Heidemarie Wieczorek-Zeul: Auch für Frauenrechte immer weiter kämpfen
Thomas Imo/photothek.net
Dass sie heute immer noch von einigen Mitmenschen „rote Heidi“ genannt wird, stört sie nicht. Den „Titel“, der sich zuallererst wohl auf ihre Gesinnung, aber irgendwie auch auf ihre gewählte Haarfarbe bezieht, bekam sie in den 70er Jahren. Wird sie darauf angesprochen, entgegnet Heidemarie Wieczorek-Zeul lächelnd: „Lieber rot als blass.“ Dabei würde sie vermutlich niemand als blass bezeichnen, der sie kennt und mit ihr zusammen gearbeitet hat. Und das waren viele.
„Lieber rot als blass“
Heidemarie Wieczorek-Zeul war elf Jahre lang Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, besetzte führende Positionen in der Partei, war viele Jahre Europaabgeordnete, dann Bundestagsabgeordnete und weltweit aktiv – für Frieden und mehr Gerechtigkeit und stets von der Überzeugung getragen: „Wer sich engagiert, kann etwas erreichen.“ Besonders am Herzen lagen und liegen ihr die Rechte der Frauen.
Schon früh war ihr klar, dass sie niemals ihren Beruf aufgeben möchte. „Das lag vielleicht auch an meiner Mutter, die wollte, dass meine Schwester und ich Abitur machen, während mein Vater sagte: Wieso, die Mädchen heiraten doch sowieso?“ Die klassische Frauenrolle lag der studierten Lehrerin aber nie: Als sie mit Norbert Wieczorek verheiratet war, waren beide viel in eigenen Angelegenheiten unterwegs. 1981 ließen sie sich scheiden – in gutem Einvernehmen. Kinder hat das Paar keine. „Ich hätte meinen Beruf aufgeben müssen. Das wollte ich nicht“, erzählt die Politikerin, die heute in Wiesbaden wohnt, und sie fügt hinzu: „Kinder oder Beruf? Die Männer mussten sich diese Frage ja nicht stellen.“ Da wollte sie sich lieber für Gleichberechtigung einsetzen und gegen Rollenklischees – und tat es mit Elan.
Als Frau keine Chance
Eine Begegnung mit Willy Brandt, den sie noch heute mit besonderer Hochachtung erwähnt, bewegte sie zum Eintritt in die SPD. Dass Frauen anders behandelt werden als Männer, hat sie oft persönlich erlebt – auch innerhalb der Partei. Da war ihre erste Unterbezirkskonferenz der Jusos, auf der sie als einzige Zuhörerin unter rund 30 Männern saß; als eine Schriftführerin gesucht wurde, deutete der Vorsitzende auf sie: „Da hinten sitzt eine Genossin, die kann doch bestimmt schreiben.“ Sie nahm das Amt an – „und im Jahr darauf habe ich ihn als Unterbezirksvorsitzenden abgelöst“.
Da war aber auch der erste SPD-Mitgliederentscheid im Jahr 1993, als Gerhard Schröder, Rudolf Scharping und sie für den SPD-Parteivorsitz kandidierten und ihr – von Medienmenschen, aber auch Parteikollegen – signalisiert wurde, sie habe als Frau keine Chance.
Ein Bezirksgeschäftsführer begrüßte die Kandidatin bei ihrer Vorstellungstour gar mit den Worten: „Bei uns fällt die Entscheidung zwischen den Männern!“ Und da waren viele weitere Situationen, in denen sie es spürte: Als Frau wurde sie anders gesehen, anders bewertet als männliche Kollegen – und oft auch unterschwellig abgewertet. „Für das gleiche Verhalten gelten andere Maßstäbe: Tritt ein Mann massiv auf, will er sich durchsetzen, eine Frau gilt dann als zickig.“
Kampf für Frauenrechte weltweit
Lohngleichheit, genug Rente im Alter, Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Für Frauen hat sich Heidemarie Wieczorek-Zeul ihr Leben lang eingesetzt. Und auch weltweit lagen und liegen ihr – neben einem starken Europa und den Nachhaltigkeitszielen – gleiche Rechte und gleiche Chancen für Frauen am Herzen. Zum Beispiel in Afrika. „Immer noch stecken sich viele junge Frauen mit HIV an“, sagt die Vollblutpolitikerin, die sich viele Jahre gemeinsam mit Kofi Annan, dem langjährigen Generalsekretär der Vereinten Nationen, für bessere Gesundheitsbedingungen für Frauen einsetzte und sich noch heute engagiert. Unter anderem arbeitet sie seit langem an einem Projekt der IPM (International Partnership for Microbicides) mit: die Entwicklung, Einführung und Verbreitung eines Vaginalrings, der ein Medikament abgibt, das die Ansteckungsgefahr mit Aids verringert. Noch ist der Ring nicht zugelassen, „aber es kann nicht mehr lange dauern. Man braucht eben einen langen Atem“.
Den langen Atem hat Heidemarie Wieczorek-Zeul auf jeden Fall. Aber ausruhen auf erreichten Zielen, das ist nicht ihr Ding. „Denn nichts ist für immer. Man muss für alle Ziele immer weiter kämpfen.“ Deshalb engagiert sich die 76-Jährige, die mittlerweile zwei Bücher über ihr Leben geschrieben hat, weiter, wo sie kann. Und erfüllt sich nebenbei einen lang gehegten Wunsch: Sie lernt Klavierspielen.
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