Beginn der Beitrittsverhandlungen: Das ist der Weg der Ukraine in die EU
An diesem Dienstag beginnt die EU Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau. Was bedeutet das? Wie wird ein Land Mitglied der EU? Welche Kriterien muss es dafür erfüllen? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
IMAGO / Steinach
Am 25. Juni beginnen die Beitrittsgespräche der Europäischen Union mit der Ukraine. Bis zu einem EU-Beitritt müssen aber noch einige Hürden genommen werden.
Am Anfang waren die Bedenken groß, doch an diesem Dienstag ist es soweit: Die Europäische Union beginnt offiziell Beitrittsgespräche mit der Ukraine und Moldau. Wann die beiden Länder EU-Mitglieder werden können, ist noch unklar, doch schon der Beginn der Gespräche wird in Kiew und Chișinău als großer Erfolg gesehen.
Welche Kriterien muss ein Staat erfüllen für einen Beitritt zur EU?
Der EU-Vertrag räumt jedem europäischen Land das Recht ein, einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft zu stellen. Das gilt für alle Mitglieder des Europarates. Alle Staaten, die Mitglied der Europäischen Union werden wollen, müssen dafür aber bestimmte Kriterien erfüllen. Diese haben die EU die Staats- und Regierungschefs 1993 bei ihrem Gipfeltreffen in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen festgelegt. Man spricht deshalb auch von den drei „Kopenhagener Kriterien“, sie umfassen politische, wirtschaftliche und rechtliche Bedingungen.
Welche politischen Voraussetzungen müssen die Bewerberstaaten erfüllen?
Das „politische Kriterium“ der EU sieht vor, dass die Beitrittskandidat*innen eine funktionierende demokratische und rechtsstaatliche Ordnung haben, dass sie über stabile politische Institutionen verfügen, dass die Menschenrechte gewahrt werden sowie die Achtung und der Schutz von Minderheiten gewährleistet ist.
Welche Rolle spielt die wirtschaftliche Entwicklung?
Die EU erwartet von neuen Mitgliedern auch die Erfüllung eines „wirtschaftlichen Kriteriums“. Das bedeutet konkret, es muss eine funktionsfähige Marktwirtschaft geben. Diese muss darüber hinaus die Fähigkeit haben, dem hohen Wettbewerbsdruck innerhalb des EU-Binnenmarktes standzuhalten, also wettbewerbsfähig zu sein. Auch eine Offenheit der Märkte gegenüber dem Ausland wird erwartet.
Welche rechtlichen Anforderungen stellt die EU?
Die EU verlangt von allen Mitgliedern die komplette Übernahme des gesamten gemeinschaftlichen Rechts. Die EU will so sicherstellen, dass alle künftigen Mitglieder sich an die aus einer EU-Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen und Ziele halten.
Muss die EU selbst auch Voraussetzungen erfüllen für eine Erweiterung?
Nicht juristisch, aber politisch. Hierbei geht um die Aufnahmefähigkeit der EU. Sie wird seit Jahren etwa sehr kontrovers hinsichtlich eines möglichen Beitritts der Türkei diskutiert. Sie ist eine hochpolitische Frage innerhalb der EU und damit keine Bedingung, die ein*e Aufnahmekandidat*in erfüllen muss. Selbst wenn diese*r alle Kriterien erfüllt, könnte die EU einen Beitritt ablehnen, wenn dieser ihre Aufnahmefähigkeit übersteigen könnte.
Warum verhandelt die EU mit einzelnen Staaten jahrelang über eine Mitgliedschaft?
Die Bedingungen für einen EU-Beitritt werden grundsätzlich in Abkommen mit den Neumitgliedern festgelegt. Diese Beitrittsabkommen werden zwischen der Union und den Beitrittskandidat*innen kapitelweise ausgehandelt. Diese Verhandlungen dauern normalerweise mehrere Jahre, weil die Materie sehr umfassend und im Detail kompliziert ist. Derzeit gibt es 35 Kapitel, die alle Rechtsbereiche umfassen, über die eine Einigung erzielt werden muss. Oft sind weitere Bestandteile der Abkommen auch Übergangsregelungen. Dadurch soll der Beitritt eines Landes für beide Seiten verträglich gestaltet werden. Harte Brüche sollen so vermieden werden.
Wie genau läuft der Prozess nach dem Beginn von Beitrittsverhandlungen ab?
Die EU-Kommission legt jährlich so genannte Fortschrittsberichte vor. Darin wird der Stand der Verhandlungen und die Entwicklung des Beitrittskandidaten in Bezug auf die Anpassung an die EU-Anforderungen beschrieben. Gibt es keine Fortschritte oder gar Rückschritte, wie etwa im Bereich Demokratie und Menschenrechte in der Türkei, wird dies festgehalten. Erfüllt ein Land die Anforderungen in bestimmten Kapiteln auf absehbare Zeit nicht, werden Verhandlungen zu diesen Themen gar nicht erst aufgenommen. Auch dies gilt für einige Kapitel für die Verhandlungen mit der Türkei.
Wer muss in der EU seine Zustimmung zu einem Beitritt geben?
Das Europäische Parlament muss zunächst dem Beitrittsabkommen mit einem Aufnahmekandidaten zustimmen, mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder. Danach muss der Rat der EU – also die Regierungen der Mitgliedsstaaten – zustimmen, und zwar einstimmig.
Was passiert nach der Zustimmung?
Die Unterzeichnung der Abkommen obliegt den Staats- und Regierungschef*innen der EU und der Beitrittsländer. Jedes Beitrittsabkommen muss als völkerrechtlicher Vertrag von den EU-Mitgliedstaaten und den Beitrittsländern gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften ratifiziert werden. Erst mit der Hinterlegung aller Ratifikationsurkunden ist das Beitrittsverfahren formell abgeschlossen und die Abkommen können in Kraft treten. Dann wird aus einem Beitrittsland ein neuer EU-Mitgliedstaat.
Kann die Ukraine EU-Mitglied werden, solange dort Krieg ist?
Nein, solange sich die Ukraine im Krieg befindet, ist ein EU-Beitritt ausgeschlossen. Nach Artikel 42, Absatz 7 des EU-Vertrags könnte die Ukraine sonst militärischen Beistand von anderen EU-Staaten einfordern. Die EU würde zur Kriegspartei.
Welche Erweiterungen der EU hat es bisher gegeben?
Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gibt es seit 1958. Ihre sechs Gründungsmitglieder waren Frankreich, Italien, die Niederlande, Belgien, Luxemburg und die Bundesrepublik Deutschland (West). Nach dieser Gründung gab es mehrere Erweiterungen. 1973 traten Dänemark, Irland und Großbritannien bei, 1981 Griechenland, 1986 Spanien und Portugal, 1990 Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung, 1995 Österreich, Schweden und Finnland, 2004 Estland, Lettland, Litauen, Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Malta und Zypern, 2007 Rumänien und Bulgarien, 2013 Kroatien.
Welche aktuellen Beitrittskandidaten gibt es?
Das sind gegenwärtig offiziell von der EU anerkannt die Balkan-Staaten Albanien, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien sowie die Türkei. Einen Beitragsantrag gestellt hat darüber hinaus noch Bosnien-Herzegowina.
Die Beitritte welcher Länder sind gescheitert?
Norwegen scheiterte zweimal mit seinem Beitrittsgesuch an negativen Volksentscheiden im eigenen Land. Die Schweiz und Island haben ihre gestellten Beitrittsanträge wieder zurückgezogen. Großbritannien ist das einzige Land, das die EU bisher verlassen hat, nachdem es von 1973 bis 2020 Mitglied der Union war.
Ukraine: EU- Beitritt
Um die Ukraine tobt ein fürchterlicher Krieg. „Imperiale Besessenheit“ Putins haben unsere Wortgewaltigen als Grund dafür herausgefunden. Andere hingegen halten unüberbrückbare strategische Interessen von Russischer Föderation und Nato für den entscheidenden Kriegsgrund. (Aus diesen fundamental-unterschiedlichen Annahmen über den Kriegsgrund leiten sich auch ebenso grundsätzlich unterschiedliche Vorgehen für die Befriedung des Konflikts ab.) Vor diesem Hintergrund „beginnt an diesem Dienstag die EU Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine“.
In einem, wie ich finde, sehr gelungenen Beitrag stellt der Vorwärts den Weg dar, den die Ukraine gehen muss, bevor „aus einem Beitrittsland ein neuer EU-Mitgliedstaat“ wird. Er führt über „politische, wirtschaftliche und rechtliche Bedingungen“ zum von der EU-Spitze und der Ukraine herbeigesehnten Ziel. Der Vorwärts stellt diese Bedingungen, „Kopenhagener Kriterien“, kompakt und verständlich dar. Ich muss sie nicht wiederholen.
Die EU selbst muss auch einige Voraussetzungen erfüllen, um neue Mitglieder in die „europäische Familie“ (Scholz) aufnehmen zu können: „Politisch ... geht es um die Aufnahmefähigkeit der EU“. Scholz und Klingbeil haben vor einiger Zeit mal neue Mitglieder abgelehnt, solange die EU nicht strukturell verändert würde, z. B. durch Aufgabe des Einstimmigkeitsprinzips. Das aber kann nur einstimmig beschlossen werden, erscheint darum völlig ausgeschlossen. Da aber die – ausgekungelte - neue Außenbeauftragte der EU, Frau Kaja Kallas, meint, es bestehe „eine moralische Pflicht“, die Ukraine aufzunehmen, da zudem Klingbeil versprochen hat, den Fehler der „sozialdemokratische Ostpolitik“, ... die Interessen und Perspektiven unserer ost- und mitteleuropäischen Partner nicht ausreichend berücksichtigt“ zu haben und „daraus die richtigen Lehren für die Zukunft zu ziehen“, da Frau von der Leyen für eine Zusammenarbeit mit (rechtsextremen) Parteien (allein) die „Haltung zur Ukraine“ als Maßstab gesetzt hat, dürfte es keine unüberwindbare politische Schwierigkeiten geben, auf Aufgabe des Einstimmigkeitsprinzips zu verzichten und die Ukraine trotzdem aufzunehmen. Die Aufnahme der Ukraine ist seit 1997 strategisches Ziel von EU/Nato. Durch die Osterweiterung ist das „europäische Gravitationszentrum dabei, sich vom Kern ... im Westen der EU ostwärts zu verlagern“ (Zeit Online, 5.12 2022), Krieg inbegriffen.
Der Vorwärts spricht dankenswerter Weise an, was die veröffentlichte Meinung (eher) nicht mit der EU verbindet, dass nämlich „die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik integraler Bestandteil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ ist. Daraus folgt, dass „im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung schulden“ (Artikel 42 EU-Vertrag). Daraus folgert der Vorwärts, dass, „solange sich die Ukraine im Krieg befindet, ein EU-Beitritt ausgeschlossen ist“. Die Vernunft gibt dem Vorwärts Recht – aber was ist im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg schon vernünftig. Kaja Kallas jedenfalls „forderte (schon 2022) die EU auf, in Militärtechnologie zu investieren ... und innerhalb der EU einen Konsens darüber finden, dass manchmal die Bereitschaft zum Einsatz militärischer Gewalt der beste Weg zur Erreichung des Friedens ist“ (EuroNews, 9.3.22). Klingbeil meint das auch, wenn er fordert, „auch militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik zu sehen“ (21.6.22). Außerdem sind wir doch schon so tief in den Krieg verwickelt, dass die sofortige EU-Aufnahme der Ukraine und die daraus abgeleitete Verteidigungsverpflichtung nur noch eine offizielle Bestätigung des gegenwärtigen Zustands wäre – und die Ukraine würde um so berechtigter, alle erdenklichen Hilfen einfordern können. Und wenn selbst den „Sozialdemokratischen Antworten auf eine Welt im Umbruch“, die „unsere eigene Rolle in der Welt neu zu definieren“ versprechen (Berlin, 20.01.2023), auffiel, dass „im Konflikt mit Putins Russland die EU eines ihrer erfolgreichsten Instrumente wiederentdeckt hat: die.Erweiterungspolitik“, dann haben doch Bedenken keinen Bestand mehr. Falls aber noch ein Rest von Skrupeln übriggeblieben ist, hilft Frau Kaja Kallas weiter: „Ich glaube nicht, dass es mit einem Pariastaat, der seine imperialistischen Ziele nicht aufgegeben hat, normale Beziehungen geben kann“ (The Associated Press, 19. Februar 2023). Die Ukraine muss gewinnen, weiß selbst Frau Schwesig. Der Weg ist der Krieg bis zur Erschöpfung der Russischen Föderation. Also: Wo ist das Problem?
Ein Problem nennt das „Friedensgutachten 2024“: „Aus europäischer und NATO-Sicht
heißt ein Diktatfrieden Russlands schließlich, dass es sich an einer mehr als 2.000 km
langen Grenze einem kampferprobten und hochgerüsteten Gegner gegenübersieht, der
bereits jetzt anklingen lässt, dass sein Expansionswille keineswegs gestillt ist“. Aber: Das Schreckensbild gilt ja nur, wenn sich Russland 1300 Kilometer nach Westen ausdehnt (Ost-Westausdehnung der Ukraine). Falls sich die EU 1300 Kilometer gen Osten ausbreitet – andere Grenze, gleicher Gegner, aber alles in Ordnung.
Mein Gott.