§ 218: SPD-Frauen und ihr langer Kampf für das Recht auf Abtreibung
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Am 24. Juni 2022 ist es soweit: Die Regierungskoalition aus SPD, Bündnis 90/die Grünen und FDP und auch die Partie die Linke votieren dafür, den viel diskutierten Paragrafen 219a aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. „Der Paragraf wurde bewusst genutzt, Ärztinnen und Ärzte anzuzeigen, wenn sie auf ihrer Homepage darüber informierten, dass sie Abbrüche vornehmen und wie sie sie vornehmen. Das aber sind notwendige Basisinformationen, damit Frauen eine differenzierte Entscheidung treffen können“, erklärt die zuständige Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion Carmen Wegge nach dem Bundestagsbeschluss im Gespräch mit dem „vorwärts“.
Die Streichung des aus dem Jahr 1933 stammenden Paragrafen ist längst überfällig. Doch für die SPD-Frauen soll es nur der Anfang gewesen sein. Für sie steht fest, dass der ebenfalls umstrittene Paragrafen 218, der Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt, folgen muss. Gemeinsam mit den Jusos fordern sie, dass der „Schwangerschaftsabbruch raus muss aus dem Strafgesetzbuch“.
Ein langer Weg: das Recht auf Abtreibung
Die Geschichte des schwer erkämpften Rechts auf Abtreibung im Nachkriegsseutschland ist lang. Sie dauert von 1972 bis 1995. Während in Westdeutschland vor dem Hintergrund einer lauten und starken Frauenbewegung noch über das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gerungen wird – 1971 erscheint das Magazin „Stern“ mit dem Titel „Wir haben abgetrieben!“ – verabschiedet die Volkskammer der DDR im März 1972 das Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft. Danach ist es Frauen erlaubt, in den ersten drei Monaten nach Empfängnis straflos abzutreiben (Fristenlösung). In Westdeutschland wird die Fristenregelung 1974 zwar vom Bundestag beschlossen, aber nicht wirksam, weil das Bundesverfassungsgericht das Gesetz für verfassungswidrig erklärt.
Um den gerichtlichen Vorgaben Rechnung zu tragen, tritt 1976 – mit den Stimmen von SPD und FDP – die sogenannte Indikationenregelung in Kraft. Danach ist ein Schwangerschaftsabbruch nur dann nicht strafbar, wenn eine „medizinische“, „kriminologische“, „embryopathische“ oder eine „soziale“ Indikation vorliegt. Letztere bedeutet, dass sich die schwangere Frau in einer Notlage befinden muss, die so schwer wiegt, dass die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht von ihr verlangt werden kann. Bei dieser Indikation müssen die Kosten des Eingriffs selbst übernommen werden.
§218: Kompromiss mit der Wiedervereinigung
Diese Regelung gilt bis zur Wiedervereinigung. Mit ihr kommt Bewegung in die Debatte. Es muss einheitliches Recht geschaffen werden und die Frauen aus der DDR weigern sich, die Indikationenregelung zu übernehmen. Im Juni 1992 stimmt eine klare Mehrheit im Bundestag für die Fristenlösung. Doch die bayerische Staatsregierung klagt vor dem höchsten Gericht, wieder greifen Richter korrigierend ein. So ist das heute geltende Abtreibungsstrafrecht ein Kompromiss aus einem durch eine Beratungspflicht ergänzten Fristenmodell bis zur zwölften Schwangerschaftswoche (§218a Abs. 1 StGB) und einer erweiterten medizinischen und kriminologischen Indikationenlösung (§218a Abs. 2 u. 3 StGB). In Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs heißt es weiterhin: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Abtreibung bleibt demnach weiterhin eine Straftat. Sie wird aber in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen nicht bestraft, wenn die Frau sich bei einer anerkannten Stelle hat beraten lassen.
Vorbild heute: Kanada
Als Vorbild für SPD-Frauen in Sachen Schwangerschaftsabbruch gilt heute Kanada. Hier wird der Schwangerschaftsabbruch vor Jahrzehnten entkriminalisiert. Der Abbruch ist legal und durch den Canada Health Act geregelt und finanziert. „Ein Vorbild“, sagt die ASF-Vorsitzende Maria Noichl im vorwärts-Interview. „Kanada arbeitet nicht mit Verboten und nicht mit Angst. Kanada arbeitet mit Aufklärung und mit Vertrauen, das den Frauen entgegengebracht wird. Es gibt keine Bevormundung von außen, die letzte Entscheidung wird in die Hände gelegt, wo sie unserer Meinung nach am besten aufgehoben ist: bei den Frauen selbst. Schwangerschaftsabbrüche finden dort übrigens nicht öfter statt als in anderen Ländern auch.“
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.