley, wie viel am 9. Juni auf dem Spiel stehe. Derzeit wollten viele politische Kräfte „ein völlig anderes Europa“ hebt sie hervor. Umso wichtiger sei es, dass die SPD die Berliner Erklärung unterschrieben habe.
Saskia Esken: Deutschlands Zukunft in Europa
Für Saskia Esken ist die Kundgebung in Karlsruhe fast ein Heimspiel. Nur knapp 50 Kilometer sind es vom Wohnort der SPD-Vorsitzenden in Calw. Ähnlich weit entfernt ist der Sitz des Europaparlamentes in Straßburg, das am 9. Juni neu gewählt wird. „Wir kämpfen für ein starkes, ein soziales, ein demokratisches Europa“, macht Esken mit Blick darauf klar. Denn die Zukunft Deutschlands liege in Europa. Die EU müsse als solidarische und wehrhafte Union gestärkt werden, jede Stimme für die Sozialdemokratie könne dazu beitragen.
Unter dem Slogan „Deutschlands stärkste Stimmen für Europa“ firmieren Barley und Scholz derzeit auf den Wahlplakaten ihrer Partei. Der Auftritt des Bundeskanzlers im Südwesten wird an diesem Tag von viel Applaus begleitet. Die Aufregung ist groß, viele Menschen zücken ihre Handys und filmen. Das große Thema des Kanzlers in Karlsruhe: Frieden und Sicherheit. Sowohl in Sicherheitsfragen als auch bei anderen wichtigen Themen könne man sich „nie auf der Vergangenheit ausruhen“, meint Scholz. Umso wichtiger, dass so viele Menschen wie möglich am 9. Juni ihre Stimme abgeben, damit ein demokratisches Miteinander auch weiterhin garantiert werde, wirbt der Kanzler.
Für eine handlungsfähige EU
Diesen Appell unterstützt auch der baden-württembergische SPD-Vorsitzende Andreas Stoch. „Am 9. Juni den demokratischen Kräften unsere Stimme zu geben, ist eine Garantie für Freiheit, Frieden und Solidarität in unserer Gesellschaft“, macht er klar. Auch angesichts der Bedrohungen durch rechte Kräfte. Er sei immer noch sehr stolz auf die Bilder aus dem Januar dieses Jahres, als sich so viele Menschen bei Demonstrationen gegen rechte Kräfte positioniert hatten, erzählt er. „Wer hier lebt, gehört zu uns. Die Würde des Menschen ist unantastbar“, ruft er und erntet viel Applaus aus dem Publikum.
René Repasi, Vorsitzender der SPD-Gruppe im Europaparlament, verspricht auch nach dem 9. Juni klare Kante gegen rechts. Außerdem brauche es nun „eine handlungsfähige EU“. Er fordert eine Abkehr vom derzeitigen Einstimmigkeitsprinzip sowie eine soziale Umsetzung des „Green Deals“ in der kommenden Legislaturperiode.