Beschäftigte bei Volkswagen: „Niemand steckt den Kopf in den Sand“
Das Drama um Volkswagen nimmt weiter Fahrt auf. Wenige Wochen nach dem Aus für die Beschäftigungsgarantie starten am Mittwoch die Tarifverhandlungen. Im Interview beschreibt Daniela Nowak, Betriebsratsvorsitzende am VW-Standort Braunschweig, die Stimmung in der Belegschaft und Wege aus der Krise.
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Fertigung von Elektroautos bei Volkswagen in Emden: Das Unternehmen leidet unter der schwindenden Nachfrage.
Ist nach der Aufkündigung der Beschäftigungsgarantie und anderer Vereinbarungen durch das VW-Management überhaupt an normale Tarifverhandlungen zu denken?
Es werden keine normalen Verhandlungen sein. Das Unternehmen muss jetzt sagen, was das Ziel des Sparkurses ist und vor allem warum es erstmalig in der Geschichte von Volkswagen die jahrzehntealte Beschäftigungssicherung gekündigt hat. Für die Arbeitnehmer*innen hängt daran eine Menge.
VW muss klarmachen, wo genau gespart werden soll und ob wirklich betriebsbedingte Entlassungen drohen. Wir wollen klären: Wie lässt sich die Beschäftigung auch künftig wieder nachhaltig sichern?
Thorsten Gröger vom IG-Metall-Bezirksverband hält VW vor, eine Auseinandersetzung losgetreten zu haben, die das Unternehmen lieber gescheut hätte. Drohen Streiks und Massenproteste?
VW hat den Beschäftigten quasi von heute auf morgen eine Grundlage, die 30 Jahre lang galt, gekündigt. Das nehmen wir nicht widerspruchslos hin. Wir erleben einen Kulturwechsel und der wird sicherlich auch dazu führen, dass es bei uns zu einer anderen Kultur der Auseinandersetzung kommt.
Auf den Betriebsversammlungen hat die Belegschaft sehr deutlich gezeigt, was sie davon hält. Die einen haben gepfiffen, die anderen haben zugehört. Kein Vorstandsmitglied hat Applaus bekommen oder gar Verständnis geerntet. Es gibt ein riesengroßes Unverständnis. Die Verunsicherung ist immens. Die Menschen sind deshalb bereit, sich gegen diese Unternehmenspolitik zu wehren.
SPD-Chef Lars Klingbeil hat gesagt, VW steht wie kaum ein anderes Unternehmen in Deutschland für das Miteinander von Management und Belegschaft. Ist dieses Modell nun Geschichte?
Der bisherige Weg bestand darin, Konfliktpunkte und Frage in vernünftigen Gesprächen zumeist abseits der großen Öffentlichkeit zu klären. Dies hat der Vorstand von Volkswagen infrage gestellt. Das Unternehmen täte gut daran, dorthin wieder zurückzukehren. Es kann nicht gewollt sein, jetzt in langwierige Auseinandersetzungen zu gehen. Die Fäden wieder zusammenzubringen, wird schwierig. Das Vertrauen ist gestört.
Wie hat die Belegschaft am Standort Braunschweig auf die Entscheidung des Managements reagiert?
Als klar war, dass es um kein übliches Geplänkel vor den Tarifverhandlungen ging, reagierten viele Menschen geschockt. Es herrscht eine Angst, die es vorher so nicht gegeben hat. Der Standort Braunschweig steht schon immer hart im Wettbewerb mit externen Anbietern. Wir fertigen viele Produkte, für die der Konzern Zulieferer beauftragen kann. Unser Produktionsvolumen ist aktuell gesunken.
Auf der anderen Seite sind die Beschäftigten bereit, um ihr Werk und um jeden einzelnen Arbeitsplatz zu kämpfen. Die Angst fährt mit, aber niemand steckt den Kopf in den Sand.
Der VW-Standort Braunschweig wurde als erster auf E-Mobilität umgestellt. Viele sehen das als Vorteil. Ist diese Hoffnung angesichts der Flaute auf dem E-Auto-Markt trügerisch?
Nein. Ich glaube nach wie vor fest an E-Mobilität und dass das der richtige Weg für die Zukunft ist. Da muss man politisch jetzt auch mal Farbe bekennen. Die SPD tut das ja. Es bräuchte aber insgesamt klare Signale, wie es mit der Transformation der Autoindustrie weitergehen soll. Es geht um die Ladeinfrastruktur, aber auch um Energiepreise. Wie können unsere Batteriesysteme im internationalen Wettbewerb bestehen?
Es ist Sache der Politik, entsprechende Fördermodelle zu entwickeln. Die Debatte um die Verschiebung des langfristigen Ausstiegs aus dem Verbrenner ist absolut nicht hilfreich. Man muss eine vernünftige Industriepolitik machen. Nicht nur die SPD sollte ein Interesse daran haben, dass die Industrie in Deutschland auch künftig zu vernünftigen Arbeitsbedingungen und Lohnkosten arbeiten kann.
Die Flaute auf dem E-Automarkt speist sich aus der schwindenden Nachfrage in Europa, aber auch aus dem geringeren Absatz in China. Wie sehr spüren Sie all das in Braunschweig?
Wir merken, dass all die Teile für E-Autos weniger nachgefragt sind. Allerdings sind wir ein gemischter Standort. Einen Großteil des Jahres haben wir damit verbracht, über Freizeitausgleich die Arbeit besser unter den Beschäftigten aufzuteilen.
In Braunschweig werden Batterien, aber nach wie vor auch Achsen gefertigt. Andere Standorte, die komplett auf E-Autos umgestellt wurden, haben bereits viele Einschränkungen erlebt. Zum Beispiel das Werk in Zwickau, das fast gar nicht mehr dreischichtig arbeitet. Da ist die Stimmung ganz anders als bei uns.
Aber die Flaute ist nicht nur im E-Auto-Bereich. Auch Verbrenner verkaufen sich nicht ausreichend, weil viele Menschen in der jetzigen Situation ihr Geld zusammenhalten. Die Zeiten haben sich auch für VW geändert. Viele warten ab, was die Politik jetzt macht.
Daniela
Nowak
Die Schließung von Werken wäre ein falsches Signal
Um die Krise aufzufangen, wird die Rückkehr zur Vier-Tage-Woche vorgeschlagen. Wäre das eine Option?
Diesen Vorschlag muss man sich sicherlich angucken. Eine Vier-Tage-Woche würde die Arbeitskosten allerdings nicht drücken. Viele andere Probleme würden bleiben. Wir müssen alles so weit in Scheiben schneiden, bis wir sagen können, welche Lösung für welches Problem greift.
Auch wegen der Sperrminorität des Landes Niedersachsen sind Werksschließungen gerade in Ihrem Bundesland eher unwahrscheinlich. Wie steht es um die Fabriken in Sachsen und Kassel?
Für uns kommt die Schließung von Werken überhaupt nicht infrage, egal in welchem Bundesland. Ich kann mir weder vorstellen, dass man einen großen Komponentenstandort wie in Kassel von der Landkarte löscht, noch das erste Werk, das komplett auf E-Mobilität umgerüstet wurde, nämlich den Standort Zwickau. Das wäre ein falsches Signal. Es muss vielmehr gelingen, die Werkskapazitäten sozialverträglich anzupassen.Darunter dürfen aber Investitionen in Deutschland nicht leiden.
Von SPD-Chef Lars Klingbeil kam jüngst die Forderung, die VW-Unternehmensführung müsse ein klares Signal geben, dass sich die Krise nur gemeinsam mit dem Betriebsrat überwinden lässt. Was haben Sie dazu aus Wolfsburg gehört?
Bei der Frage, wie man der Krise Herr werden kann, liegen Betriebsrat und Unternehmen sehr weit auseinander. Wir müssen die gewohnten Gesprächskanäle wieder zusammenführen. Da bin ich total bei Herrn Klingbeil. Ich erwarte, dass die Konzernführung auf uns zukommt. Jetzt geht es erst einmal darum, dass sich Unternehmen und Arbeitnehmerseite wieder auf Augenhöhe begegnen.
Viele Probleme sind durch Fehler und falsche Entscheidungen im Vorstand und im Management entstanden. Es kann nicht sein, dass sie allein auf der anderen Seite ausgeglichen werden sollen.
Welche Fehler sehen Sie aufseiten des VW-Spitzenmanagements?
Wir haben kein günstiges Einstiegsmodell bei E-Autos. Auch fehlt die Technologieführerschaft. Im Prinzip leben wir von dem, was wir vor Jahren entwickelt haben. Das haben definitiv nicht die die Kolleginnen und Kollegen an der Montagelinie zu verantworten.
Daniela
Nowak
VW muss in Zukunftsthemen investieren und Autos anbieten, die technologisch den Unterschied machen
Warum fällt der VW-Führung nicht mehr ein, als Stellenstreichungen oder Werksschließungen in den Raum zu stellen? Warum setzt das Unternehmen nicht mehr auf Innovationen?
Es stimmt nicht, dass das Management in letzter Zeit gar nichts gemacht hat. Man hat zum Beispiel das Design wieder komplett umgestellt. Aber es reicht anscheinend nicht. Zum Beispiel sehe ich nicht, dass genau die Komponenten, die einen Unterschied machen könnten, auch tatsächlich in allen Fahrzeugen eingebaut werden.
Um zu sparen und um gut am Aktienmarkt dazustehen, sind während der vergangenen Jahre Innovationen nicht so erfolgt, wie sie nötig gewesen wären. VW muss in Zukunftsthemen investieren und Autos anbieten, die technologisch den Unterschied machen.
In welchen anderen Bereichen wird voraussichtlich der Rotstift angesetzt?
Viele Investitionen wurden zusammengestrichen. Die Produktion des neuen E-Modells Trinity wurde weit nach hinten verschoben und soll auch nicht mehr in Wolfsburg stattfinden. Das bedeutet, dass am Standort Braunschweig Nachfolgeprodukte fehlen. Wir müssen uns daher für andere Projekte bewerben. Derzeit läuft die Umplanung der Batteriemontage. Mit den gekürzten Investitionsmitteln wird es schwierig, dieses Vorhaben wirtschaftlich tragbar zu Ende zu führen.
Schneidet sich VW nicht ins eigene Fleisch, wenn der Konzern weniger investiert?
Das könnte passieren. Noch bleibt abzuwarten, was die Planungsrunde von VW endgültig ergibt. Was bisher durchgesickert ist, deutet aber darauf hin, dass es zu Einsparungen bei Innovationen kommen wird. Diesen Vorwurf muss man dem Vorstand machen. Es darf nicht nur um die Rendite gehen. Um die Transformation einer Marke voranzutreiben, muss man investieren und darauf setzen, das Geld später hereinzuholen. Das wird bei den Tarifverhandlungen sicher ein großer Streitpunkt werden.