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Warum das Recht auf Abtreibung in Frankreich Verfassungsrang erhält

Als erstes Land der Welt wird Frankreich das Recht auf Abtreibung qua Verfassung sicherstellen. Gestern hat der Senat mit überwältigender Mehrheit den Weg geebnet, Montag werden beide Parlaments-Kammern endgültig votieren. 

von Kay Walter · 29. Februar 2024
Auf Initiative von Präsident Macron: Das Recht auf Abtreibung soll in Frankreich Verfassungsrang erhalten.

Auf Initiative von Präsident Macron: Das Recht auf Abtreibung soll in Frankreich Verfassungsrang erhalten.

„Ein Historischer Tag für Frankreich, ein starkes Signal an Europa und die Welt“, kommentierte Justizminister Dupont-Moretti die Abstimmung im Senat. Mit 267 zu 50 Stimmen hat die Kammer, in der wohlgemerkt zu zwei Dritteln Männer sitzen, Abtreibung zur „garantierten Freiheit“ der Frauen erklärt. Die notwendige Drei-Fünftel-Mehrheit bei der finalen Abstimmung am Montag, 4. März, in Versailles gilt als absolut sicher. 

Macrons Reaktion auf die USA

Präsident Macron hat vehement auf die Verfassungsänderung gedrängt, nachdem der Oberste Gerichtshof der USA 2022 in einem Aufsehen erregendem Prozess das Urteil „Roe gegen Wade“ aufgehoben und damit Schwangerschaftsabbrüche potenziell wieder strafbar gemacht hatte. Einem derartigen Rollback von erkämpften Rechten soll in Frankreich mit der Aufnahme in die Konstitution ein endgültiger Riegel vorgeschoben werden. „In vielen Ländern, auch in Europa, gibt es Meinungsströme gegen die Freiheit der Frauen, ihre Schwangerschaft zu beenden, wenn sie es wünschen", heißt es im Vortext zum Gesetz. Ein dezidierter Verweis auf EU-Staaten wie Malta, Ungarn oder auch Polen.

Bis zur 14. Woche sind Abtreibungen in Frankreich legal und auf Krankenschein erhältlich. Simone Veil hatte als Gesundheitsministerin 1975 die Entkriminalisierung der interruption volontaire de grossesse durchgesetzt, weshalb der komplizierte Begriff für legale Schwangerschaftsabbrüche gemeinhin als IVG abgekürzt oder bis heute schlicht als loi Veil bezeichnet wird.

Selbst Le Pens Partei stimmt zu

Tatsächlich heben gestern Vertreter*innen aller Parteien der Aufnahme in die Verfassung zugestimmt, sogar Marine Le Pens Rassemblement National. Dabei fordert die Rechts-Außen-Partei in ihrem Wahlprogramm die Abschaffung der Abtreibung. Aber nach neuesten Umfragen sind 86 Prozent aller Bürger*innen pro legalen Abbruch. Und Populismus schlägt Überzeugung. Die gestrigen Gegenstimmen stammten mehrheitlich von den bürgerlich-konservativen Republicains.

Ansonsten folgte der Abstimmung stehender Applaus im Senat, sowie geradezu euphorische Kommentare. „Es ist kein Kampf mehr, jetzt ist es ein Sieg, es ist eine außergewöhnliche Botschaft, die Frankreich gerade gesendet hat", feierte die Grüne Senatorin Mélanie Vogel. „Für die französischen Frauen und Männer, die massiv die Verfassung der Abtreibung gefordert haben, für alle Frauen, die den Horror der Kriminalisierung der Abtreibung erlebt haben, für alle Frauen, die sie nie erleben wollen.“

Als erster Staat weltweit

„Wir schreiben Geschichte“, schrieb La France Insoumise Fraktionsvorsitzende Mathilde Panot. „Die letzte Sperre ist zerbrochen. Frankreich wird der erste Staat der Welt sein, der das Recht auf Abtreibung garantiert.“

Präsident Macron begrüße das Votum des Senats auf Twitter/X und erklärte: „Ich habe versprochen, die Freiheit der Frauen, auf Abtreibung zurückzugreifen, unumkehrbar zu machen, indem ich sie in der Verfassung verankert werde.“ Es kann kein Zweifel mehr bestehen, dass Frankreich nun zum ersten Staat weltweit wird, in dem Frauen das Recht auf Abtreibung in der Verfassung festgeschrieben ist.

Frauenwahlrecht erst seit 1944

Dabei war Frankreich, dass sich selbst gern als Hort der Aufklärung und Verteidiger der demokratischen Grundwerte betrachtet, wahrlich nicht immer Vorkämpfer für Frauenrechte. Zwar beschloss die Pariser Commune im März 1871 die allgemeine Gleichstellung von Frauen und Männern inklusive des gleichen Lohns für gleiche Arbeit, aber nach ihrer blutigen Niederschlagung wurden Frauenrechte umgehend wieder abgeschafft. Aktiv und passiv wahlberechtigt sind Frauen in Frankreich danach erst wieder seit dem 21. April 1944, ziemlich spät im Vergleich zu anderen Staaten. Und den 8. März machte erst Präsident Francois Mitterand 1982 zum Internationalen Frauentag. Vier Tage vor dem Frauentag 2024 geht es nun voran, wird Frankreich Geschichte wieder gemacht. Die Verfassung der Fünften Republik garantiert die Freiheit zum Schwangerschaftsabbruch.

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