Anna Blos: Wie sie mit Clara Zetkin für das Frauenwahlrecht kämpfte
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In den meisten einschlägigen Werken der deutschen Sozialdemokratie, wie der „Kleinen Geschichte der SPD“ oder der „Chronik der deutschen Sozialdemokratie“, ist sie nicht aufgeführt. In dem von Antje Huber herausgegebenen Buch „Verdient die Nachtigall Lob, wenn sie singt“ wird sie von Susanne Miller als „Parlamentarierin der ersten Generation“ mit einem Satz erwähnt. Lediglich Marie Juchacz widmet ihr 1955 einen Artikel in den „Lebensbildern führender Frauen des 19. und 20. Jahrhunderts“: Anna Blos — eine mutige Frau, die „freudig und ohne Furcht um ihr Menschen- und Frauenrecht“ gestritten hat. Beide, Marie Juchacz und Anna Blos, lebten für eine bessere Welt.
Ein außergewöhnlicher Lebensweg
Im Gegensatz zu Marie Juchacz ist Anna Blos mit der „besseren Welt“ vertraut. Geboren wird sie am 4. August 1866 als Anna Berta Antonia Tomaszewska im damals niederschlesischen Liegnitz. Ihr Vater Robert ist Oberstabsarzt, ihre Mutter Marie Tochter eines Gutsbesitzers. Da der Vater als Berufsoffizier häufig versetzt wird, verbringt Anna ihre Kindheit und Schulzeit in vielen deutschen Garnisonstädten. 1878 zieht die Familie nach Karlsruhe. Anna besucht dort das private „Viktoria-Pensionat“, das die Absolventinnen auf den Besuch eines Lehrerinnenseminars vorbereitet. 1881 „büchst“ Anna für kurze Zeit nach London aus.
Als externe Schülerin absolviert sie 1883/1884 die Abschlussklasse des Lehrerinnenseminars „Prinzessin-Wilhelm-Stift“ in Karlsruhe und erwirbt so die Berechtigung, sich als Gasthörerin an einer Universität einschreiben zu dürfen. Ab 1885 studiert Anna Tomaszewska an der „Humboldt-Universität“ in Berlin Geschichte, Literatur und Sprachen. Das Hochschulexamen jedoch bleibt ihr verwehrt. Selbst für eine junge Frau aus der „besseren Gesellschaft“ ist dieser Lebensweg am Ende des 19. Jahrhunderts außergewöhnlich. 1890 legt Anna ihr Examen als Oberlehrerin ab. Wo sie danach als Lehrerin arbeitet, ist nicht überliefert.
Mitarbeiterin von Clara Zetkin
„Anna Blos war gesundheitlich zart, nervös, von häufiger Migräne geplagt“, schreibt Marie Juchacz in ihrem „Lebensbild“. 1902 erkrankt Anna schwer und muss längere Zeit pausieren. Darunter leidet auch ihr Engagement für die bürgerliche Frauenbewegung. 1905 ändert sich das Leben der Anna Tomaszewska grundlegend. Sie heiratet den 17 Jahre älteren sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Wilhelm Blos, tritt in die SPD ein, wendet sich der proletarischen Frauenbewegung zu und wird Mitarbeiterin der von Clara Zetkin in Stuttgart herausgegebenen Zeitschrift „Die Gleichheit“. Die Zusammenarbeit mit der neben Rosa Luxemburg bedeutendsten Sozialdemokratin verläuft zunächst holprig, ist später aber von gegenseitigem Respekt bestimmt. Clara Zetkins durchaus bürgerlicher Lebensstil trägt sicherlich dazu bei, dass sich Anna Blos hin- und hergerissen fühlt. „Wer Zetkin in Sillenbuch (ein Stadtteil von Stuttgart) als liebenswürdige Gastgeberin erlebte“, schreibt Anna Blos, „konnte sich kaum vorstellen, dass diese Frau die Todfeindin der bürgerlichen Gesellschaft war, als die sie sich selbst gerne bezeichnete.“
Anna Blos sieht sich selbst als gemäßigte Sozialdemokratin. Was sie mit Clara Zetkin und anderen revolutionären Frauen verbindet, ist der kompromisslose Kampf für das Frauenwahlrecht. Obwohl sie weiterhin als Lehrerin arbeitet, findet Anna Blos Zeit, um als Agitationsrednerin für Frauenrechte und Arbeiterbildung aufzutreten. 1910 wird sie im vergleichsweise liberalen Stuttgart als erste Frau in deutschen Landen zur Ortsschulrätin gewählt und nutzt diese Position, um bessere Bildungschancen für Arbeiterkinder und die vermehrte Einstellung von Lehrerinnen zu erreichen.
Im „Vorwärts“ stellt sie die Frauenfrage
Während des Ersten Weltkrieges gehört Anna Blos, wie auch ihr Mann Wilhelm, zur Mehrheitsfraktion der sozialdemokratischen Kriegsbefürworter*innen. Die bittere Realität der Kriegsjahre führt ihr das Elend der arbeitenden Frauen und ihrer Kinder drastisch vor Augen. Die Kindersterblichkeit ist hoch, der Hunger allgegenwärtig. Als Ortsschulrätin kann sie in Stuttgart die Einrichtung von kommunal finanzierten Kinderküchen durchsetzen.
Noch vor der November-Revolution von 1918 wird Anna Blos, auch hier beispielgebend, Mitglied des Landesvorstands der württembergischen SPD. Frauenrechte bleiben ihr Hauptthema. Im „Vorwärts“ stellt sie am 20. Oktober 1918 die Frauenfrage und schreibt: „Verdammt sie nicht länger zur Rechtlosigkeit. Gebt ihnen politische Rechte!“ Damit reagiert sie auf die Tatsache, dass sich viele Frauen während des Krieges notgedrungen emanzipieren mussten.
Der 9. November 1918 revolutioniert auch das Leben von Anna und Wilhelm Blos. An diesem Abend tagt der Landesvorstand der SPD im Gewerkschaftshaus und Wilhelm begleitet seine Frau. Er besucht eine spontane Sitzung von Revolutionär*innen im Landtag und verlässt diesen als Vorsitzender der zukünftigen provisorischen Landesregierung. Wenig später wird Anna Blos zur Kandidatin für die verfassunggebende Nationalversammlung erkoren und zieht durch die Lande, um Frauen zur aktiven politischen Teilhabe zu motivieren und propagiert den „Volksstaat“.
Mitglied der Nationalversammlung
In der „Lübecker Volksstimme“ schreibt Anna Blos am 18. Januar: „Aufgabe aller Wählerinnen ist es heute, so zu wählen, daß sowohl bei der Nationalversammlung, wie bei der Landesversammlung die Vertreter der Sozialdemokratie so stark vertreten sind, daß alle unsere Forderungen sich verwirklichen lassen. Wenn heute auch die anderen Parteien ähnliche Versprechungen machen, so genügt es wohl, daran zu erinnern, daß sie bisher immer die Macht in Händen hatten und niemals diese Macht im Interesse des Volkes, sondern stets im Interesse ihrer eigenen Klasse zu Schaden der Gesamtheit ausgenützt haben.“ Am Tag darauf wird Anna Blos als einzige Frau aus Württemberg in die Nationalversammlung gewählt, der sie bis zur letzten Sitzung am 21. Mai 1920 angehört. Da auch die Amtszeit von Wilhelm Blos als württembergischer Staatspräsident nach gut einem Jahr endet, widmen sich beide hinfort ihren publizistischen Tätigkeiten.
1922 dürfen Anna und Wilhelm Blos eine Dienstwohnung des Landes Württemberg im Alten Schloss in Stuttgart beziehen. Wilhelm Blos stirbt am 6. Juli 1927 — und so bleibt es Anna vorbehalten, die gemeinsamen Projekte zu beenden. 1928 erscheint „Frauen der deutschen Revolution 1848“, im Jahr darauf „Frauen in Schwaben“, jeweils mit Lebensbildern fortschrittlicher Frauen. 1930 gibt sie das Buch „Die Frauenfrage im Lichte des Sozialismus“ heraus, eines der ersten Geschichtsbücher der sozialdemokratischen Frauenbewegung. In Folge einer Krebserkrankung stirbt Anna Blos am 27. April 1933. „Anna Blos wusste viel“, schreibt Marie Juchacz aus der Erinnerung heraus. „Sie hatte große Fähigkeiten, und ihre Arbeit fand auch Anerkennung. Trotzdem scheint sie sich verlassen, fremd gefühlt zu haben in der Arbeiterbewegung, die sie geliebt und der sie bis zum Tod treu geblieben ist.“