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„Willy wählen“: Wie die SPD überragend die Bundestagswahl 1972 gewann

Daniela Münkel18. November 2022
Der Höhepunkt von Brandts Popularität: Die Bundestagswahl 1972 wurde zur Willy-Wahl.
Der Höhepunkt von Brandts Popularität: Die Bundestagswahl 1972 wurde zur Willy-Wahl.
Der Wahlkampf für die Bundestagswahl 1972 war ein schmutziger. Gleichzeitig waren weite Teile der Gesellschaft politisiert wie nie. Bei der Wahl am 19. November errang die SPD mit 45,8 Prozent das beste Ergebnis ihrer Geschichte.

Am 19. November 1972 wurde in der Bundesrepublik der siebte deutsche Bundestag gewählt. Die SPD feierte bei dieser ersten vorgezogenen Bundestagswahl mit 45,8 Prozent der Stimmen ihren bislang größten Erfolg, und das in einer aufgeheizten politischen Zeit. 1972 tobte ein politischer Kampf um die Ratifizierung der Ostverträge, gegen Bundeskanzler Willy Brandt scheiterte ein Misstrauensvotum, der Bundestag wurde aufgelöst und es kam zu einem ziemlich schmutzigen Wahlkampf.

Diffamierungskampagne von CDU und CSU

Wie schon in den Jahren seit 1961 initiierten die CDU/CSU-Opposition und die ihr nahestehenden Presseorgane Verleumdungskampagnen gegen Willy Brandt. Neben den immer wiederkehrenden Diffamierungen wegen seiner Emigrationszeit wurde nun auch die Politik des Kanzlers massiver Kritik ausgesetzt. Im Mittelpunkt standen hier die Ostpolitik, Fragen der inneren Sicherheit sowie die wirtschaftliche Lage.

Die CSU brachte ein „Rotbuch: Wer ist Willy Brandt, wer ist Herbert Wehner?“ heraus, welches vor allem auf vermeintliche Kontinuitäten in Brandts Politik abhob. Nach dem Motto „einmal Vaterlandsverräter, immer Vaterlandsverräter“ versuchte man, die Ostpolitik des Bundeskanzlers ins Zwielicht zu rücken. Mit Anzeigen „Wer Brandt wählt, wählt Wehner, wer Wehner wählt, wählt den Kommunismus“ oder „Wer Brandt wählt – wählt Deutschlands Untergang!“, wollte man die SPD mit „Kommunismus“ oder „Bolschewismus“ gleichsetzen und damit als totalitär diffamieren.

Der Höhepunkt von Brandts Popularität

Diesmal war die Resonanz solcher Angriffe allerdings im Vergleich zu vorherigen Wahlkampagnen relativ gering. Denn der Wahlkampf 1972 markierte den Höhepunkt der Popularität und des Personenkults um Willy Brandt. Er war die Symbolfigur für all das, für das die SPD und ihre Politik stehen wollten: Hoffnungsträger, Reformer, Staatsmann. Ein immer wiederkehrendes Foto mit drei unterschiedlichen Slogans: „Kanzler des Vertrauens“, „Deutsche wir können stolz sein auf unser Land. Wählt Willy Brandt“ und „Willy Brandt muß Kanzler bleiben“ waren das Herzstück der Plakatkampagne der SPD.

Der Wahlkampf und die Veranstaltungen des Bundeskanzlers wurden zu einer Art Triumphzug durch die Republik – was wohl in dieser Form bis heute einzigartig in der Geschichte der Bundesrepublik ist. Die fast schon an Euphorie grenzende Begeisterung für den Kanzler, stilisierte ihn zu einer Art säkularisiertem Heiligen.

Ein besonderes Kennzeichen dieses Wahlkampfes war darüber hinaus die außerordentliche Politisierung großer Teile der Bevölkerung, die sich u.a. in einem massenhaften Bekenntnis zur eigenen politischen Meinung und dem Engagement für den favorisierten Kandidaten bzw. für die betreffende Partei manifestierte. Ansteckbuttons und Autoaufkleber waren überall zu sehen. Am ausgeprägtesten war das Engagement für Willy Brandt und die SPD.

Eine ausgeprägte politische Polarisierung

Initiativen unter dem Motto „Bürger für Brandt“ schossen wie Pilze aus dem Boden. Auch Prominente aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens setzten sich aktiv für die Wiederwahl des Bundeskanzlers ein. Die 1969 gegründete „Sozialdemokratische Wählerinitiative“ entwickelte einen regelrechten Bewegungscharakter, getragen von der Mittelschicht, mit Willy Brandt als Identifikationsfigur und „Helden“.

Dieser hohe Politisierungsgrad resultierte aus einem verstärkten Verlangen nach aktiver politischer Partizipation – auch außerhalb von politischen Parteien. Auch die ausgeprägte politische Polarisierung dieser Zeit, die sich u.a. im Verhältnis von Regierung und Opposition zeigte, hatte ihre Entsprechung in der Bevölkerung und begünstigte die aktive Beteiligung vieler Menschen am politischen Prozess.

Die Bundestagswahl des Jahres 1972 markiert damit auf vielen Feldern einen vorläufigen Höhepunkt: Es war der am stärksten personalisierte Wahlkampf, was den SPD-Kandidaten betrifft, blieb aber dennoch eine politische Richtungswahl und keine reine Personalentscheidung. Es war auch der „politischste“ aller Wahlkämpfe, wenn man die aktive Beteiligung betrachtet: Massenhaftes ehrenamtliches politisches Engagement auf allen Seiten und eine heute kaum noch vorstellbare Wahlbeteiligung von 91,1 Prozent sprechen dafür.

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Kommentare

Wie die SPD überragend die Bundestagswahl 1972 gewann

Das waren noch Zeiten für die SPD, an die ich mich noch gerne erinnere. Im Wahlkampf wurde ich auf Infoständen vielfach von Rechten angepöbelt; vor allem erinnere ich mich an die vielen Schmutzkampagnen von eigenartigen Organisationen, die z.T. von früheren Nazis finanziert wurden.

Hierzu hatte der Schriftsteller Bernt Engelmann einige gute Tatsachenromane wie z.B. "Die Laufmasche" oder "Großes Bundesverdienstkreuz" verfasst. Bei der nochmaligen Lektüre haben die Personen zwar gewechselt, aber die Methoden wurden übernommen, wie u.a. jüngst die Blockade des Bürgergeldes.

Willy wählen

Ja diese polarisierende Kampagne damals ließ mich Sozialdemokrat/JuSo werden. Die Entspannungspolitik, die Sozialpolitik, die Bildungspolitik ..... das waren Themen auf die die SPD noch sozialdemokratische Antworten hatte. Das mit den Berufsverboten fand ich dann "weniger gut".
Die Debatte damals war hitzig, aber das brachte die Demokratie in diesem Lande vorwärts - das ist es was ich heute vermisse: die offene kontriverse Debatte ist leider durch diese Cancel Unkultur ersetzt.
Schade, daß der jetzige SPD Vorsitzende die Errungenschaften aus dieser Zeit nicht mehr so schätzen will.

Objektive Gründe für den Bundestagswahlsieg der SPD 1972

Die SPD hatte sich schon 1959 mit dem Godesberger Programm vom Marxismus losgesagt und gleichzeitig den Kirchen zugewandt.

Arbeitnehmer hatten 1972 auskömmliche Löhne oder Gehälter.

Die Arbeitslosigkeit betrug in der alten Bundesrepublik 1,1%, das waren ca. 264000 Personen bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 60 Mio. Bürgern.

Es gab noch keinen übermässigen Zuzug von Bürgern aus Nicht-EWG-Staaten in die deutschen Sozialsysteme.

Willy Brandt hatte 1972 für den Wahlkampf junge, gut ausgebildete Personen an seiner Seite, wie bspw. den 1938 geboren Volkswirt Albrecht Müller.

Willy Brandt

Das Misstrauensvotum bewegte mich im April 1972 zum Eintritt in die SPD, nachdem ich bereits ein Jahr Mitglied der Juso-Hochschulgruppe in Saarbrücken war.

Diese war dann natürlich aktiv am Bundestagswahlkampf beteiligt und feierte entsprechend den Wahlsieg, wir sandten gleich ein Glückwunschtelegramm nach Bonn.