Kultur

Zu woke, um Wahlen zu gewinnen. Bill Mahers Kritik an den US-Demokraten

In seinem Buch „What this comedian said will shock you“ redet sich der bekennende Linke Bill Maher über die Verirrungen der amerikanischen öffentlichen Debatte in Rage. Wollen Demokrat*innen wieder Wahlen gewinnen, sollten sie ihm zuhören.

von Michael Bröning · 14. November 2024
Buchcover Bill Maher

Jetzt ist es also wieder passiert: Zum zweiten Mal ist Donald Trump President Elect. Und in Teilen des progressiven Lagers tendiert die Fehlersuche erneut in Richtung Schönfärberei. Jedenfalls sofern nicht gleich mit Vollgas die Abkürzung in Richtung Wählerbeschimpfung genommen wird. „Schrecklich, wenn die Menschen einfach zu uninformiert sind, um zu begreifen, was sie an uns haben!“

Manche Wahlnachlese erscheint geradezu bizarr oder unfreiwillig komisch. Etwa das Feiern einer vermeintlich „fehlerlosen“ Kampagne der Demokraten oder die Behauptung, die multiethnische Trump-Koalition – von Ureinwohnern bis zu Latino-Einwanderern – sei einfach eine neue Spielart des altbekannten rassistischen Hasses. White Supremacy der Ureinwohner: Auch darauf muss man erst einmal kommen.

Beißender Spott und Marihuana-Liebe

Statt unfreiwillig komisch dann doch lieber ganz direkt zum Humor. Her also mit Bill Mahers „What This Comedian Said Will Shock You“, einer Anfang des Jahres in den USA erschienenen Sammlung von Essays, die die berüchtigten Abschluss-Sätze des US-Late-Night-Talkers zusammenfassen. Maher ist in den Vereinigten Staaten nicht nur bekannt, sondern auch berüchtigt: Für beißenden Spott, für Atheismus, für Marihuana-Liebe – und politische Tobsuchtsanfälle.

Seinen Durchbruch erlebte der bekennende Linke in den 1990er-Jahren mit der ABC-Serie „Politically Incorrect“. Heute steht er in der HBO-Show „Real Time“ vor der Kamera. Insgesamt 41-mal wurde Maher für einen Emmy nominiert, einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame nennt er ohnehin sein Eigen und auch einen erfolgreichen Roman hat er unter Haben zu verbuchen.

Religion, Waffen, Cancel Culture

Die Themenliste des neuesten Buchs nun liest sich wie ein Katechismus der aktuellen Trigger-Themen: Religion, Waffen, Cancel Culture, Race, Einwanderung, Trump und Bürgerkrieg, um nur einige der 24 Kapitelschwerpunkte zu nennen. Und wie eine Bestandsaufnahme der progressiven Entkopplung von Mehrheiten, die durch die Wahlniederlage von Kamala Harris nun noch einmal eine ganz neue Bedeutung gewonnen hat.

Denn Maher geht hart ins Gericht – mit republikanischem Zynismus, mit Ungleichheit und mit Irrationalität. Doch noch ein bisschen härter mit Dogmen in Teilen des progressiven Milieus. Hier legt Maher nicht nur einen Finger in die Wunde, sondern holt mit einem Vorschlaghammer aus, dass es nur so kracht. 

Zerlegt wird dabei manchmal der gute Geschmack, aber immer zugleich auch das Potemkinsche Dorf der Realitätsverweigerung, dessen Fassaden den Weg in eine erneute progressive Präsidentschaft deutlich schwerer gemacht haben. Erwartbar nimmt Maher kein Blatt vor den Mund. Beispiel gefällig? „Für die Progressiven ist dieses Land voller dummer Weißer. Aber der durchschnittliche Wähler ist ein Weißer in den Fünfzigern, der nicht aufs College gegangen ist und dessen Pronomen ‘Ich hab keine Ahnung, wovon zum Teufel Du sprichst’ lauten.“

Sprache und Gender

Und weiter zum Thema Sprache und Gender: „Seit Jahrzehnten erklären Progressive: ‘Abtreibungsrechte sind Frauenrechte.’ Aber wenn heute woke Progressive von ‘Frauen’ sprechen, verwenden sie Begriffe wie ‘menstruierende Menschen’, weil irgendwo ein Trans-Mann schwanger ist. Ja, sicher! Nehmen wir das erste verdammte Wort, das ein Mensch versteht – ‘Mama’ – und ersetzen wir es durch eines, das nur noch vier Trotzkisten auf dem Campus von Berkeley begreifen“... Und so in einem fort.

Der politische Fokus auf die Ränder sei nicht illegitim, aber für die meisten Wählerinnen und Wähler einfach nicht überzeugend. „Die Menschen sehen in der Demokratischen Partei einen Rechtsanwalt und denken: ‘Schön, dass Sie so viele andere Mandante haben – aber in erster Linie sollten Sie sich mal für meine Interessen einsetzen!’. Wenn die Demokraten gewinnen wollen, müssen sie wie die Anwälte auf den Werbetafeln sein: ‘Arbeitsunfall? Wir kämpfen für Sie!’“

„Wir mögen Trump nicht, aber...“

Warum? Weil der Ansatz, Mehrheiten aus der Summe vermeintlich enttäuschter 
Minderheiten zusammenzuschnüren, immer wieder scheitert. „Im Jahr 2020, als 
es so sehr darum ging, die Menschen auf Rassismus aufmerksam zu machen, ging der Rückhalt der Demokraten bei Minderheiten zurück“, erklärt Maher. „Die Botschaft lautete: ‘Wir mögen Trump nicht, aber wir können uns trotzdem nicht dazu bringen, Euch zu wählen.’“ Gerade das aber sollte den Demokraten zu denken geben. Denn: „Die Progressiven können nun entweder das halbe Land abschreiben oder sie können fragen: Was hat es mit einem ‘D’ neben dem Namen eines Kandidaten auf sich, dass es ihn so toxisch macht?“

Seine ganz persönlichen Antworten liefert Maher gleich mit. Etwa im Umgang mit Latinos. Diese werden in aufgeklärten demokratischen Kreisen gerne als Latinx bezeichnet – um weder die männliche noch die weibliche Form zu verwenden – und zwar gegen den Wunsch der Betroffenen selbst. „Wer den Ausdruck mag? Weiße Politiker, die Twitter mit echten Menschen verwechseln.“ 

Tacheles reden und Tacheles hören

Sogar die älteste lateinamerikanische Bürgerrechtsgruppe des Landes hat sich dagegen ausgesprochen. Doch Kongressabgeordnete wie Alexandria Ocasio-Cortez verteidigen ihn: ‘Geschlecht ist fließend. Sprache ist fluide!‘“ Fluide aber sind für Maher in der Folge nur die Mehrheiten, die den Demokraten so zwischen den Fingern zerrinnen.

Als Kern des Problems bezeichnet Maher dabei immer wieder das, was man als 
fehlende Alltagsrationalität der Linken bezeichnen könnte: „Die Demokraten kommen nicht als Partei des gesunden Menschenverstands rüber – und zwar bei Leuten, die ansonsten an QAnon-Verschwörungen glauben“, polemisiert Maher. „Demokratische Kongressabgeordnete twittern Dinge wie ‘Kapitalismus ist Sklaverei.’“ Das aber überzeuge niemanden.

Zwar seien die Republikaner „die Partei, die Kinder an den Grenzen von ihren Eltern trennt“, doch dafür seien die Demokraten „die Partei jeder einzelnen Social-Justice-Warrior-Woke-Bullshit-Geschichte in den Medien.“ In der Folge hätten sich die Demokraten „Von der Partei FDRs und JFKs in die Partei von LOLund WTF verwandelt.“ Autsch. Zu radikal? Vielleicht präventiv erinnert Maher immer wieder daran, endlich Tacheles zu reden – und Tacheles zu hören. Hate speech sei schließlich etwas anderes als „Speech I hate“.

Am Ende nichts zu lachen

Natürlich treffen solche Attacken auf Widerspruch. Gerade Spott, der trifft, ist schließlich schwer erträglich. Maher sei so etwas wie ein nützlicher Idiot der politischen Rechten, hört man. Doch gerade das lässt er nicht gelten: „Manche Leute meinen, ich hätte mich verändert. Aber das habe ich nicht. Ich bin immer noch derselbe unverheiratete, kinderlose Grasraucher, der ich immer war“, verteidigt sich Maher an einer Schlüsselstelle. „Nicht ich habe mich verändert, sondern die Linke, die jetzt aus einem kleinen Kontingent besteht, das verrückt geworden ist, und aus einem großen Kontingent, das sich weigert, dagegen anzugehen“.

Man muss, man kann nicht mit allem einverstanden sein, was Maher anklagt. Doch eine Linke, die Wahlen wieder gewinnen will, täte gut daran, ihm zuzuhören. Nicht um alles abzunicken, sondern um eine entscheidende Debatte zu führen. Ansonsten dürften es auf längere Sicht nichts zu lachen geben.


Zum Buch
Bill Maher: What this comedian said will shock you.
Simon & Schuster, 2024, 378 Seiten

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Michael Bröning

ist Politikwissenschaftler und Mitglied der SPD-Grundwertekommission.

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