Meinung

Haushaltsstreit: Worum es den Konservativen wirklich geht

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts überschlagen sich Konservative und Liberale mit Kürzungsvorschlägen. Verzichten sollen die, die ohnehin wenig haben. Das ist ein Klassenkampf von oben.

von Patrick Kaczmarczyk · 6. Dezember 2023
Der Bundeshaushalt für das kommende Jahr ist bislang noch nicht verabschiedet worden.

Der Bundeshaushalt für das kommende Jahr ist bislang noch nicht verabschiedet worden.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat eine Lawine losgetreten, die die fiskalpolitische Debatte in weiten Teilen der Medien und Politik in die 90er Jahre zurückwarf. Die schwäbische Hausfrau feiert in diesen Tagen ein nicht für möglich gehaltenes Comeback – trotz der immer deutlicher werdenden Folgen jahrzehntelanger Sparpolitik und der offenkundigen Investitionsbedarfe. 

Losgelöst von jeder makroökonomischen Analyse werden nun Kürzungen gefordert. Man könne auch „ohne Geld“ eine „sehr gute Politik“ machen, sagt der Finanzminister. Wie jeder Haushalt müsse auch der Staat mit dem Geld auskommen, was ihm durch Steuern zur Verfügung steht, schallt es aus der CDU. Die Sparkasse gebe schließlich auch nur begrenzt Kredit, weiß der Finanzexperte Carsten Linnemann.

Das Ausland schaut fassungslos auf Deutschland

Die ausländische Wirtschaftspresse, darunter das Editorial Board von Bloomberg („the country’s storied fiscal restraint has become an impediment to progress“), der Financial Times („enshrining a legal commitment to near-balanced budgets in the constitution [turned] out to be a very bad idea“) oder des Economists („bizarre fiscal mess of its own making“), schauen momentan fassungslos nach Deutschland, wo das geistige Niveau der Debatte im Hagelsturm des liberal-konservativen Populismus jeden Tag neue Tiefs erreicht. 

Dass eine grundlegende Reform der Schuldenbremse längst überfällig ist – auch um die Transformation hin zur Klimaneutralität 2045 zu bewältigen, die ebenfalls vom Bundesverfassungsgericht verlangt wird – ist im Ausland mittlerweile so einleuchtend wie die Tatsache, dass die Erde eine Kugel ist. Weite Teile des konservativ-liberalen Mainstreams in Deutschland jedoch agieren in der Frage wie die Inquisition im Mittelalter. Ökonomisch kann man diese Borniertheit nicht nachvollziehen. 

Den Konservativen geht es nicht um Wirtschaftsfragen

Allerdings sollten wir uns vielleicht ohnehin von der Idee verabschieden, dass es den Konservativen und Liberalen in der Frage um die Wirtschaft und die Verfassung geht. Erklärt das Verfassungsgericht beispielsweise die derzeitige Form der Erbschaftssteuer für verfassungswidrig, so fällt der Einsatz deutlich bescheidener aus als beim Urteil zum Nachtragshaushalt 2021. Dasselbe gilt für die Reform der Grundsicherung, die derzeit attackiert wird. Die Einführung des Bürgergeldes und die Bemessung des Existenzminimums waren eine Antwort auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts – nicht mehr und nicht weniger.

Gerade beim Bürgergeld aber wollen die Opposition und die FDP, von der man mehr und mehr den Eindruck einer Opposition in der Regierung gewinnt, den Rotstift ansetzen, obwohl die Spielräume dafür verfassungsrechtlich sehr eng sind. Auch bei der Transformation zur Klimaneutralität standen gerade die Konservativen seit Jahren auf der Bremse – auch hier liegt ein Urteil des Verfassungsgerichts vor. 

Nach unten treten, die Reichen schützen

Nebst der unterschiedlichen Priorisierung von diversen Urteilen des Verfassungsgerichts gehen Konservative und Liberale beim Haushaltsstreit gegen noch verhältnismäßig sinnvolle Sparvorschläge auf die Barrikaden, wie beispielsweise bei den Vorschlägen zur Kürzung überschüssiger Subventionen für fossile Energien oder des Elterngeldes für wohlhabende Haushalte. Solche Sparvorschläge, die die eigene, wohlhabende Klientel betreffen, werden mit aller Macht blockiert und bekämpft. Kampagnen werden gestartet, Unterschriften gesammelt und die Medienlandschaft ruft das Ende der Gleichstellung aus.

Man mag darüber streiten, ob und inwiefern diese Kürzungen überhaupt angebracht sind, aber die konservativ-liberale Marschrichtung in der Haushaltsdebatte ist eindeutig: Nach unten darf und soll getreten werden (man selbst geht jeden Tag mehrfach mit „gutem“ Beispiel voran), die Reichen jedoch dürfen unter keinen Umständen angetastet werden.

Ein Lehrbuchstück für den Klassenkampf von oben

Nimmt man diese strukturellen Muster zur Kenntnis, wird die Debatte um den Haushalt weniger ökonomisch, sondern vielmehr politisch. Der gegenwärtige Streit wird dabei zu einem Lehrbuchstück für den Klassenkampf von oben, der derzeit von weiten Teilen der Medien, der AfD, von CDU und FDP geführt wird. Weniger als um eine florierende Wirtschaft geht es ihnen vor allem darum, die Verhandlungsposition der Arbeit zu schwächen und die des Kapitals, also ihrer Klientel, zu stärken.

Wie der Ökonom Michał Kalecki bereits 1943 erahnte, werden nämlich „die ‚Disziplin in den Fabriken‘ und ‚politische Stabilität‘ von den Unternehmensführern mehr geschätzt als Profite. Ihr Klasseninstinkt sagt ihnen, dass dauerhafte Vollbeschäftigung aus ihrer Sicht unsolide ist und dass Arbeitslosigkeit ein integraler Bestandteil des ‚normalen‘ kapitalistischen Systems ist.“ 

Leises Geflüster der Vernunft

Genau darum geht es den Konservativen und Liberalen im Kern. Es ist ein Klassenkampf par excellence. Und dennoch ist es wichtig, nicht aus den Augen zu verlieren, dass es in der Wirtschaft auch vernünftige und aufgeklärte Stimmen gibt, die über den Tellerrand hinausblicken können und verstehen, dass eine funktionierende und nachhaltige Ökonomie langfristig auch in ihrem eigenen Interesse ist. Folglich setzen sie sich aus rationalem Kalkül für eine Reform der Schuldenbremse ein und begründen dies mit ökonomischem Sachverstand. Diese Stimmen sind im derzeitigen, populistischen Gebrüll der Konservativen und Liberalen zwar nur ein leises Geflüster der Vernunft – doch gerade deshalb sind sie für die kurzfristige Haushaltspolitik und die langfristige Investitionspolitik des Staates von enormer Bedeutung. 

Autor*in
Patrick Kaczmarczyk

ist Berater bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung und Buchautor von „Raus aus dem Ego-Kapitalismus“ (Westend Verlag). Er promovierte in politischer Ökonomie und ist Mitglied der SPD.

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4 Kommentare

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Do., 07.12.2023 - 06:44

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und den eingeschlagenen Weg konsequent zum Ende weitergehen. Dh- Bürgergeld und Löhne rauf, Vermögen runter. Weiter so, SPD. Ich bin ganz dabei, auch beim Offenhalten der Grenzen- die Kontrollen müssen wieder weg, allen gegenteiligen Forderungen zum Trotz

Gespeichert von Tom Kaperborg (nicht überprüft) am Do., 07.12.2023 - 09:36

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Die CDU will nur wieder an die Macht, schoen bei allen Abstimmungen im BT die Kanzlervorgaben abnicken - fast schon royalistisches Hinterherkriechen - das haben wir in den letzten 40 Jahren mit 32 Jahren CDU-Kanzlerschaft gesehen. Die paar Bosbachs, Willschs usw. dienen hierbei nur als Alibiabgeordnete, die die CDU als vermeintlich diskursfaehig ausweisen. Wir sehen das jetzt in der MIgrationsdebatte: Mit MErkel hat man die KAtastrophe herbeigenickt - da haette ein Stopp der Abgeordneten diese selbstherrliche KAnzlerin einschraenken muessen, nun ist man in der Opposition und bringt genau die Argumente, die jeder halbwegs vernuenftig denkende Buergerliche bereits 2016 hatte. Genau so bei der Euro-Rettung - eine Politik der Waehrungsstabilitaet haette die stattgefundene Inflationierung unseres Geldes vermutlich weitghehend verhindern koennen - Geld erzeugen, statt GR & Co. rauszuwerfen oder erst gar nicht rein zu nehmen - letzteres war Schroeders Regierung. CDU - verlogen, opportunistisch und behaebig - "Bier und Schweinebratenpolitik" - da ist der Buerger zufrieden aber substantiell immer weniger fuer die kleinen Leute - seit Kohl fuehle ich mich von jeder CDU-Regierung ausgenommen und betrogen. Sozialabbau unter Kohl - man denke an die ersten Rentenkuerzungen, leider auch unter Schroeder, diese ausweiten und erschweren der Bedingungen fuer ALG u. ALG(II), aber dann mit tollem Haushalt prahlen und noch mehr Hilfeempfaenger ins Land holen. Erst sparen und dann mit vollen Haenden an andere verteilen, nun haben wir die AFD im BT und die wird immer staeker - das Ergebnis der ruecksichtslosen Machtpolitik der Aussitzkanzler Kohl u. Merkel, wobei Merkel noch weniger getan hat, nur Show. Heute sagen die kleinen Leute teils: Die AFD ist die neue Arbeiterpartei - kein Bloedsinn, das hoere ich hin und wieder genau so formuliert. Dabei war das (- 4 Jahre Schroeders 2. Legislatur) immer die SPD, die sich leider beim Mitragen der Rente 67, Migration, Eurorettung u. ueberzogene Klimapolitik nicht gegen die CDU positioniert hat. Reine Machtpolitik, die die CDU betreibt - regiert diese wieder, so wird wieder alles ausgesessen - mit sich allmaehlich verschlechternden Lebensbedingungen im Land. Der Michel ist dann so dumm und belaesst sie wieder 16 Jahre im Amt. Lernkurve beim Buerger = 0 und bei SPD nur geringfuegig besser. Irgendwann wird die CDU-Fraktion bei entsprechender Sitzverteilung im BT analog zur Zentrumspartei in den 1930ern agieren - dann haben wir den Salat - aengstliches Buergertum eben.

Gespeichert von Michael Meyer (nicht überprüft) am Do., 07.12.2023 - 16:55

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Zu welcher "Klasse" gehören eigentlich die Politiker und Parteifunktionäre mit mehr als 10.000 Euro Monatsgehalt? Zur "Arbeiterklasse" sicher nicht. Ich fühle mich von dieser Klasse am meisten bedroht und bekämpft.