Mindestlohn höher als Bürgergeld: Warum Kevin Kühnert Recht behält
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Gerade einmal zwei Wochen ist es her, da erklärte CDU-Chef Friedrich Merz im Bundestag, dass Menschen nicht mehr arbeiten gehen würden, „weil sie sich ausrechnen können, dass sie mit staatlichen Transferleistungen am Ende des Jahres mehr herausbekommen, als wenn sie in einer einfachen Beschäftigung arbeiten und Sozialversicherungsbeiträge und Steuern bezahlen müssten“. Merz bezog sich dabei auf die Reform der Ampel-Regierung, wonach Bezieher*innen von Bürgergeld ab Januar 2024 mehr Geld erhalten sollen.
Kühnert: „eine glatte Lüge“
„Einfach eine glatte Lüge“, konterte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert die Aussage von Merz scharf. In der TV-Sendung „Markus Lanz“ sagte Kühnert noch am selben Abend: „Ich habe den Eindruck, hier soll vor allem wieder das gute, alte Spiel, Niedriglöhner gegen Transferleistungsbezieher’ gespielt werden.“
Nun ist der Vorwurf der „glatten Lüge“ belegt. Denn Berechnungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung auf Anfrage des ARD-Magazins Monitor zeigen, dass Beschäftigte, die in Vollzeit zum Mindestlohn arbeiten, ein deutlich höheres Einkommen haben als Personen, die Bürgergeld beziehen. Das gelte auch im kommenden Jahr, wenn das Bürgergeld nach dem Beschluss der Ampel-Koalition um zwölf Prozent angehoben wird, um nachträglich die Kaufkraftverluste auszugleichen, die durch die hohe Inflation entstanden sind.
Das Problem ist der zu niedrige Mindestlohn
Anfang 2024 steigt der Mindestlohn zwar deutlich schwächer als das Bürgergeld, diese Entwicklung tauge aber nicht als Argument gegen das höhere Bürgergeld, betont Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI. Das Bürgergeld definiere das finanzielle Existenzminimum in Deutschland, fährt sie fort. Die Kaufkraft von Menschen, die damit auskommen müssen, habe durch die hohe Inflation der letzten Zeit gelitten. „Dass die Kaufkraftverluste endlich ausgeglichen werden, ist da nur logisch“, so Kohlrausch.
„Wenn es ein Problem gibt, dann besteht es darin, dass die Arbeitgeber für 2024 durchgesetzt haben, dass es beim Mindestlohn nur eine Mini-Erhöhung gibt“, macht Kohlrausch deutlich. Das sieht Bundesarbeitsminister Hubertus Heil auch so. Stinksauer sei er über die viel zu geringe Anhebung des Mindestlohnes durch die Mindestlohnkommission in diesem Jahr, erklärt der SPD-Politiker auf dem ver.di-Bundeskongress am Mittwoch in Berlin.
Heil: Gruppen nicht gegeneinander ausspielen
Dort greift Bundesarbeitsminister Hubertus Heil die Debatte um die Aussage zum Bürgerdeld von Merz auf. Er habe sich sehr geärgert, dass einige mit dem Spruch „Arbeit muss sich lohnen“ versucht haben, Menschen gegeneinander auszuspielen, erklärt er. Für ihn sei ganz klar, dass arbeiten einen Unterschied machen müsse. Es gehe dabei um Leistungsgerechtigkeit und Respekt, räumte Heil ein. Aber wenn die CDU, die der Bürgergelderhöhung im vergangenen Jahr zugestimmt, aber beim Mindestlohn nicht mit gemacht hat, solche Debatten führe, „ist das unredlich“, kritisiert Heil.
Wenn Arbeit einen Unterschied machen soll und damit auch Lohnabstände zu Sozialleistungen größer werden sollen, „dann ist der Schlüssel nicht, dass Existenzminimum von Menschen runterzurechnen, sondern dafür zu sorgen, dass untere Einkommen entlastet werden und das untere Einkommen wieder stärker steigen“. An die demokratische Opposition im Bundestag appelliert Heil, damit aufzuhören, Gruppen gegeneinander auszuspielen.
WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch sieht das ähnlich: „Wer den sozialen Zusammenhalt in unserem Land stärken will, sollte nicht gegen das Bürgergeld polemisieren, sondern sich für einen höheren Mindestlohn und mehr Tarifbindung einsetzen.“
Bürgergeld steigt ab Januar 2024
Zum Hintergrund: Bezieher*innen von Bürgergeld erhalten ab 1. Januar 2024 mehr Geld. Die Sozialleistung wird zum kommenden Jahr steigen. Danach werden Alleinstehende 563 Euro statt aktuell 502 Euro erhalten. Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren erhalten 471 statt 420 Euro.
WSI-Sozialexperte Dr. Eric Seils hat für verschiedene Haushaltskonstellationen berechnet, wie hoch das verfügbare Einkommen mit Erwerbsarbeit zum Mindestlohn im Vergleich zum Bezug von Bürgergeld ausfällt. Danach haben Alleinstehende, die in Vollzeit zum Mindestlohn arbeiten, 2024 pro Monat ein um 532 Euro höheres Nettoeinkommen als alleinstehende Bezieher*innen von Bürgergeld. Bei Alleinerziehenden mit einem Kind beträgt der Unterschied zwischen 715 und 765 Euro, je nach Alter des Kindes. Bei Alleinerziehenden mit zwei Kindern sind es 939 bis 1001 Euro. Eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern, in der ein Elternteil zum Mindestlohn arbeitet und der zweite nicht erwerbstätig ist, hat netto zwischen 406 und 634 Euro mehr zur Verfügung als bei Bürgergeldbezug.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.