Meinung

Rechtsextremismus auf dem Vormarsch: Was demokratische Parteien tun müssen

Der erstarkende Rechtsextremismus ist ein Alarmzeichen. Demokratische Parteien müssen jetzt drei zentrale Aufgaben anpacken.

von Christian Wolff · 15. Januar 2024
Demonstration gegen Rechtsextremismus in Potsdam

Zeichen der Geschlossenheit: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD),Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne, rechts) und Brandenburgs Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD, links) demonstrieren am 14. Januar gegen Rechtsextremismus. 

Zwei Entwicklungen lassen einen mehr als besorgt in dieses Jahr blicken: Die Bundesregierung, getragen von der Ampel-Koalition, hat es durch ihr unkoordiniertes, undurchsichtiges Handeln und durch eine zerfahrene, wenig zielführende Kommunikation geschafft, das Vertrauen vieler Bürger*innen zu verlieren. 

Dieses war zu Beginn der Regierungszeit der Ampel-Koalition durchaus vorhanden: Drei, ein so breites politisches Spektrum repräsentierende Parteien würden es schaffen, den immensen Reformstau aufzulösen – zumal es den Bürger*innen nicht an Einsicht in notwendige Maßnahmen mangelt, die aufgrund nicht vorhersehbarer Ereignisse getroffen werden mussten – wie während der Corona-Pandamie, angesichts des Ukraine-Krieges und der infolge des Krieges plötzlichen Verknappung des Energieangebots, von den sich verstärkenden, zerstörerischen Katastrophen aufgrund des Klimawandels abgesehen. So war zumindest die Annahme.

Aber dass Bundeskanzler Olaf Scholz und viele Minister*innen die öffentliche Kommunikation über ihre unterschiedlichen Vorstellungen, Einschätzungen und Entscheidungen völlig den Medien, den Interessensgruppen und den sogenannten Sozialen Netzwerken überlassen, ist ein sträfliches, fahrlässiges politisches Versäumnis. Damit hat die Ampel-Koalition ein wesentliches Instrument der Meinungs- und Konsensbildung in der Gesellschaft aus der Hand gegeben. 

Politik muss um Vertrauen werben

Politik besteht nicht nur aus streitigem Diskurs, Debatte und Entscheidungsfindung. Sie bedarf vor allem einer überzeugenden Kommunikation, einer Werbung um Verständnis und Vertrauen auf allen Ebenen der Gesellschaft. Es ist unbegreiflich, dass in den Monaten nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVG) zur Haushaltsgesetzgebung mit der Bevölkerung kein Dialog über die Folgen des BVG-Urteils gesucht und geführt wurde. 

Stattdessen wurden scheibchenweise notwendige politische Entscheidungen getroffen, deren Wirksamkeit mehr oder weniger sofort eintreten sollte und die deswegen auf Unverständnis stießen. Das alles führt bei zu vielen Bürger*innen fast zwangsläufig zu dem Eindruck, dass auf nichts mehr Verlass ist, nichts mehr funktioniert und es ungerecht zugeht. 

Ein typischer Ausdruck dieser Gefühlslage lautet: „So schlimm wie jetzt, war es noch nie.“ In Ostdeutschland wird noch angefügt: „nicht einmal in der DDR“. Dass das objektiv gesehen Unsinn ist, ändert nichts daran, dass bei vielen Bürger*innen das Gefühl präsent bleibt, ständig übergangen zu werden, nur noch Spielball zu sein.

Die AfD trägt nichts zur Lösung von Problemen bei

Parallel dazu erstarkt der Rechtsnationalismus, ohne dass die Partei, die den Rechtsnationalismus repräsentiert, nämlich die AfD, irgendetwas beiträgt zur Lösung von Problemen. Sie muss nur mit dem Finger auf die Unfähigkeit der sogenannten „Alt-Parteien“ zeigen und propagandistisch alles miteinander vermischen, was Bürger*innen derzeit in Wallung bringt: die Agrar-Diesel-Rückerstattung, "Masseneinwanderung", "Gender-Wahn", die angebliche Unterdrückung der Meinungsfreiheit, der "Energie-Wahnsinn". 

In den Augen der AfD ist das alles links-grüne Wahnsinnspolitik“, die das Land kaputt macht. Man höre sich nur das Interview mit dem parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktion der AfD, Bernd Baumann, im Deutschlanddfunk vom 10. Januar 2024 an. Seit Monaten wird so eine Widerstands- und Aufstandsrhetorik bedient.

Das Drehbuch dieser Entwicklung wurde vor 100 Jahren geschrieben – ohne Happy-End! Dass diese Einschätzung keine Übertreibung ist, zeigen zwei Ereignisse.

Gewaltbereite Demonstranten bedrohen Minister Robert Habeck

Der Quasi-Überfall auf die Fähre, die Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) von einem privaten Aufenthalt auf der Hallig Hooge nach Schlüttsiel bringen sollte. Die Fähre konnte angesichts der gewaltbereiten Demonstranten nicht anlegen. Zeit Online hat die Ereignisse gut recherchiert. Da wird deutlich, wie gut die rechtsextreme Szene organisiert und wie eng sie verbunden ist mit der AfD. 

Es war eine Musikerin, die in der rechten Szene verankert ist, die auf der Hinfahrt von Habeck den Termin seiner Rückkehr erfahren und diesen ins rechtsextremistische Netzwerk stellen ließ. Das liest sich dann so: „ACHTUNG !!! Robert Harbeck (sic!) lädt heute zum Bürgerdialog um 16:45 Uhr am Fährhafen Schlüttsiel ein! Er wünscht sich unendlich viel Interesse. Tun wir ihm den Gefallen und kommen mit allem was Räder hat!“ 

Dieser Aufruf wurde auch über das Netzwerk des Bauernverbands verbreitet. Zwar ging die Initiative eindeutig von der rechtsextremistischen Szene aus, sie wurde von den Verbänden der Landwirtschaft aber unbesehen übernommen.

Masterplan zur "Remigration"

Am 10. Januar wurde durch das Recherchennetzwerk Correctiv  bekannt, dass es in Potsdam zu einem Geheimtreffen der rechten Szene gekommen ist.  Das Thema: ein Masterplan zur "Remigration" (ein Begriff, der für die AfD programmatisch ist!) von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. 

Correctiv  hat den Ablauf des Treffens, an dem auch Funktionsträger der AfD teilgenommen haben, inzwischen veröffentlicht. Vom Inhalt her ist all das wenig überraschend für die, die schon seit Jahren vor der prägenden Präsenz nationalsozialistischen Gedankenguts in der AfD warnen. 

Gleichzeitig sollte dies alle aufrütteln, die noch immer meinen, mit der AfD werde es nicht so schlimm kommen. Dass, wenn diese Partei bei demokratischen Wahlen 30 Prozent und mehr Stimmenanteil erhält, man das als demokratisches Wahlergebnis akzeptieren müsse. 

Mehr als nur Randerscheinungen des politischen Alltags

Nein: Dem Bestreben, die Möglichkeiten der Demokratie zu nutzen, um diese abzuschaffen, muss unmissverständlich entgegengetreten werden.

Beide Ereignisse lassen sich nicht mehr abtun als Randerscheinungen des politischen Alltags. Sie zeigen vielmehr auf, wie weit vorgedrungen und wie breit aufgestellt der organisierte Rechtsextremismus inzwischen ist. 

Mehr noch: Die AfD kann inzwischen zurückgreifen auf ein großes Netzwerk gut organisierter rechtsextremer Gruppierungen. Dieses erlaubt der AfD auch immer wieder taktische Rückzugsgefechte. 

Und was sind die Konsequenzen? Ich nenne drei: Wir müssen uns in den nächsten Monaten vor allem mit denen auseinandersetzen, die ernsthaft überlegen, AfD zu wählen. Sie machen die AfD und den Rechtsextremismus stark, ohne dass diese irgendein berechtigtes Anliegen derer aufgreifen, die mit der AfD sympathisieren.

Demokrat*innen müssen geschlossen auftreten

Wir müssen von den demokratischen Parteien erwarten, dass sie bei aller Unterschiedlichkeit und allem politischen Streit geschlossen und vereint gegen die AfD und den sie unterstützenden Rechtsextremismus auftreten.

Wir müssen von der Bundesregierung erwarten, dass sie alles tut, um politisches Vertrauen in die Demokratie aufzubauen. So begrüßenswert die klare Stellungnahme von Olaf Scholz zu dem vom Correctiv aufgedeckten Treffen von AfD-Politikern und Neonazis ist – solch werbende Klarheit muss Scholz auch in seiner Funktion als Bundeskanzler endlich an den Tag legen.

Jeder und jede ist aufgerufen, daran mitzuwirken: Das vor 100 Jahren geschriebene Drehbuch darf nicht noch einmal Wirklichkeit werden! Darum gilt es in Gesprächen und Diskussionen auch, die grundlegenden Vorteile der freiheitlichen Demokratie herauszustellen und all das ins Bewusstsein zu rufen, was in unserem Land Gott sei Dank funktioniert, gut und erhaltenswert und vor allem wertvoll ist – und das ist sehr viel!

 

Der Beitrag erschien zuerst im Blog des Autors.

Autor*in
Christian Wolff
Christian Wolff

ist evangelischer Theologe und seit 2014 als Blogger und Berater für Kirche, Politik und Kultur tätig. Seit 1970 ist er Mitglied der SPD.

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3 Kommentare

Gespeichert von Martin Holzer (nicht überprüft) am Mo., 15.01.2024 - 16:30

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"Wir müssen von der Bundesregierung erwarten, dass sie alles tut, um politisches Vertrauen in die Demokratie aufzubauen"

Scholz hat doch "gute Politik" als Maßnahme gegen die AfD versprochen. Vielleicht versucht man es einfach mal damit, um so das Vertrauen zurück zu gewinnen. Ein Verbot der Oppostion hätte auf jeden Fall den gegenteilien Effekt.

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Mi., 17.01.2024 - 10:25

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Diese Bundesregierung ist weder links noch grün. Sozialpolitik, Bildungspolitik etc. findet keine zu gunsten der Mehrheit der Menschen hier statt (auch im vorwärts ist die Rubrik "Soziales" verschwunden und von Hubertus Heil wurde auch schon lange nicht mehr berichtet). Und Diskriminierung von Menschen verhindert man nicht durch _*: und sonstige Sprachregelungen.
Z.Z. wird sämtliche Kritik am Regierungshandeln als rechts und putinfinanziert tituliert; ich erinnere mich an die Demonstrationen gegen die atomare Aufrüstung vor >40 Jahren, da war alles linksradikal und von Moskau finanziert Würde diese Regierung eeine gute Politik für die Mehrheit der Menschen hier machen, dann bekäme sie auch weniger Kritik.

Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am Mi., 17.01.2024 - 16:57

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Eine gute Politik im Interesse der Bevölkerungsmehrheit und nicht im Interesse der Konzerne, Lobbyisten und Steuerhinterzieher hilft am meisten gegen ein Erstarken der Rechten bei den Wahlen und würde verloren gegangenes Vertrauen in die Regierung wiederherstellen.
Hierzu müsste Olaf Scholz mal gehörig auf den Tisch klopfen und zum Einen der kleinsten Regierungspartei deutlich machen, warum sie ständig Landtagswahlen verliert, zum Anderen durch die eigene Politik beweisen, dass die SPD die stärkste Partei im Bundestag und in der Regierung ist und daher auch eine sozialdemokratische Politik betreiben muss. Dies stellt das beste Mittel dar, um die Glaubwürdigkeit wiederherzustellen und die AfD zu verhindern.