Umweltschutz: Wie Europas Konservative den Green Deal zerstören wollen
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Spätestens nach ihren Wahlerfolgen in Griechenland und Spanien blinken die konservativen, christdemokratischen Parteien in Europa unter der Führung von Manfred Weber immer deutlicher nach hart Rechts. Zu ihren zentralen Angriffspunkten gehört dabei der Green-Deal, der Klima- und Umweltschutz in der Union vorantreiben will. Europaweit sind auf nahezu allen Parteitagen christdemokratischer Parteien alle Initiativen zu mehr Umweltschutz abgeschmettert worden, und bereits beschlossene Gesetze wieder zur Disposition gestellt worden.
Ein zentraler Baustein des Green Deal , das EU-Renaturierungsgesetz, wurde im Zusammenhang dieser „neuen Linie“ bereits in den Ausschüssen für Landwirtschaft und Fischerei abgelehnt. Federführend und daher entscheidend ist in Europa aber der Umweltausschuss, dessen Votum für diesen Donnerstag angesetzt ist. Sollte sich die EVP durchsetzen und der Vorschlag erneut abgelehnt werden, dürfte das gesamte Gesetzesvorhaben scheitern. Stimmt der Ausschuss zu, steht für Juli die Entscheidung im Parlament an.
Erpressung durch die EVP
Der EVP-Vorsitzende Manfred Weber spielt mit harten Bandagen. Er fordert „seine“ Abgeordneten ultimativ auf, gegen das Gesetz zu stimmen. Manche sprechen in diesem Zusammenhang gar von Erpressung, wie etwa der liberale Ausschussvorsitzende, der Franzose Pascal Canfin. „Ich weiß aus direkten und verschiedenen Quellen, dass die EVP-Führung Druck auf die Abgeordneten ausübt, wenn diese am Donnerstag zur Abstimmung in den ENVI-Ausschuss kommen und Weber nicht zu 100 Prozent sagen, dass sie gegen den gesamten Text stimmen werden“, erklärte er vor zwei Tagen. Auch sonst tritt Canfin als deutlicher Kritiker von Webers Linie der Anbiederung an die rechtsradikale und nationalistische Konservative auf.
Der einzige EVP-Abgeordnete, der sich entgegen der Weberschen Parteilinie öffentlich positiv zu dem Gesetzesvorschlag bekannte, ist der tschechische Abgeordnete Stanislav Polčák. Eigentlich wollte er heute dem Gesetz zustimmen. Offenbar vor dem Hintergrund des Drucks aus der Chefetage erklärte er nun, nicht an der Abstimmung teilzunehmen und sich durch ein Ersatzmitglied vertreten zu lassen.
Weber bestreitet natürlich jegliches Fehlverhalten. Die Kritik an ihm sei lediglich Ausdruck eines „verzweifelten und falschen Versuch(s), von den Unzulänglichkeiten des Gesetzes zur Wiederherstellung der Natur abzulenken“, ließ er einen Sprecher erklären.
Das Verhalten der Liberalen wird entscheidend
Die Abstimmung steht damit auf der Kippe. Entscheidend wird das Verhalten der liberalen Renew-Fraktion sein, der auch die FDP angehört. In den Auschüssen zuvor hatten die Renew-Abgeordneten gegen den Vorschlag gestimmt, gemeinsam mit der EVP. Am Donnerstag könnte es anders sein, denn nicht allein der Vorsitzende Pascal Canfin setzt sich für die Annahme ein. Gleichwohl: Es wird sehr, sehr knapp werden.
In dieser Abstimmung geht es um viel. Denn, sobald die Kommission einen Gesetzesvorschlag einmal eingereicht hat, spielt sie mehr im weiteren Verfahren offiziell keine Rolle mehr. Dann müssen sich Parlament und Rat auf die endgültige Version einigen. Scheitert der Gesetzentwurf also, ist er im Prinzip erledigt – zumindest aber auf sehr steinigem Terrain.
Der Widerstand der EVP gegen das Renaturierungsgesetz ist von Wissenschaftler*innen kritisiert worden, die sich in überwiegender Mehrheit für den Vorschlag aussprachen. 3.339 Wissenschaftler*innen versandten einen offenen Brief, in dem sie ihre „tiefe Besorgnis“ über den „ungerechtfertigten Angriff auf das Gesetz, der weitgehend auf Fehlinformationen beruht“, zum Ausdruck bringen. „Wir fordern die politischen Entscheidungsträger auf, das Gesetzgebungsverfahren fortzusetzen“, heißt es in dem Schreiben.
Ungewöhnliche Allianzen
Der EVP-Behauptung, Renaturierungsmaßnahmen stünden dem dringend benötigten Ausbau Erneuerbarer Energien im Weg, haben nahezu alle Vertreter der Energiewirtschaft widersprochen.
Die Debatte um das Gesetz hat dabei ausgesprochen ungewöhnliche Allianzen hervorgebracht, zum Beispiel zwischen der Umweltschutzorganisation WWF und dem Lebensmittelkonzern Nestlé. In einer gemeinsamen Pressekonferenz sprachen sich Nestlé und der WWF am Dienstag für den Gesetzesvorschlag aus. Über hundert weitere Unternehmen, unter anderem Unilever und IKEA, forderten bereits Anfang der Woche die „dringende Verabschiedung eines ehrgeizigen und rechtsverbindlichen EU-Gesetzes zur Wiederherstellung der Natur“ und warnten die Europaabgeordneten, „die Landwirte angesichts des beispiellosen Zusammenbruchs unserer Ökosysteme und des Klimawandels nicht zu verraten.“
Ein Tag mit großer Bedeutung
Manfred Weber ficht das alles nicht an. In erkennbarer Abstimmung mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder will er sich an die Spitze einer populistischen Bewegung setzen, deren Motto zu sein scheint: Klimawandel, was ist das? Wir wollen zurück in die Vergangenheit. Ein Schelm, wer mutmaßt, dass dabei auch persönliche Rachegelüste gegenüber der Kommissionsvorsitzenden Ursula von der Leyen eine Rolle spielen könnten.
Für die Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaft ist dieser Donnerstag ein Tag, mit großer Bedeutung. Es entscheidet sich, ob die Union auf diesem ja nicht allein ökologischem, sondern technologischen und industriepolitisch zentralen Sektor einer der weltweit führenden Player bleiben will, oder ob sie glaubt, den Kilmaschutz weiter auf die lange Bank schieben zu können und das Feld China und den USA überlassen möchte.
Aktualisierung: Da die Abstimmungen im Umweltausschuss länger dauerten als geplant, mussten sie vorzeitig abgebrochen werden. Sie sollen am 27. Juni in Brüssel fortgesetzt werden.