Meinung

Wie die künftige SPD-Politik gegenüber Russland aussehen sollte

Der Angriff auf die Ukraine hat jegliche Illusionen über Russland zerstört, besonders in der SPD. Bei der Neuausrichtung ihrer Russlandpolitik müssen für die Sozialdemokratie drei Grundannahmen leitend sein.
von Liana Fix · 24. April 2023
Wer folgt auf Putin? Sozialdemokratische Russlandpolitik muss die Möglichkeit von Veränderung in Russland im Blick behalten – aber realistisch und nüchtern, meint Liana Fix.
Wer folgt auf Putin? Sozialdemokratische Russlandpolitik muss die Möglichkeit von Veränderung in Russland im Blick behalten – aber realistisch und nüchtern, meint Liana Fix.

„Die ich rief, die Geister, werde ich nun nicht los!“ – So heißt es in Goethes Zauberlehrling. Das Gleiche trifft auf die deutsche Russlandpolitik zu, und auf die sozialdemokratische Russlandpolitik im Besonderen. Die Katastrophe der russischen Invasion hat jegliche Illusionen über Russland zerstört, und gleichzeitig hat sie die Politik der Vergangenheit entblößt. Zu lange ist die Sozialdemokratie dem Prinzip Hoffnung gefolgt, verstrickt in wirtschaftliche Interessen, und hat die Augen verschlossen vor der Realität in Putins Russland. Natürlich war es nicht – nur – die Sozialdemokratie. Aber die Verbindungen nach Russland von führenden Sozialdemokrat*innen waren besonders eng.

Die Geister der Vergangenheit

Statt einen klaren Neuanfang zu setzen, wie es Teile der Parteiführung versuchen, wird die SPD weiter von Geistern der Vergangenheit heimgesucht. Die Aufarbeitung einer als Klimastiftung getarnten Konstruktion zur Vermeidung von US-amerikanischen Sanktionen auf Nord Stream II, mit engsten Verbindungen zu Moskau, wird nicht ausreichend vorangetrieben. Und prominente Mitglieder der Partei beschwören weiterhin, und das auch noch im Namen von Willy Brandt, eine „komplexe und komplizierte Vorgeschichte“ des russischen Angriffskrieg, und setzen auf „gemeinsame Sicherheit“ mit einem Russland, das einem ideologisch radikalisierten, vom Internationalen Strafgerichtshof als Kriegsverbrecher angeklagten Präsidenten Putin immer tiefer in die Generationenkatastrophe dieses Krieges und Brudermordes folgt.  

Wie kann ein Weg nach vorne aussehen für sozialdemokratische Russlandpolitik, die die Geister der Vergangenheit hinter sich lässt? Drei Grundannahmen müssen leitend sein.

Es gibt kein Zurück mit einem Russland unter Putin

Erstens: Sozialdemokratische Russlandpolitik muss anerkennen, dass es kein Zurück gibt mit einem putinistischen Russland. Selbst wenn dieser Krieg ein Ende finden sollte oder gar ein Abkommen zwischen der Ukraine und Russland geschlossen werden kann, wird das jetzige, revanchistische Russland eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit in Europa bleiben. Weder können wirtschaftliche, noch politische Beziehungen danach wieder aufgenommen werden, als ob nichts passiert wäre. Wladimir Putin hat nicht nur der Ukraine den Krieg angesagt, sondern auch dem Westen und damit Deutschland. Seine Bereitschaft zur Aggression wird nicht sinken, wenn dieser Krieg ein Ende findet – im Gegenteil.

Eine Niederlage in der Ukraine – und ein Abkommen wäre eine Niederlage für Russland – wird das Bedürfnis nach Revanche in Russland nur verstärken. Die Russlandpolitik der Zukunft muss die Möglichkeit erneuter Aggression einzudämmen – indem eine zeitnahe militärische Rekonstituierung der russischen Armee durch Sanktionen verhindert wird, indem die Ukraine kontinuierlich mit Waffen unterstützt wird, und Europa endlich verteidigungsfähig wird (dazu gehört auch, das Zwei-Prozent-Ziel im regulären Budget der Bundesregierung zu verankern).

Dass Putin ein Gorbatschow folgt, ist extrem unwahrscheinlich

Zweitens: Sozialdemokratische Russlandpolitik muss die Möglichkeit von Veränderung in Russland im Blick behalten – aber realistisch und nüchtern, anstatt sofort nach dem ersten Strohhalm zu greifen. Russland kann eine Demokratie werden oder zumindest als erster Schritt ein weniger aggressiver, „normaler“ Staat. Aber es ist extrem unwahrscheinlich, dass nach Putin ein Gorbatschow folgen wird. Nach dem Tod von Stalin im Jahre 1953 hat es Jahrzehnte gedauert, bis aus dem System heraus ein liberaler Kopf wie Gorschatschow aufgestiegen ist. Ein Nachfolger Putins – wenn er nicht sowieso (was sehr gut möglich ist) ein Hardliner aus dem Militär wird – wird möglicherweise versuchen, sich vom Putinismus zu distanzieren, wie es Chruschtschow getan hat. Das ist jedoch noch kein Grund, alle Vorsicht über Bord zu werfen. Erst wenn wirkliche Veränderung in der russischen Politik sichtbar ist, können wirtschaftliche Anreize geschaffen werden, dies zu unterstützen. Wandel vor Handel. 

Drittens,: Die Osteuropapolitik darf nie wieder der Russlandpolitik untergeordnet werden, wie es nach 1991 der Fall war. Die Priorität sozialdemokratischer Ostpolitik der nächsten Jahre ist der Wiederaufbau der Ukraine und ihre Integration in Europa. Der Fixpunkt Russland muss sich auf der sozialdemokratischen „mental map“ endlich ändern. Die Geister der Vergangenheit können nur mit einer klaren und realistischen Vorstellung über die leider wenig optimistisch stimmende zukünftige Entwicklung Russlands bewältigt werden – und die Sozialdemokratie eine auf Integrität und Glaubwürdigkeit beruhende Ostpolitik verfolgen.

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Autor*in
Liana Fix

ist Fellow for Europe beim Council on Foreign Relations in Washington DC.

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