Kultur

Film über Feministin Helke Sander: „Die Arbeit geht weiter“

Sie öffnete Türen für feministische Positionen und Filme: Der Dokumentarfilm „Helke Sander: Aufräumen“ erzählt aus dem Leben der Aktivistin und Künstlerin. Im Interview beschreibt Regisseurin Claudia Richarz, warum die Bedeutung von Helke Sanders Schaffen ungebrochen ist. 

von Nils Michaelis · 7. März 2024
Helke Sander in ihrem Film "Der Beginn aller Schrecken ist Liebe"

Helke Sander in ihrem Film "Der Beginn aller Schrecken ist Liebe" von 1984.

Helke Sander hat als Feministin und Künstlerin Spuren hinterlassen. Auch Sie haben neben dem Filmemachen als Aktivistin gewirkt, zum Beispiel durch ihr Mitwirken am Aufbau eines Kultur- und Medienzentrums für Frauen in Hamburg. Ist Helke Sander ein Vorbild für Sie?

 Ich würde lieber von Inspiration sprechen, vor allem wegen ihrer in den 70er-Jahren entstandenen Zeitschrift „Frauen und Film“. Mir und vielen anderen haben die Beiträge darin damals die Augen geöffnet. Allein die Auswahl der Themen und die Weise, wie sie dargestellt wurden. Etwa die Stellung der Frau und ihr Bild in den Medien. Oder auch die Situation von uns Filmarbeiterinnen. Wir waren viel zu wenige! 

Auch feministische Filmkritik war für mich ein Novum. Gespräche der Herausgeberinnen mit Regisseurinnen über ihre Filme fanden sich im Heft wieder. Das fand ich bewegend.

Die Biografie von Helke Sander steht für den Kampf um Resonanz und Anerkennung. Das zeigen Sie unter anderem anhand des hochgelobten Films „BeFreier und Befreite“, der trotz öffentlicher Lorbeeren im Fernsehen kaum zu sehen war. Wollen Sie Helke Sander späte Gerechtigkeit verschaffen? 

Das würde ich so nicht sagen. Es war einfach an der Zeit, einen Film über sie zu machen. Vor vielen Jahren gab es im Fernsehen einen kürzeren Dokumentarfilm über sie. Mir schwebte ein abendfüllender Kinofilm vor, weil es ihr angemessener ist. Mir war dabei bewusst, welch eine wichtige Rolle sie in der Frauenbewegung und im deutschen Film eingenommen hat.

Viele wissen das nicht und denken, die Frauenbewegung habe mit Alice Schwarzer und der Anti-Abtreibungskampagne von 1974 begonnen. Dabei hat 1968 mit Helke Sanders Rede bei der Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes alles angefangen. Als sie sagte, dass die Befreiung der Frau zu Hause, also bei der Kinderbetreuung und der Sorgearbeit beginnt. Das war total fortschrittlich.

Vorher hat sie mit anderen Frauen den Aktionsrat zur Befreiung der Frauen und später den ersten Kinderladen in Berlin mit gegründet. Heute wissen wir, dass die Frauenbewegung bei historischen Veränderungen die größte revolutionäre Kraft ist.

Ihr Film lebt davon, Helke Sander persönlich oder durch ihr Werk sprechen zu lassen. Welchen Ansatz haben Sie darüber hinaus verfolgt?

Ich wollte ihr Leben mit ihr selbst und durch ihre Filme erzählen. Ihr filmisches Werk ist äußerst umfangreich. Darin ist sie oft auch vor der Kamera zu erleben. Das war eine Riesenchance. Ich konnte sehr gutes Bildmaterial aus vielerlei Lebensphasen verwenden.

Helke Sander kritisierte schon frühzeitig die fehlende Präsenz von Frauen in gestaltenden Berufen der Massenmedien. Wo stehen wir heute?

Es ist viel passiert, aber nicht genug. Von Gleichberechtigung kann keine Rede sein. Ich bin für eine Quotenregelung, um Veränderungen durchzusetzen

Die Initiative Pro Quote macht immer wieder deutlich, dass Frauen in der Filmszene unterrepräsentiert sind, obwohl immer mehr von ihnen eine entsprechende Ausbildung absolvieren. Es gibt nicht sehr viele Regisseurinnen. Neulich wurde der Deutsche Kamerapreis verliehen. Unter den Ausgezeichneten war keine einzige Frau. Das ist nicht zu fassen.

Oftmals werden Projekte filmschaffender Frauen abgelehnt, weil sich männliche Entscheider nicht für deren Stoff interessieren. Helke Sander erzählt in ihrem ersten Spielfilm „Die allseitig reduzierte Persönlichkeit - Redupers“ von den Nöten einer alleinerziehenden Mutter. Dass dieser Film im Jahr 1977 zustande kam, war sensationell.

Regisseurin Claudia Richarz

Ich bin für eine Quotenregelung, um Veränderungen durchzusetzen.

In einer Szene Ihres Filmes wirft Helke Sander der Genderbewegung vor, einen Teil der eigenen Generation entpolitisiert zu haben, weil sie Themen wie Kinderarmut ausblende. Ist Helke Sanders Feminismus noch zeitgemäß?

Im Gegensatz zu Helke Sander bin ich nicht der Auffassung, dass die Genderbewegung den Feminismus schwächt. Dieser hatte schon immer verschiedene Strömungen. Sorgearbeit ist auch heute ein wichtiges Thema. Wenn sich junge Frauen heute verstärkt mit Genderthemen befassen und sich für eine gegenderte Sprache einsetzen, ist das für mich absolut in Ordnung. Denkt man Frauen in Worten und Sätzen mit, entstehen andere Bilder im Kopf. Sprache schafft Bewusstsein.

Welchem Film von Helke Sander würden Sie dem heutigen Publikum besonders ans Herz legen?

Jeder ihrer Filme ist immer noch aktuell, daher ist die Auswahl schwierig. Ich würde mich wohl für „Die allseitig reduzierte Persönlichkeit - Redupers“ entscheiden. Ganz toll ist auch der Kurzfilm „Nummer 1 – aus Berichten der Wach- und Patrouillendienste“.

Gewalt gegen und Unterdrückung von Frauen aufzuarbeiten, war und ist das Lebensprojekt von Helke Sanders. Was wird davon bleiben?

Dass sie Sorgearbeit und Gewalt gegen Frauen, aber auch die Vergewaltigung von Frauen im Krieg als Themen in die Welt gebracht hat, ist ein unschätzbares Verdienst. Alles noch immer äußerst aktuell. Leider.

Bräuchte es mehr Filmemacherinnen, die sich so umfassend und engagiert einbringen wie Helke Sander?

Es gibt unter den Filmschaffenden viele Frauen, die sich mit drängenden Fragen unserer Zeit beschäftigen. Und auch Feministinnen, die sich künstlerisch äußern. 

Man kann sich Themen, die längst in der Welt sind, immer wieder widmen und dafür Aufmerksamkeit bekommen. Katharina Mücksteins im vergangenen Jahr angelaufener Film „Feminism WTF“, der sich auf spannende Weise mit allen Themen von uns Feministinnen auseinandersetzt, hat mir sehr gefallen. Es spricht nichts dagegen, Helke Sanders Arbeit fortzusetzen.

 

Der Film "Helke Sander: Aufräumen" läuft seit dem 7. März im Kino. Weitere Informationen zu dem Dokumentarfilm gibt es unter https://barnsteiner-film.de/helkesander/

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