Elly Schlein: „Endlich ist Italien in der Modernintät gelandet.“
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Entspannt sitzt Federico Quadrelli am Dienstagvormittag in einem Café in Berlin-Wilmersdorf. Der Sozialdemokrat hat gerade eine Wahl gewonnen. Nicht mit der SPD, sondern innerhalb seiner zweiten Partei, des Partito Democratico, der Demokratischen Partei, kurz PD, in Italien. Im Team von Elly Schlein ist er angetreten, er wurde zum vierten Mal als Delegierter zum Parteitag der PD gewählt, sie zur neuen Vorsitzenden, was einer Überraschung, wenn nicht einer Sensation gleich kommt. Denn wenn der PD-Parteitag am 12. März in Rom das Ergebnis der für alle Italiener*innen offenen Urwahl bestätigt, wird Schlein die erste Vorsitzende in der Geschichte der Partei sein.
93,5 Prozent für Schlein in Berlin
Stolz steigt Quadrelli auf seinem Laptop eine Karte von Italien mit den Ergebnissen der Urwahl. Insbesondere im Norden des Landes, wo die rechte Lega von Matteo Salvini stark ist, hat Schlein hohe Zustimmung erfahren. Im Süden des Landes hingegen, wo die PD-Mitglieder und Wähler*innen eher pragmatisch eingestellt seien, lag ihr Konkurrent Stefano Bonaccini vorne. Auch in Berlin wurde übrigens gewählt, im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Parteizentrale, gab es ein Wahllokal. Dort stimmten 93,5 Prozent für Schlein als neue Vorsitzende, wie Quadrelli stolz verkündet.
„Wir kennen uns schon seit 2014“, sagt er über seine Verbindung zu Schlein. Damals gehörten sie der innerparteilichen Minderheit an, die gegen den Kurs des damaligen Vorsitzenden Matteo Renzi opponierten. Zu der Zeit sei es vielen sozialdemokratisch eingestellten Personen nicht mehr möglich gewesen, Mitglied der PD zu bleiben, sagt Quadrelli. Auch Schlein trat zeitweise aus. „Die PD ist keine sozialdemokratische Partei. Sie ist eine Mischung aus verschiedenen Traditionen, zu denen auch Kommunisten und Christdemokraten zählen. Wir versuchen seit Jahren, die PD zu einer sozialdemokratischen Partei zu verändern“, stellt Quadrelli klar, der bei der vergangenen Parlamentswahl für den PD kandidierte.
Ein Wunsch nach Veränderung
Obwohl die Partei in den vergangenen Jahren deutlich an Zustimmung verlor, war sie seit 2013 fast durchgehend an der Regierung in unterschiedlichsten Koalitionen beteiligt. Zuletzt stellte sie mit Enrico Letta den Ministerpräsidenten. Das habe laut Quadrelli zu einer Identitätskrise der PD geführt. „Natürlich konnten wir so keine sozialdemokratische Politik voranbringen“, sagt er. Das soll sich jetzt mit Elly Schlein an der Parteispitze in Opposition zur postfaschistischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ändern. Denn Schleins Wahl drücke auch den Wunsch nach Veränderungen aus, vor allem bei den Wähler*innen und Sympathisant*innen der PD. „Knapp 1,1 Millionen Menschen sind zur Abstimmung gegangen und haben eine Frau gewählt, eine bisexuelle Frau, eine linke Frau.“
Das bringt Quadrelli zu dem Urteil: „Endlich ist Italien in der Modernität gelandet.“ Dadurch verbessert sich aus seiner Perspektive auch automatisch die Position der PD im Wettbewerb mit anderen Parteien. „Jetzt haben wir endlich die Chance, die Fünf-Sterne-Bewegung herauszufordern. Denn sie sind in den letzten Jahren eine sozialdemokratische Kraft geworden. Sie haben das Thema Politik gegen Armut vorangebracht, wir nicht“, kritisiert Quadrelli.
In der Lage, Meloni herauszufordern
Elly Schlein setze aber genau auf diese Themen: mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Unterstützung für Arbeitnehmer*innen, stärkere Investitionen in Bildung und Forschung, einen größeren Fokus auf Umweltthemen und eine Verbesserung des Gesundheitssystems. „Das sind die Themen, die den Menschen aktuell am meisten am Herzen liegen. Deshalb haben sie Elly Schlein gewählt. Denn sie ist glaubwürdig“, ist Quadrelli überzeugt. Sie sei die einzige Person, die in der Lage sei, Regierungschefin Giorgia Meloni herauszufordern. „Die Trennlinien werden jetzt zwischen einer rechtsradikalen populistischen Vision für die Gesellschaft und einer sozialdemokratischen Vision der Gesellschaft verlaufen“, glaubt er.
Auch für die Menschen im strukturell ärmeren Süden Italiens wolle Schlein sich einsetzen, glaubt Quadrelli, der ursprünglich aus der Toskana stammt. „Wenn wir in Süditalien ein bisschen mehr Arbeit in Bezug auf soziale Themen machen, dann schaffen wir es, eine breitere Unterstützung zu bekommen.“ Helfen könnte aus seiner Sicht auch eine gesamteuropäische Perspektive, mit Blick auf die Bekämpfung von organisierter Kriminalität, aber auch auf Migrationsthemen und die Stärkung strukturschwacher Regionen durch den Europäischen Wiederaufbaufonds.
Europawahl als Härtetest
Ein erster Test, ob es Schlein gelingt, den PD zu stärken, dürfte die Europawahl im kommenden Jahr werden. „Da wird es wichtig, zu sehen, ob wir es schaffen, neue Koalitionen in der Zivilgesellschaft zu gründen mit Gewerkschaften, mit Vereinen, die in der Erinnerungskultur für Antifaschismus aktiv sind, und junge Menschen“, meint Quadrelli.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo