Neue Studie: Wie der Staat durch die Kindergrundsicherung Geld spart
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Sieben Milliarden Euro fordert Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) aktuell pro Jahr für die Kindergrundsicherung. Die Folgekosten von nicht bekämpfter Kinderarmut würden aber deutlich höher liegen: nämlich bei bis zu 120 Milliarden Euro. Das ist das Ergebnis einer wissenschaftlichen Studie, die heute in Berlin präsentiert wurde. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat sie im Auftrag der Diakonie Deutschland erstellt.
DIW: In Menschen investieren ist das Beste
Die von der Ampel-Koalition für 2025 geplante Kindergrundsicherung erhielt dabei ausdrücklich Unterstützung vom DIW-Präsidenten Marcel Fratzscher. Er hält den Plan der Ampel-Koalition für eine entsprechende Sicherung auch aus Wirtschaftsperspektive für sinnvoll. „Die besten Investitionen, die ein Staat tätigen kann, sind in seine Menschen“, so Fratzscher. „Das gilt für niemanden mehr als für Kinder und Jugendliche, die in Armut leben, von Armut bedroht sind."
DIW-Forscher Maximilian Priem betont, der Staat sei gut beraten, möglichst früh zu investieren, um Armut zu bekämpfen. Wer als Kind in Armut aufwachse, lebe oft auch im späteren Leben in prekären Verhältnissen und erwerbe weniger Bildung. Die betroffenen Menschen seien dann nicht nur weniger gesund, sie seien auch stärker abhängig von Unterstützungsleistungen des Staates.
Diakonie: 20 Milliarden Euro einsetzen
Diakonie-Präsident Ulrich Lilie nimmt bei der Vorstellung der DIW-Studie auch zum aktuellen Streit um die Kosten der Kindergrundsicherung Stellung: „In der Diskussion über die Kindergrundsicherung dürfen nicht nur die kurzfristigen Sparzwänge im Bundeshaushalt eine Rolle spielen." Denn wer in der Gegenwart bei Kindern spare, müsse in der Zukunft draufzahlen. Lilie nennt dann auch eine Summe, mit der die Kindergrundsicherung seiner Meinung nach unterlegt sein müsse: 20 Milliarden Euro. Das ist knapp das dreifache von dem, was die Familienministerin aktuell fordert und das zehnfache dessen, was Bundesfinanzminister Christian Lindner eingeplant hat.
Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband spricht sich nachdrücklich für eine Kindergrundsicherung aus. „Es ist beschämend, wenn in einem reichen Land wie Deutschland Millionen Kinder in Armut gehalten, ihrer Kindheit und einer fairen Zukunftsperspektive beraubt werden“, sagt Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. „Vollkommen zu Recht hatte die Ampel die Einführung einer Kindergrundsicherung zu einer sozialpolitischen Priorität erklärt.“
Kanzler Scholz: Sind zu 99 Prozent fertig
Aktuell zeigt sich Bundeskanzler Olaf Scholz trotz des Streits zwischen Grünen und FDP optimistisch, dass sich die Ampel-Koalition bei der Kindergrundsicherung rasch einigen wird. „Ich habe sehr dafür gesorgt, dass es einen großen Fortschritt gibt“, so der Kanzler zu seiner eigenen Rolle. „Wir sind mit 99 Prozent – vielleicht sind es nur 98 – fertig“, betont Scholz. „Den Rest schaffen wir auch noch."
Inzwischen liegt auch ein ausgearbeiteter Gesetzentwurf der zuständigen Bundesfamilienministerin vor. „Wie vom Kanzler gewünscht, habe ich unterschiedliche Varianten vorgelegt“, so Familienministerin Lisa Paus am Freitag in Berlin. Spätestens auf der Kabinettsklausur Ende August in Meseberg soll die Kindergrundsicherung dann von der Bundesregierung verabschiedet werden.
Rückenwind dafür kommt aus der SPD-Bundestagsfraktion. „Eine wirksame Kindergrundsicherung muss jetzt schnellstmöglich kommen“, sagt die familienpolitische Sprecherin Leni Breymaier. „Die SPD-Bundestagsfraktion empfindet das Gutachten als große Unterstützung, auch für die politische Debatte und Feinarbeit an der Kindergrundsicherung.“
Studien: Hohe Folgekosten bei Kinderarmut
Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung ist in Deutschland mehr als jedes fünfte Kind von Armut bedroht. Besonders betroffen sind laut der Studie Kinder von Alleinerziehenden sowie Kinder aus Familien mit drei und mehr Kindern. Als arm oder armutsgefährdet gelten in der Bundesrepublik Haushalte, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des Mittelwertes aller Haushalte beträgt. Es handelt sich damit also um einen relativen Armutsbegriff.
Laut einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verursacht Kinderarmut in Deutschland gewaltige Kosten. Diese beliefen sich etwa im Jahr 2019 auf rund 3,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das wären mehr als 100 Milliarden Euro.