Parteileben

Drei Generationen, eine Partei: Wenn die SPD in der Familie liegt

Was bewegt drei Generationen einer Familie, in die SPD einzutreten? Wie nehmen sie die Partei heute wahr? Und was wünschen sie ihr zum Geburtstag? Der „vorwärts“ hat Familie Siebel in Gelsenkirchen besucht.
von Kai Doering · 17. Mai 2023
Die SPD gehört immer dazu: Hans-Joachim Siebel, Daniel Siebel und Inge Link in Gelsenkirchen
Die SPD gehört immer dazu: Hans-Joachim Siebel, Daniel Siebel und Inge Link in Gelsenkirchen

Es herrscht eine gewisse Spannung an diesem Samstag im Wohnzimmer von Familie Siebel in Gelsenkirchen. Am Abend findet das Revierderby gegen Borussia Dortmund statt. Schalke und SPD, das gehört hier zusammen. Bevor es ins Stadion geht, nimmt sich die Familie Zeit für ein Gespräch über ihre Partei, die in diesem Jahr 160 Jahre alt wird.

Ihr seid alle in der SPD, aber zu unterschiedlichen Zeiten eingetreten. Warum seid ihr Mitglied geworden? 

Inge Link: Mein inzwischen verstorbener Mann war Bergmann und in der SPD solange ich mich erinnern kann. Er hat immer gesagt: Die SPD ist die Arbeiterpartei und muss gewählt werden, auch wenn sie manchmal Mist baut. Irgendwann, ich denke im Zuge von „Willy wählen!“ 1972, bin ich dann auch in die Partei eingetreten.

Hans-Joachim Siebel: Bei mir hat mein Vater den Ausschlag gegeben. Er war natürlich auch in der SPD und in der Gewerkschaft und hat mir an meinem 16. Geburtstag die Beitrittserklärung auf den Tisch gelegt und gefragt: „Wie isses Junge, willste?“ Da habe ich nicht überlegt und bin an meinem 16. Geburtstag 1974 eingetreten. Politisch interessiert habe ich mich aber natürlich schon vorher. Dass mich mein Vater in die SPD geholt hat, bedeutete übrigens nicht, dass wir politisch immer einer Meinung waren.

Worüber habt ihr euch gestritten? 

Hans-Joachim Siebel: Ach, da gab es Einiges. Wir waren uns bei der Atomkraft nicht einig, auch beim NATO-Doppelbeschluss nicht. Er fand beides richtig, ich nicht. Aber ich denke, das ist normal, wenn man unterschiedlichen Generationen angehört. Heute bin ich derjenige, der die pragmatischen Vorstellungen hat und an dem sich meine Kinder reiben.

Daniel Siebel: Das kann ich bestätigen. (lacht) Bei mir lag auch zum 16. Geburtstag der Mitgliedsantrag auf dem Tisch und mein Vater hat gesagt: „Das gehört sich so.“ Von mir aus wäre ich nie mit 16 in eine Partei eingetreten. Ich habe mich zwar auch damals schon für politische Zusammenhänge interessiert und auch die politische Richtung war schon in gewisser Weise klar, aber unter anderen Umständen hätte ich vermutlich noch ein paar Jahre überlegt.

Hans-Joachim Siebel: Dafür habe ich aber auch in den ersten Jahren deine Mitgliedsbeiträge bezahlt.

Daniel Siebel: Ja, und ich bin ja quasi mit der Partei aufgewachsen. In unserer Garage stand immer ein großer Karton mit SPD-Fußbällen, mit denen wir auf der Straße gekickt haben. Als Achtjähriger habe ich schon zusammen mit meinem Vater den Infostand aufgebaut. Parteipolitisch aktiv geworden bin ich dann erst mit 20 oder 21 bei den Jusos.

Was bedeutet es für euch, Sozialdemokratin bzw. Sozialdemokrat zu sein?

Inge Link: Sozialdemokratin zu sein, war früher ein Stück Heimat und das Gefühl, dazuzugehören. SPD war Familie. Das ist heute anders.

Hans-Joachim Siebel: Das war schon anders als ich in die SPD eingetreten bin. Da ging es eher darum, seine Ideale zu verwirklichen und eine Gesellschaft der gleichen Chancen mitzugestalten. Dafür bin ich Sozialdemokrat geworden und das ist mir auch nach fast 50 Jahren in der Partei noch genauso wichtig.

Daniel Siebel: Sozialdemokrat zu sein, ist für mich eine Frage der Haltung, mit der man durchs Leben geht. Das bedeutet auch, zu reflektieren, dass es Menschen gibt, denen es schlechter geht als mir und zu überlegen, wie man deren Situation verbessern kann. 

Gab es mal einen Moment, in dem ihr überlegt habt, auszutreten? 

Hans-Joachim Siebel: Nee! Natürlich gab es immer mal Entscheidungen, die ich nicht gut gefunden habe, aber das gehört für mich zur Politik dazu. Deshalb auszutreten, käme nie infrage.

Daniel Siebel: Es gab schon Situationen, in denen ich nicht sicher war, ob es richtig ist, was die Partei macht. Als 2014 und 2015 in der großen Koalition sehr viele Staaten als sichere Herkunftsländer eingestuft wurden, war ich sehr unzufrieden mit der SPD. Zu der Zeit sind einige, mit denen ich damals bei den Jusos Politik gemacht habe, ausgetreten. Ich finde aber, dass es besser ist, Dinge in der Partei zu verändern, mit denen man unzufrieden ist, als auszutreten.

Hans-Joachim Siebel: So ähnliche Gedanken hatte ich beim NATO-Nachrüstungsbeschluss oder bei der Einführung von Hartz IV natürlich auch. Wir sind damals ja auch ordentlich beschimpft worden. Und letztlich steht man ja als Mitglied auch für die Politik, die in Berlin gemacht wird. Aber deshalb zu gehen, hätte ich falsch gefunden.

Zu Zeiten von Willy Brandt hatte die SPD mehr als eine Million Mitglieder. Heute sind es weniger als die Hälfte. Wie kann die Partei wieder attraktiver werden? 

Hans-Joachim Siebel: Das ist eine schwierige Frage, weil die Menschen ja generell viel weniger bereit sind als früher, sich in Parteien zu engagieren. Und das gilt für Gewerkschaften oder den Kleingartenverein ja genauso. Wer überzeugt ist, dass die Dinge, für die die SPD steht, richtig sind, wird auch eintreten.

Inge Link: Früher sind die Menschen zur Arbeit gegangen und nach Feierabend in den Sportverein oder zur Partei. Die Leute haben nicht nur zusammen gearbeitet, sondern waren auch Nachbarn. Das heißt, dass sie auch ihre Freizeit zusammen verbracht haben. Wir hatten zwei AWO-Gruppen und zwei SPD-Frauengruppen. Was haben wir da für Feste gefeiert! Da war die ganze Siedlung auf den Beinen. Das ist heute nicht mehr so.

Hans-Joachim Siebel: Früher war es zumindest in Gelsenkirchen einfach selbstverständlich, dass die Menschen mit Beginn der Ausbildung in die Gewerkschaft eingetreten sind. Meistens war dann der Weg in die Partei auch nicht weit.

Daniel Siebel: Die SPD muss sich die Frage stellen, ob sie sich durch ihre erfolgreiche Politik zum Teil selbst abgeschafft hat. Früher war klar, dass Kinder aus einer Bergbaufamilie nicht aufs Gymnasium gegangen sind und schon gar nicht studiert haben. Das hat die sozialdemokratische Bildungspolitik geändert. Mit der Folge, dass es heute immer mehr Akademikerinnen und Akademiker gibt. Trotzdem wird Bildung auch in der anstehenden Transformation eine ganz zentrale Rolle spielen.

Hans-Joachim Siebel: Ich war der erste in der Familie, der aufs Gymnasium gegangen ist und studiert hat. Das ist heute – dank der SPD – anders. Dadurch haben wir eine ganz andere Mittelschicht als in den 70er und 80er Jahren. Dass es heute viel mehr Arbeitnehmerrechte gibt, weil die SPD sie durchgesetzt hat, ist dabei den wenigsten bewusst.

Daniel Siebel: Mit der Folge, dass sich für viele gar nicht mehr erschließt, warum sie Mitglied einer Gewerkschaft oder einer Partei werden sollten. Wer den Aufstieg geschafft hat, bekommt schnell den Eindruck, er brauche gar keine soziale Politik mehr. Auf der anderen Seite gibt es immer mehr Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben. Sie haben meist gar nicht die Zeit, sich um Politik zu kümmern. Die SPD muss versuchen, beide Gruppen zusammenzuführen.

Was wünscht ihr euch von der SPD zum 160. Geburtstag?

Daniel Siebel: Von der SPD wünsche ich mir, dass sie sich wieder stärker auf ihre Grundwerte besinnt. Dazu gehört auch, dass sie Kompromisse, die sie in der Regierung natürlich immer wieder schließen muss, transparent erklärt. Das habe ich vor allem in der Zeit der großen Koalitionen vermisst. Der Partei wünsche ich, dass sie mehr charismatische Persönlichkeiten in der ersten Reihe hat, denen man diese Haltung auch abnimmt. Mit Kevin Kühnert ist da ein guter Anfang gemacht. Und uns allen wünsche ich, dass wir es schaffen, die Gesellschaft in unserem Sinne zu verändern. Wenn das gelingt, mache ich mir keine Sorgen, weder um die SPD, noch um das Land.

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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