Geschichte

Vor 50 Jahren: Als die Jusos ihre erste weibliche Vorsitzende bekamen

Mit Heidemarie Wieczorek-Zeul wählen die Jusos am 25. Januar 1974 erstmals eine Frau als Vorsitzende. Doch auch „die rote Heidi“ kann die Flügelkämpfe innerhalb des Jugendverbands nicht beenden.

von Klaus Wettig · 25. Januar 2024
Heidemarie Wieczorek-Zeul am Rednerpult auf dem Juso-Bundeskongress 1976

Die erste Frau an der Spitze der Jusos: Heidemarie Wieczorek-Zeul auf dem Bundeskongress 1976

Der 25. Januar 1974 war eine Premiere. Zum ersten Mal in der Geschichte der SPD wählte eine männerdominierte Konferenz – die Bundeskonferenz der Jungsozialist*innen (Jusos) – eine Frau an die Spitze der Arbeitsgemeinschaft: Heidemarie Wieczorek-Zeul erhielt mit 197 zu 50 Stimmen eine deutliche Mehrheit.

Beginnender Wandel in der SPD

Seit 1957, als die schon 1947 gegründete Arbeitsgemeinschaft demokratisiert wurde, sodass sie ihre Vorsitzenden selbst wählen konnte, hatten stets ,,Genossen‘‘ die AG geführt: Hans-Jürgen Wischnewski, Holger Börner, Günter Müller, Peter Corterier, Karsten D. Voigt und Wolfgang Roth. Dass nach dieser Männerriege jetzt eine Frau den Vorsitz übernehmen konnte, deutete den beginnenden Wandel der SPD bei der Repräsentanz von Frauen in Ämtern und Mandaten an.

Dass die 1973 gegründete Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF) von einer Frau geführt wurde, war eine Selbstverständlichkeit, nicht jedoch bei den Jusos, wo Frauen unter den Aktiven nur eine Minderheit bildeten.

Die politische Öffentlichkeit reagierte durchaus überrascht auf diese Wahl, denn die Führung der Jusos durch eine Frau im Machtfeld der SPD war schwierig einzuschätzen, da die seit der Linkswende 1969 durch die hohe Zahl ihrer Mitglieder an Einfluss gewonnen hatten, sogar ein Machtfaktor geworden waren. HWZ, wie Heidemarie Wieczorek-Zeul abkürzend genannt wurde, erfuhr deshalb sofort anwachsende mediale Aufmerksamkeit. Die von der Generallinie der SPD abweichenden Juso-Positionen, die sie zu vertreten hatte, verschafften ihr bald das Etikett „die rote Heidi“. Das in der Zeit ihres politischen Wirkens nicht mehr verschwand.

Schwere Konflikte innerhalb der Jusos

Ihre dreijährige Amtszeit, die bis 1977 dauerte, bestimmten schwere Konflikte über die politische Grundlinie. Es entwickelte sich eine Juso-Fraktion, die die Bundesrepublik von einem staatsmonopolistischen Kapitalismus beherrscht sah, deshalb STAMOKAP genannt. Großkapital, bei dem der militärisch-industrielle Komplex dominierte, regierte die Bundesrepublik in Verbindung mit den Eliten des Staatsapparates.

Neben dieser Fraktion, der ein gutes Drittel der Juso-Delegierten auf Bundeskonferenzen zugerechnet wurde, existierte noch die kleinere Gruppe der Antirevisionisten, die dem parlamentarischen Weg der SPD skeptisch gegenüberstand. Sie verlangte eine Doppelstrategie, die dem Kampf um Reform-Mehrheiten außerhalb der Parlamente eine zentrale Rolle zuordnete. Beide Fraktionen zusammen konnten bei Abstimmungen und Wahlen die Mehrheitsfraktion um HWZ blockieren.

Ein jahrelanges Siechtum beginnt

Den Reformsozialist*innen gelang 1976 noch einmal eine Mehrheit auf der Bundeskonferenz, auch mit einer programmatischen Abgrenzung zu den Stamokaps, doch bei der Nachfolge von HWZ blockierten sich die Fraktionen.

Mit Klaus-Uwe Benneter wurde überraschend ein Vertreter der Stamokaps neuer Bundesvorsitzender. Die nachfolgenden Konflikte führten bald zum Ausschuss von Benneter. Ein jahrzehntelanges Siechtum der Jusos begann mit diesem Absturz in Sektiererei. Erst in den 1990er-Jahren erholten sich die Jusos von diesen Irrläufen.

Willy Brandt setzt auf mehr Frauen

Der Weg von HWZ in der Politik verlief danach nicht gradlinig. Während ihre Vorgänger im Juso-Vorsitz ihre politische Arbeit in Bundestagsmandaten fortsetzen konnten, blieb sie Lehrerin. Erst 1979 schaffte sie die Wahl ins startende Europäische Parlament. Bevor die Quote für Frauen wirkte, setzte Willy Brandt auf der SPD-Bundesliste einen hohen Frauenanteil durch, wodurch viele junge Genossinnen eine Chance in der Berufspolitik erhielten.

Nach dieser Pioniertat, der weitere folgten, wandelte sich die Stimmung in der SPD, sodass auf den Parteitagen 1986 und 1988 die Frauenquote von 40 Prozent beschlossen wurde.

Autor*in
Klaus Wettig

war von 1975 bis 1976 Politikberater für die sozialistische Partei im revolutionären Portugal. Als Mitglied des Europäischen Parlamentes war er Vorsitzender des Ausschusses für den Beitritt Portugals zur Europäischen Gemeinschaft.

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2 Kommentare

Gespeichert von Ralf Ibs (nicht überprüft) am Do., 25.01.2024 - 16:00

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Tut mir leid, aber das Prinzip der Doppelstrategie wird diesem Artikel falsch beschrieben. Sie war auch keine Forderung der Antirevisionisten allein. Sie beinhaltete vielmehr vom Standpunkt der Jusos aus gesehen, sich für gesellschaftliche Veränderungen innerhalb der Partei und außerhalb dieser in gesellschaltlichen Gruppen und Verbänden, wie Bürgerinitiativen und Gewerkschaften einzusetzen. Oder auch innerhalb von Parlamenten und außerhalb von diesen in der Zivilgesellschaft, um ein gesellschaftliches Klima für Veränderungen herzustellen. Eine Doppelstrategie also! Letztere Variante würde man sich aktuell gerne wünschen. Auch als Gegenstrategie gegen rechte Tendenzen, wie die der AfD. Was die Heidimarie Wieczorek-Zeul betrifft, sie hat später mehr Positionstreue besessen, als manch andere ehemalige Juso-Bundesvorsitzende. Dies gilt vorallem für Gerhard Schröder, einem ehemaligen Antirevisionisten.