Risiko AfD: Wie Extremismus zum wirtschaftlichen Standortnachteil wird
Die Sorge vor einer starken AfD treibt Unternehmen wie Gewerkschaften um. Den Hochburgen der Rechtsextremen drohen wirtschaftliche Nachteile. 2024 könnte dafür ein entscheidendes Jahr werden.
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Risiko: Die Erfolge der AfD drohen den Fachkräftemangel in manchen Regionen Deutschlands noch weiter zu verschärfen.
Ende Juni vergangenen Jahres machte der Süßwarenhersteller Viba den Menschen im thüringischen Sonneberg ein moralisches Angebot. Für jeden Prozentpunkt über 49 Prozent Beteiligung an der Stichwahl um den Posten des Landrats versprach Viba am Folgetag einen Prozent Rabatt beim Kauf von Nougatstangen im Geschäft in Sonneberg. Bei 100 Prozent Wahlbeteiligung winkte also ein Preisnachlass von 51 Prozent.
Verbunden war die Rabatt-Aktion mit einer klaren Botschaft. „Nougat vernaschen, nicht die Demokratie“ und: „Wir sind stolz, in einem demokratischen und weltoffenen Thüringen zu produzieren.“ Ohne ihn beim Namen zu nennen, war damit klar, auf wen die Aktion sich bezog: Robert Sesselmann, Landratskandidat der AfD. Zwar gewann Sesselmann am Ende die Stichwahl trotz gestiegener Wahlbeteiligung und wurde erster Landrat der in Thüringen als rechtsextrem eingestuften Partei. Doch für Georg Maier ist die Kampagne von Viba dennoch beispielhaft. „Es braucht mehr solche Stimmen“, ist der thüringische Innenminister und SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl im September überzeugt.
Sorge um den Betriebsfrieden
Seit die AfD bei Wahlen stabile zweistellige Ergebnisse einfährt, ist die Sorge auch bei den Unternehmen und ihren Belegschaften groß. In Brandenburg, Sachsen und Thüringen, wo in diesem Herbst Landtagswahlen anstehen, trifft das besonders zu: In allen drei Ländern liegt die AfD seit Monaten in den Umfragen vorn. „Unsere Mitgliedsgewerkschaften berichten uns, dass es bereits zu Spaltungen innerhalb der Belegschaften kommt“, nennt Nele Techen eine der Auswirkung dieser Stärke. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) Berlin-Brandenburg. „Die betriebliche Demokratie könnte geschliffen werden“, ist eine Sorge von Nele Techen.
Eine weitere nennt Heiko Kretschmer. Schon jetzt entschieden sich Fachkräfte aus dem Ausland gegen den Umzug nach Deutschland, weil sie Sorge hätten, nicht willkommen zu sein und angegriffen zu werden, hat der Unternehmer und Schatzmeister des SPD-Wirtschaftsforums beobachtet. „Die Erfolge der AfD haben das Klima bereits verändert. Das ist ein Problem für die Unternehmen“, sagt Kretschmer.
Schwierigkeiten in AfD-Hochburgen
In einer Befragung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) unter 119 Hauptgeschäftsführern der deutschen Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände aus dem Februar gab jeder zweite an, schon jetzt bestünden „Schwierigkeiten, in AfD-Hochburgen Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen“. Eine weitere „akute betriebliche Auswirkung“ seien „Schwierigkeiten, den Zusammenhalt in der Belegschaft zu wahren“. Mit Blick auf die Europawahl treibt zudem die Sorge vor einem „Dexit“, also dem Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union, die Wirtschaftsführerinnen und -führer um.
Im Januar hatte die AfD-Vorsitzende Alice Weidel eine Volksabstimmung über den Austritt Deutschlands aus der EU nach britischem Vorbild ins Spiel gebracht. Das Institut der Deutschen Wirtschaft geht in diesem Fall von einem Verlust von etwa 5,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beziehungsweise rund 690 Milliarden Euro fünf Jahre nach einem Austritt aus. Rund 2,5 Millionen Arbeitsplätze könnten verloren gehen.
Unternehmen gründen Bündnis
Auch deshalb haben zur Europawahl 30 große deutsche Konzerne von der Allianz über Thyssen-Krupp, mehrere Automobil-Hersteller und Energieunternehmen bis zum Logistiker DHL im Mai das Bündnis „Wir stehen für Werte“ geschlossen. „Wir treten entschieden für unsere Werte ein, denn sie haben Deutschland erfolgreich gemacht – und auch unsere Unternehmen“, sagt etwa Siemens-Chef Roland Busch. Deshalb rufe das Bündnis dazu auf, „bei der Europawahl am 9. Juni ein Zeichen gegen Extremismus und Rassismus zu setzen“. Aus Sicht des Politikwissenschaftlers Wolfgang Schroeder sind die Gefahren, die von der AfD ausgehen, inzwischen auch in den Vorstandsetagen angekommen. „Im letzten halben Jahr ist hier eine Dynamik erkennbar“, sagt Schroeder, der an der Uni Kassel lehrt. Mit bloßen Absichtserklärungen sei es aber nicht getan. „Unternehmen brauchen interne Strategien, um die eigenen Leute zu informieren und zu sensibilisieren.“ Sinnvoll seien dafür etwa interne Schulungen, um „die Resilienz“ gegen rechtes Gedankengut innerhalb des Unternehmens zu stärken.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.