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Ein Jahr Iran-Proteste: „Wir müssen den Druck auf das Regime erhöhen.“

Vor einem Jahr begannen die Massenproteste im Iran nach dem Tod von Jina Mahsa Amini. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Ye-One Rhie übernahm die Patenschaft für einen politischen Gefangenen. Von der Bundesregierung fordert sie mehr Selbstbewusstsein.
von Kai Doering · 15. September 2023
Kundgebung in Den Haag: Die Menschen im Iran haben große Hoffnungen mit den Protesten verbunden.
Kundgebung in Den Haag: Die Menschen im Iran haben große Hoffnungen mit den Protesten verbunden.

Vor einem Jahr begannen im Iran die Massenproteste, nachdem Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam gestorben war. Wann haben Sie begonnen, die Situation vor Ort zu verfolgen?

Es hat ein paar Tage gebraucht, bis die Medien in Deutschland begonnen haben, über die Vorgänge im Iran zu berichten. Bruchstückhaft sind zwar schon vorher Informationen durchgesickert, aber die habe ich erst nicht so richtig einordnen können. Als dann Bilder von den riesigen Protesten durch die sozialen Medien gegangen sind, bin ich aufmerksam geworden. Mich hat schockiert, wie brutal das iranische Regime von Anfang an mit den Protestierenden umgegangen ist. Gleichzeitig haben mich die Menschen tief beeindruckt, die unter Lebensgefahr immer und immer wieder auf die Straße gegangen sind.

Gewalt gegen Frauen durch die sogenannte Sittenpolizei gab es schon vorher. Warum hat der Tod von Jina Mahsa Amini eine solche Wirkung entfaltet?

Eine große Rolle haben aus meiner Sicht die sozialen Medien gespielt. Sie haben den Protest von der Straße in die Welt getragen. Wir konnten live dabei sein, wie ein Regime seine Bürgerinnen brutal unterdrückt. Diese Bilder haben eine ungeheure Wirkung entfaltet, im Iran, aber auch weit darüber hinaus. Hinzu kommt, dass mit Niloofar Hamedi eine Journalistin früh über den Tod von Jina Mahsa Amini berichtet hat, bis sie das iranische Regime ins berüchtigte Evin-Gefängnis gesteckt hat. Seitdem ist klar, dass auch das Ausland nicht mehr schweigen kann und damit umgehen muss.

Zuerst waren die Anteilnahme und die Proteste auch in Deutschland sehr groß. Inzwischen hat das Interesse deutlich abgenommen. Was bedeutet das für die Situation und die Menschen im Iran?

Ich denke, für die Menschen im Iran, aber auch in der Diaspora in Deutschland ist das eine große Enttäuschung. Sie haben große Hoffnungen mit den Protesten verbunden, dass die Situation im Land besser wird und sie endlich freier leben können. Wir müssen uns auch überlegen, wie wir den Druck auf das iranische Regime nochmal erhöhen können. Man muss allerdings auch sagen, dass auch im vergangenen Jahr die Aufmerksamkeit für die Situation im Iran nicht von Anfang an da war. Der Blick der Welt war vor allem auf die Ukraine gerichtet. In Deutschland kamen innenpolitische Probleme hinzu wie die Sorge, dass das Gas nicht für den Winter reichen könnte. Erst iranischstämmige Journalistinnen und Aktivist*innen haben das mit ihrem Einsatz geändert.

Als erste deutsche Abgeordnete haben Sie eine Patenschaft für einen politischen Gefangenen, den iranischen Rapper Toomaj Salehi, übernommen. Wie geht es ihm?

Das ist schwer zu bewerten. Als ich die Patenschaft für ihn übernommen habe, drohte ihm die Todesstraße. Inzwischen wurde er zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Das klingt zunächst nach einem Erfolg. Wenn man sich aber überlegt, dass er nichts getan hat, sind sechs Jahre Gefängnis eine extrem harte Strafe. Akut macht mir Sorge, dass Toomaj Salehi zusammen mit Kapitalverbrechern in einer Zelle sitzt. Das ist eine zusätzliche Gefahr für ihn. Und natürlich kann sein Strafmaß jederzeit erhöht werden. Der Iran ist ja kein Rechtsstaat.

Was können Patenschaften wie Ihre bewirken?

Aufmerksamkeit schafft schon einen gewissen Schutz. Und diese Aufmerksamkeit erzeugen wir mit den politischen Patenschaften. Sie sind aber auch ein Weg, um den Status als Abgeordnete politisch zu nutzen, solange es auf diplomatischer Ebene keine Durchbrüche gab. Mir persönlich hat die Patenschaft auch geholfen, mit der Hilfslosigkeit umzugehen.

Aktivist*innen fordern schon länger ein stärkeres Engagement der Bundesregierung für die politischen Gefangenen im Iran. Welche Erwartung haben Sie?

Ich bin mir sehr sicher, dass die Bundesregierung mehr tut als öffentlich bekannt ist. Vieles muss im Verborgenen laufen, um den Erfolg nicht zu gefährden. Trotzdem wünsche ich mir, dass die deutsche Regierung deutlich selbstbewusster von ihren europäischen Partnern ein einheitliches Vorgehen einfordert. In den letzten Monaten haben wir miterlebt, dass einige europäische Länder und sogar die USA bereit sind, über das Leben von Doppelstaatler*innen mit dem Iran zu verhandeln und im Gegenzug eingefrorenes Geld freigeben. Das ist schon frustrierend.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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