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EU-Asylreform: Warum noch harte Verhandlungen bevorstehen

Um die Reform des Asylsystems in Europa abzuschließen, müssen sich die EU-Mitgliedsstaaten und das Europaparlament einigen. Welche Änderungen den Parlamentarier*innen besonders wichtig sind, erklärt die SPD-Abgeordnete Birgit Sippel.
von Jonas Jordan · 14. Juni 2023
Die Europaparlamentarier*innen und die EU-Mitgliedsstaaten verhandeln in den kommenden Monaten über eine Asyl-Reform.
Die Europaparlamentarier*innen und die EU-Mitgliedsstaaten verhandeln in den kommenden Monaten über eine Asyl-Reform.

Vergangene Woche haben sich die Innenminister*innen der EU-Mitgliedsstaaten auf eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) geeinigt. Wie bewerten Sie diese Reformpläne?

Sieben Jahre lang gab es keine Einigung. Insofern ist es erst mal positiv, dass man sich mehrheitlich auf eine Position verständigt hat. Dass wir diese Positionen nicht freudestrahlend begrüßen, wird niemanden überraschen. Leider hat sich in diesen sieben Jahren der Umgang mit Geflüchteten in vielen europäischen Ländern deutlich verändert und verschlechtert. In den Verhandlungen hatten wir es auf Ratsseite daher nicht nur mit Ländern wie Ungarn und Polen zu tun, sondern auch mit Italien und anderen. Das hat es schwer gemacht, einen menschenrechtsbasierten Ratsbeschluss zu fassen.

Als nächstes steht der sogenannte Trilog an, die Verhandlungen zwischen Rat, Kommission und dem Europaparlament. Welche inhaltlichen Punkte sind Ihnen dafür besonders wichtig?

Für uns als Parlament war bei den Verhandlungen und bei der Festlegung unserer Position wichtig, dass das individuelle Recht auf Asyl tatsächlich für alle Ankommenden gesichert bleibt, dass wir insbesondere die Rechte von Kindern in den Blick nehmen. Das heißt, dass Kinder und Jugendliche, auch Kinder in Familien, nach Möglichkeit nicht in die Asyl-Grenzverfahren kommen. Wir wollten auch die Grenzverfahren nicht verbindlich vorschreiben. Bei der Frage, welcher Staat für das Asylverfahren zuständig ist, hätten wir uns mehr Kriterien gewünscht. Zudem kommen die meisten Geflüchteten in Mitgliedstaaten mit einer Außengrenze an. Daher wollen wir im Ausgleich zu mehr Kontrollen und eventuellen Asyl-Grenzverfahren der Außengrenzstaaten dauerhafte klare Vorgaben zur Aufnahme und Verteilung von Menschen und damit zusammenhängend auch der Verteilung der Verantwortung für deren Asylverfahren auf andere Mitgliedstaaten.

Das klingt nach harten Verhandlungen in den kommenden Monaten.

Das ist so. Wir waren schon mit dem Vorschlag der Kommission nicht völlig einverstanden. Was der Rat auf den Weg gebracht hat, ist eine weitere Verschärfung. Die Verhandlungen werden sicher nicht einfach. Wenn alle wollen, dass es eine Einigung bis vor den nächsten Europawahlen gibt, muss aber auch die Bereitschaft da sein, sich zu verständigen. Daher sind wir vorsichtig optimistisch, dass wir das eine oder andere noch verändern können.

Welches ist für Sie dabei der wichtigste Punkt?

Den einen Punkt werde ich nicht nennen. Sonst sagt mir der Rat hinterher: ‚Sippel, alles andere bekommst du dann nicht.‘ Die Punkte, die ich genannt habe, sind alle wichtig. Es ist ein sehr komplexes Gesamtpaket, das wir uns jetzt im Detail sorgfältig ansehen werden. Auch mit Blick auf die Frage, wie und von wem sichere Herkunftsstaaten und insbesondere sichere Drittstaaten definiert werden und welche Konsequenzen sich daraus ergeben können.

Bislang vernachlässigt wurde das Thema Seenotrettung. Wie könnte eine Lösung in diesem Bereich aussehen?

Ich persönlich hätte es gut gefunden, wenn sich die Mitgliedsstaaten darauf verständigt hätten, dass Seenotrettung eine gemeinsame europäische Aufgabe ist, die gemeinsam organisiert und finanziert wird und bei der die geretteten Menschen auf verschiedene Mitgliedsstaaten verteilt werden. Das ist jetzt nicht so gekommen und ich sehe das auch nicht. Dennoch gibt es Ideen im Ratspapier, wie man mit geretteten Menschen umgeht und in welche Verfahren sie kommen. Das wird sicher noch mal ein Thema sein.

Die Zeit für die Verhandlungen drängt. Denn in weniger als einem Jahr steht die nächste Europawahl an. Können Sie skizzieren, wie der zeitliche Ablauf sein könnte, damit die Verhandlungen bis dahin abgeschlossen sind?

Man braucht sehr viel Engagement, um die Arbeit zu schaffen. Wir bräuchten ein Ende der Triloge bis spätestens März, weil danach die Texte noch rechtlich geprüft und übersetzt werden müssen, bevor sie formal Rechtskraft erlangen können. Das ist für alle ein sehr ambitionierter Zeitplan.

Was würde passieren, wenn dieser Zeitplan nicht aufgeht und es bis dahin keine Einigung gibt?

Das ist eine spannende Frage. Wir haben es in der Vergangenheit bei vielen Gesetzen so gehandhabt, dass Gesetze, bei denen man schlicht nicht fertig wurde, quasi eingefroren wurden. Im nächsten Mandat mit den neuen Abgeordneten und der neuen Kommission hat man eine Liste gemacht und weiter verhandelt, um es zu Ende zu bringen. Beim Asylpaket gibt es jedoch die Befürchtung, dass, wenn wir nicht fertig werden, ein neues Parlament, eine neue Kommission nicht gesichert an diesen Texten weiterarbeiten würden. Das wäre eine ganz schlechte Lösung sowohl für die Geflüchteten als auch für die Menschen vor Ort, für die Mitgliedstaaten. Deshalb glaube ich, dass alle Seiten sich zumindest sehr bemühen werden, ein Ergebnis in diesem sehr engen Zeitfenster jetzt zu organisieren.

Wäre es mit Blick auf die Europawahl wichtig, die Verhandlungen vorher abzuschließen, um Rechtspopulist*innen und Rechtsextremist*innen dadurch im Wahlkampf Wind aus den Segeln zu nehmen?

Wer unbedingt das Thema hochziehen will, mit Falschmeldungen, mit Lügen, mit Hassbotschaften, wird das so oder so tun. Denn selbst wenn wir uns einigen, wird die Umsetzung dessen, was wir beschließen, nicht sofort am nächsten Tag der Inkraftsetzung erfolgen. Deshalb sind alle demokratischen Kräfte gut beraten, nicht nur sich beim Thema Migration zu einigen, sondern insbesondere Lösungen zu finden für das, was Menschen tatsächlich besorgt, wenn es um sozialen Zusammenhalt geht, wenn es um Nachhaltigkeit geht, wenn es um die Frage von Arbeitsplätzen und Bezahlung geht. Da brauchen wir klare Antworten. Und da sind jetzt alle demokratischen Kräfte gefordert, diese zu geben und sich nicht an Rechtspopulisten anzubiedern.

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Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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