Meinung

Warum die Schuldenbremse ein Problem für den Klimaschutz ist

Klimaschutz kann nur gelingen, wenn er gerecht gestaltet ist und alle mitgenommen werden. Ihn allein aus den laufenden Haushalten zu finanzieren ist deshalb weder politisch noch ökonomisch klug, meint Thomas Losse-Müller.

von Thomas Losse-Müller · 30. November 2023
Elektroauto an einer Ladestation: Soll der Klimaschutz gelingen, müssen sie Teil der Daseinsvorsorge werden, meint Thomas Losse-Müller.

Elektroauto an einer Ladestation: Soll der Klimaschutz gelingen, müssen sie Teil der Daseinsvorsorge werden, meint Thomas Losse-Müller.

Ab diesem Donnerstag kommen 80.000 Menschen aus 198 Ländern zusammen, um bei der Klimakonferenz in Dubai um Fortschritte beim Klimaschutz zu ringen. Deutschland reist mit schlechten Nachrichten an. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds gefährdet die Erreichung der deutschen Klimaziele auf einem sozial abgesicherten und industriepolitisch durchdachten Pfad.

Beim Klimaschutz schaut die Welt auf Deutschland

Das ist auch eine schlechte Nachricht für die Welt. Beim Klimaschutz schaut man auf Deutschland. Wir sind die drittgrößte Wirtschaftsnation. Anders als andere Industriestaaten diskutieren wir nicht mehr das Ob, sondern das Wie von Klimaschutz. Und Deutschland hätte die finanziellen Ressourcen, um die notwendigen Investitionen zu stemmen.

Deshalb ist die Erwartung, dass Deutschland auf dem Weg in Richtung Klimaneutralität voran geht. Doch statt den Karren zu ziehen, diskutieren wir seit dem Urteil darüber, ob es okay ist, die gebrochene Achse zu reparieren. Das ist enorm gefährlich. Wir wissen aus Befragungen, dass die Menschen Klimaschutz wollen. Sie sind aber sensibel, wenn es um die Frage geht, ob sie sich die Klimaschutzmaßnahmen leisten können. Das hat die Debatte über den ersten Entwurf des Heizungsgesetzes gezeigt.

Die Menschen dürfen nicht allein gelassen werden

Wenn der Staat jetzt nicht in die Verantwortung geht, um Klimaschutzmaßnahmen zu finanzieren, werden die Menschen mit den Anpassungslasten allein gelassen. Es braucht klimaneutrale Alternativen, die sich alle leisten können: den Ausbau von Bus und Bahn, Wärmenetze sowie E-Ladesäulen. Wenn der Staat nicht in der Lage ist, diese Investitionen mit Krediten zu finanzieren, zwingen wir stattdessen die Menschen in die Verschuldung. Viele können sich das nicht leisten. Sie wenden sich in der Folge gegen Klimaschutz. Folglich sichern wir die demokratischen Mehrheiten für Klimapolitik nur, wenn wir sie sozial gerecht gestalten und alle mitnehmen.

Die Frage, wie sozial gerechter Klimaschutz funktioniert, gehört ins Zentrum der Politik. Das ist zumindest die Perspektive des Sozial-Klimarats, in dem wir mit Sozial- und Wohlfahrtsverbänden und Klimaexperten genau diese Frage diskutieren. Wir haben dieser Arbeit vier Arbeitshypothesen vorangestellt:

1. Klimapolitische Strategien müssen Alle und das Ganze in den Blick nehmen.

Wir dürfen nur klimapolitische Strategie verfolgen, die für alle Menschen Lösungen enthalten. Das klingt trivial. Es ist aber ein Kurswechsel gegenüber der Klimapolitik der vergangenen 20 Jahre. Ihr Fokus lag auf Innovation, Demonstrationsprojekten und dem Markthochlauf klimaneutraler Technologien. Diese Strategie war richtig und erfolgreich. Aber jetzt müssen wir sie weiterentwickeln.

Massentaugliche Lösungen für alle

Es reicht nicht mehr, die Markteinführung von Solaranlagen oder E-Autos durch die Förderung vermögender oder besonders klimabewusster Haushalte voranzubringen. Heute geht es darum, massentaugliche, skalierbare Lösungen für alle zur Verfügung zu stellen. Ein Pfad, auf dem zwar 40 Prozent aller Haushalte effizient klimaneutral werden, der aber für die verbliebenen 60 Prozent gar nicht gangbar ist, wäre falsch.

2. Klimapolitische Maßnahmen müssen so gestaltet werden, dass sie Menschen ein klimaneutrales Leben ermöglichen und nicht einfach verordnen.

Auch das mag trivial klingen. Ist es aber nicht. Das Problem beim ersten Entwurf des Heizungsgesetzes war, dass es Menschen vorschreiben wollte, eine Gasheizung gegen eine Wärmepumpe zu tauschen, obwohl sie diese Investition gar nicht stemmen konnten. Wir müssen unsere Politikvorschläge an den verschiedenen Lebenslagen der Menschen und ihre Anpassungskapazitäten an Klimaschutzmaßnahmen orientieren.

Zuerst die Altnernative, dann die Veränderung

Zuerst müssen klimaneutrale Alternativen da sein, ehe wir durch Preise und Ordnungsrecht Verhaltensänderungen erwirken. Konkret heißt das: Flächendecke und günstige Bus- und Bahnverbindungen sowie bezahlbare Elektro-Autos müssen verfügbar sein, bevor das Verbrenner-Verbot greift. 

3. Öffentliche Infrastrukturen sind eine zentrale Voraussetzung für sozial gerechten Klimaschutz. Sie müssen gegenüber individuellen Anpassungsstrategien priorisiert werden.

Die bezahlbaren klimaneutralen Alternativen werden wir vor allem als öffentliche Infrastrukturen zur Verfügung stellen. Busse und Bahnen, günstige Ladesäulen, leistungsfähige Strom- und Wärmenetze sowie Wasserstoff-Pipelines sind Teil der Daseinsvorsorge. Dieser Weg in Richtung Klimaneutralität ist nicht nur gerecht, sondern auch ökonomisch sinnvoll.

Es braucht einen aktiven Staat

Das gemeinschaftliche Wärmenetz mit einer großen zentralen Wärmequelle ist schon aus physikalischen Gründen günstiger, als wenn alle Häuser in einer Straße einzeln auf eine Wärmepumpe umgerüstet werden. Diese öffentliche Infrastruktur entsteht aber nicht von allein. Wie bei der Schaffung von Wasserleitungen und Kanalisation muss sie organisiert und gebaut werden. Dafür braucht es einen aktiven und handlungsfähigen Staat. Und daraus ergibt sich unsere letzte Arbeitshypothese, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts unter Druck ist.

4. Die finanzielle und organisatorische Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens muss als Rückgrat sozial gerechter Klimapolitik gestärkt werden. Dafür bedarf es Krediten und sozial gerechter Steuererhöhungen.

Die Finanzierung der neuen öffentlichen Infrastrukturen über Kredite wird durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts deutlich erschwert. Die Vorgaben des Gerichts machen es schwer, ökonomisch effizient zu handeln. Es ist unklug, über Jahrzehnte laufende Investitionsprojekte mittels dem Haushaltsprinzip der Jährigkeit zu steuern. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir die Schuldenbremse reformieren müssen, wenn sie nicht zur Zukunfts- und Transformationsbremse werden soll.

Sozial gerechter Klimaschutz und die Schuldenbremse

Klimaschutz muss innerhalb der Schuldenbremse finanziert werden können. Sonst verfehlt sie ihren Zweck. Schließlich soll die Schuldenbremse staatliche Handlungsfähigkeit langfristig absichern und nicht behindern. Es ist weder ökonomisch noch politisch klug, die Bekämpfung der Klimakrise allein aus den laufenden Haushalten zu finanzieren.

Erstens liegen bis zum Klimaziel 2045 zwei Jahrzehnte massiver Investitionen vor uns. Von den Erträgen dieser Investitionen profitieren wir aber deutlich langfristiger über den Verlauf der nächsten fünf Jahrzehnte. Jedes Unternehmen würden in dieser Lage eine Kreditfinanzierung nutzen und nicht alle Zukunftsinvestitionen allein aus den laufenden Einnahmen bestreiten.

Und zweitens ist es zwar richtig, dass wir schon lange über den menschengemachten Klimawandel Bescheid wissen. Es wurde aber zu wenig getan. Dadurch hat sich das Zeitfenster für die Reaktion auf die Klimakrise dramatisch reduziert. Man kann Olaf Scholz nicht vorwerfen, dass Helmut Kohl vor 30 Jahren zu wenig in den Klimaschutz investiert hat. Die Investitionen, die damals versäumt wurden, müssen jetzt nachgeholt werden. Das überfordert den Bundeshaushalt, wenn wir nicht auf Kredit zurückgreifen.

Deutschland könnte mit einer guten Nachricht zur COP reisen

Aber es gibt Hoffnung. Auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist die Finanzierung von Klimaschutz über Notkredite möglich. Die Landesregierung von CDU und Grünen in Schleswig-Holstein hat das gerade mit Unterstützung der SPD getan.

Es wäre eine gute Nachricht, wenn die Bundesregierung auf der Weltklimakonferenz verkünden könnte, dass er auch der Ampel-Koalition in Berlin gelungen ist, die jetzt fehlenden 60 Milliarden Euro erneut mobilisiert zu haben. Aber auch losgelöst von dieser notwendigen kurzfristigen Reaktion brauchen wir eine Reform der Schuldenbremse. Das ist für alle, die im Sozial-Klimarat mitarbeiten klar. Wir wollen unbedingt die Klimaziele erreichen. Damit das klappt, müssen wir das Soziale in den Mittelpunkt stellen und auf einen handlungsfähigen Staat setzen.

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Thomas Losse-Müller

ist Geschäftsführer des Sozial-Klimarats und Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag von Schleswig-Holstein.

1 Kommentar

Gespeichert von Bernd Schwarz (nicht überprüft) am So., 14.01.2024 - 15:47

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Hallo
insgesamt kann ich den Darstellungen zustimmen. Durch die Schuldenbremse und das BVG Urteil wird Deutschland zurück geworfen. Es soll wieder die alte "Kameralistik" gelten woach Budgets für ein Haushaltsjahr geplant und in diesem auch ausgegeben werden müssen. Gleichzeitig bereiten sich die Bundesländer in Ihren SAP Systemen auf eine Abkehr von der Kameralistik vor. Gesellschaftliche Aufgaben lassen sich nicht mit der damit verbundenen Budgetplanung und mehrjährigen Umsetzungsprojekten bei Infrastrukturprojekten umsetzen oder realisieren.
Gleichzeitig ist es aber auch wichtig die Regulierung so aufzubauen, dass in der Energiewirtschaft nicht nur die Incumbents investieren können, sondern auch Wohnungsbauunternehmen, Firmen, Bürger, Mieter . Investitionen in Eigenerzeugung wird langfristig die Macht der bestehenden EVU schwächen. Genau diese Disruption soll ofensichtlich nicht forciert werden. Schade dass auch die SPD diesem Irrglauben verfallen ist. Bon der Umsetzung des RED II oder der Verankerung der EE-Gemeinschaft im EnWG hört man nichts.... es ist ein Trauerspiel!