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Knapp für die EU: Was das Ergebnis des Referendums für Moldau bedeutet

Denkbar knapp hat sich die moldauische Bevölkerung für einen pro-europäischen Kurs entschieden. Was das für das Land bedeutet, erklärt Felix Hett, Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung, im Interview.

von Olga Vasyltsova · 22. Oktober 2024
Mit knapper Mehrheit haben die Menschen in Moldau für eine Verfassungsänderung gestimmt, die das Land enger an die EU binden soll.

Mit knapper Mehrheit haben die Menschen in Moldau für eine Verfassungsänderung gestimmt, die das Land enger an die EU binden soll.

Die Präsidentschaftswahlen in der Republik Moldau wurden als vorhersehbar und ohne besondere Spannung beschrieben. Aber das Ergebnis der ersten Runde war eine Überraschung. Welche Schlüsselfaktoren haben das Wahlergebnis beeinflusst?

Vorhergesagt wurde ein Sieg Maia Sandus im ersten Wahlgang – der ist eingetreten. Wie erwartet muss Sandu in zwei Wochen in eine Stichwahl gegen den Zweitplatzierten Alexander Stoianoglo. Für viele überraschend ist das Ergebnis des parallelen Referendums: Lange sah es so aus, als würde sich die Mehrheit der Moldauerinnen und Moldauer gegen eine Aufnahme der EU-Integration als Ziel in die Verfassung aussprechen. Erst am frühen Morgen drehte sich das Bild: Offenbar haben die Stimmen aus der Diaspora den Ausschlag gegeben. In den USA lebende Moldauer sorgen dafür, dass der EU-Beitritt in der Verfassung verankert wird.

Was bedeutet das Ergebnis?

Sandu ist mit der Verknüpfung ihrer Wiederwahl mit dem Referendum ein großes Risiko eingegangen. Für sie persönlich hat es sich ausgezahlt. Aber im Ergebnis wird der Eindruck bleiben, dass sich nur knapp die Hälfte der Wählerinnen und Wähler für den EU-Beitritt ausgesprochen hat. Dabei ging es im Referendum gar nicht um die EU, sondern um die Verfassung. Änderungen an Letzterer sind in Moldau, dessen Neutralität durch die Verfassung abgesichert wird, ein sensibles Thema. Art und Inhalt der Verfassungsänderung wurden in der Zivilgesellschaft sehr kritisch gesehen. Im Ergebnis wurde die Polarisierung der moldauischen Gesellschaft auch auf dem Feld der EU-Integration nicht überwunden. Dabei war das Referendum für den EU-Beitrittsprozess unnötig. Sandu hat es versäumt, eine partei- und lagerübergreifende Koalition für die Westintegration zu bilden.

Wie lief die Abstimmung im In- und Ausland ab?

Weitestgehend ruhig. Es gibt wenig Berichte über Wahlbetrug oder Zwischenfälle in den Wahllokalen – angesichts der von der Präsidentin in der Wahlnacht noch einmal hervorgehobenen Destabilisierungskampagne „krimineller Elemente“ zusammen mit Russland ist das eher überraschend. Angespannter war die Lage in Russland, wo für bis zu 350 000 Moldauer nur zwei Wahllokale in Moskau geöffnet hatten und es zu langen Schlangen kam. Die moldauische Regierung hat „Sicherheitsgründe“ für die Reduktion der Wahllokale in Russland verantwortlich gemacht. Allerdings weiß niemand genau, wie groß die moldauische Diaspora ist – die letzten Zahlen zu Russland stammen von 2021, und es ist möglich, dass viele Moldauer das Land im Zuge des Angriffskrieges gegen die Ukraine verlassen haben. In Italien waren 60 Wahllokale geöffnet, in Deutschland 26, und in den USA 17. Insgesamt haben von bis zu einer Million Auslandsmoldauern rund 240 000 gewählt. Rund 15 Prozent der 1,5 Millionen abgegebenen Stimmen kommen damit aus dem Ausland.

Im laufenden Präsidentschaftswahlkampf hat keiner der Kandidat*innen über die Integration in die Eurasische Wirtschaftsunion gesprochen und keiner hat sich gegen die europäische Integration des Landes ausgesprochen. Bedeutet dies, dass der Krieg im Nachbarland Ukraine die moldauische Politik unwiderruflich in Richtung eines pro-europäischen Konsenses verschoben hat?

Die Eurasische Wirtschaftsunion ist vordergründig kein Thema mehr, die Alternative einer neutralen Schaukelpolitik zwischen EU und Russland ist es aber sehr wohl. Die oppositionellen Kandidaten haben an diese Tradition appelliert. Unterschwellig wird versprochen, durch bessere Beziehungen zu Moskau günstigere Energiepreise und Absatzmöglichkeiten für moldauische Waren zu bekommen.

Die Wirtschaftsbilanz der Sandu-Regierung ist sehr durchwachsen – natürlich vor allem aus objektiven Gründen wie dem Ukraine-Krieg und der Covid-Pandemie. Aber wenn die Sorgen der Menschen von Inflation, Arbeitslosigkeit und niedrigen Gehältern dominiert werden, steigt einerseits die Empfänglichkeit für russische Desinformationen. Und andererseits fragen sich einige schon, ob die westlichen Hilfsgelder nicht hätten gewinnbringender eingesetzt werden können. Der Europa-Kurs muss eben auch konkrete Verbesserungen in der Lebenswirklichkeit der Menschen bringen.

Russland hat versucht, über einige Kandidaten Einfluss auf den Wahlausgang zu nehmen. War diese Strategie erfolgreich? 

Nach allem, was man weiß, handelt Russland gemeinsam mit dem flüchtigen moldauischen Oligarchen Ilan Shor. Die Kandidaten, die im Verdacht stehen, von Shor direkt kontrolliert zu werden, haben jeweils unter fünf Prozent der Stimmen erhalten. Der Sieg eines dieser Kandidaten war aber auch offenkundig nicht das Ziel: Moskau und Shor wollten Chaos stiften, Sandu in den zweiten Wahlgang zwingen und das EU-Referendum torpedieren. Das scheint zumindest teilweise gelungen. Darüber hinaus wird die entscheidende Schlacht bei den Parlamentswahlen 2025 geschlagen – Moldau hat schließlich ein parlamentarisches System. Es spricht einiges dafür, dass die Wahlen jetzt nur ein Testlauf waren. Insofern ist es zu früh, über Erfolg oder Misserfolg der russischen Strategie zu sprechen.

Welche Rolle spielten externe Akteure wie die EU und die USA in diesem Wahlprozess?

EU und USA haben sich klar auf die Seite von Sandu geschlagen, nicht zuletzt durch das anderthalb Wochen vor der Wahl von Ursula von der Leyen bei einem Besuch in Chişinău angekündigte EU-Unterstützungspaket von 1,8 Milliarden Euro. Während die Motivation hier eine Unterstützung der fragilen moldauischen Demokratie ist, wird diese wohlwollende Einmischung in Moldau oft als einseitige Parteinahme für Sandu und ihre Partei PAS interpretiert. Die Dramatisierung der Wahl eines Staatsoberhaupts mit eingeschränkten Kompetenzen als Entscheidungsschlacht zwischen Ost und West beschädigt leider die Glaubwürdigkeit der westlichen Staaten als Verfechter von demokratischen Prinzipien, zumindest in den Augen vieler Moldauerinnen und Moldauer.

Welche sind Ihre Prognosen für den zweiten Wahlgang? 

Sandu ist die Favoritin für den zweiten Wahlgang, aber viel wird davon abhängen, welche Empfehlungen die unterlegenen Kandidaten ihren Anhängerinnen und Anhängern geben. Der Zweitplatzierte Alexander Stoianoglo ist für Sandu ein unangenehmer Gegner. Nicht nur weil er gemäßigt auftritt, sondern auch weil er unter Sandu 2021 aus dem Amt des Generalstaatsanwalts entfernt wurde, wobei nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von 2023 sein Recht auf ein faires Verfahren verletzt wurde. Er steht damit sinnbildlich für die Probleme der PAS-Regierung, als Bannerträgerin der europäischen Integration Rechtsstaatsprinzipien beim Kampf gegen innen- wie außenpolitische Gegner zu wahren. Stoianoglo hat das Potenzial, die Proteststimmen gegen Sandu auf sich zu vereinen.

Ist in naher Zukunft zu erwarten, dass die Reformen vorankommen oder dass sich die politische Lage im Land stabilisiert? 

Vorwahlzeiten sind erfahrungsgemäß keine guten Zeiten für Reformen, und die Zeit bis zum letztmöglichen Termin der Parlamentswahlen am 11. Juli 2025 ist knapp. Zudem könnten die Wahlen auch früher stattfinden, wenn die PAS den Schwung aus einem möglichen Erfolg Sandus in der zweiten Runde mit in den Wahlkampf nehmen möchte. Da das Parlament über die Regierung entscheidet, stehen unruhige Zeiten bevor: Russland und die moldauischen Oligarchen im Exil werden weiter versuchen, ihre Kräfte in Stellung zu bringen. Im notwendigen Kampf gegen diese Destabilisierung von außen wird es für die politische Kultur Moldaus wichtig sein, nicht jede Opposition gegen die Regierung als „pro-russisch“ zu delegitimieren. 

Dieser Artikel erschien zuerst im IPG-Journal.

Autor*in
Olga Vasyltsova

ist Redakteurin der russischsprachigen Ausgabe der IPG. Zuvor hat sie bei der Zeitung Kommersant-Ukraine gearbeitet.

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3 Kommentare

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Mi., 23.10.2024 - 13:21

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Angeblich arbeiten gleich viel Moldauer im Westen und in Russland, aber in Russland standen nur 2 Wahllokale zur Verfügung, die dem Ansturm an potentiellen Wählern nicht bewältigen konnten. Im "Westen" war die Situation entspannt. Meiner Information nach waren es nicht "die Russen" die auf diese Art und Weise die Wahl beeinflussten.
Hört mal ! Stellt ihr Euch soooo Demokratie vor ? Mein Wohlwollen mit diesem "Westen" läßt langsam nach.

Gespeichert von Peter Plutarch (nicht überprüft) am Mi., 23.10.2024 - 13:53

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Zwei Wahllokale in Russland für 350.000 dort lebende Exil-Moldauer gegenüber 234 Wahllokalen in 37 anderen Ländern. Mehr als 10.000 Wählerstimmen sind in einem normalen Wahllokal nicht abzufertigen. Für Russland war die Möglichkeit zur Briefwahl gar nicht erst zugelassen, anders als z.B. in Norwegen, Island, den USA, Finnland und Schweden, wor mehr pro-westliche Stimmabgaben zu erwarten waren. Die Zahl der Wahllokale in Transnistrien ist um ein Viertel gegenüber der letzten Wahl verringert worden. Klingt für mich nach einer ganzen Reihe von Wahlmanipulationen der eigenen Art. Ist hier aber wohl keiner Erwähnung wert.

Eine denkbar knappe Mehrheit für eine Verfassungsänderung (weniger als zehntausend Stimmen haben den Ausschlag gegeben), in der der EU-Beitritt als Staatsziel festgeschrieben werden soll. Für eine Verfassungsänderung braucht es eine 2/3 Mehrheit, die Maia Sandu nicht hat. Das Referendum zeigt nur, dass das Land zwischen Ost- und Westbindung zutiefst gespalten ist, so wie die Ukraine 2014. Eine Aussicht auf Lösung dieser Situation ist durch das Wahlergebnis nicht gegeben.

Europa täte gut daran, das Land nicht noch zur Spaltung zu treiben und dafür die EU-Beitrittsperspektive deutlich tiefer zu hängen. Leider ist das Gegenteil der Fall, was die fehlgeleiteten geopolitischen Ambitionen der EU zeigt und was den nächsten Bürgerkrieg billigend in Kauf nimmt.

Der vorwärts enttäuscht mal wieder durch seine Einseitigkeit, aber was will man denn anderes erwarten.
Ich lebe als Wessi nun fast 30 Jahre hier in Brandenburg und ich habe durch meine Freunde und Bekannten gelernt wie man aus Auslassungen zwischen den Zeilen liest. Das können die Ossis sehr gut und wir können da viel von ihnen lernen, darum wundere sich auch keiner über die wenig "prowestlichen" Wahlergebnisse. Wie immer: GLAUBWÜRDIGKEIT !!!