Welche Rolle der „Vorwärts“ beim Sturz des Kaisers spielte
Reichskanzler von Baden kommt dem Kaiser zuvor
Beschlossen hatte den Streik am Vorabend vor allem die USPD (die „Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ hatte sich 1916 im Streit über die Positionierung zum Krieg von der SPD abgespalten), die SPD um ihren Vorsitzenden Friedrich Ebert schloss sich an. Ebert war es auch, der die Abdankung des Kaisers am vehementesten forderte. Da sich dieser zierte, ergriff Reichskanzler Prinz Max von Baden die Initiative. Er fürchtete eine Eskalation des Aufstands, da sich immer mehr Vertreter des Militärs gegen die Monarchie wendeten.
Am Mittag des 9. November gab der Reichskanzler eine Erklärung heraus, die in einer zweiten Extraausgabe des „Vorwärts“ abgedruckt und verteilt wurde: Unter der Schlagzeile „Der Kaiser hat abgedankt!“ war dort zu lesen: „Seine Majestät der Kaiser und König haben sich entschlossen, dem Throne zu entsagen.“ Max von Baden selbst beabsichtige, „dem Regenten die Ernennung des Abgeordneten Ebert zum Reichskanzler und die Vorlage wegen der Ausschreibung allgemeiner Wahlen für eine verfassungsgebende deutsche Nationalversammlung vorzuschlagen“.
„Die öffentliche Gewalt ist in die Hände des Volkes übergegangen.“
Die Reaktion des Kaisers war eindeutig: Wilhelm II. floh in die Niederlande ins Exil. Das Deutsche Reich war führungslos. Um Herr der Lage zu bleiben, forderte Friedrich Ebert das Amt des Reichskanzlers umgehend für sich. Max von Baden trat zurück. In einer dritten Extraausgabe des „Vorwärts“ verkündeten „der Vorstand der Sozialdemokratie Deutschlands“ und „der Arbeiter- und Soldatenrat“: „Der freie Volksstaat ist da! Kaiser und Kronprinz haben abgedankt! Fritz Ebert, der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, ist Reichskanzler geworden (…). Damit ist die öffentliche Gewalt in die Hände des Volkes übergegangen.“
Und „die neue Regierung“ wandte sich via „Vorwärts“ (es war die vierte Extraausgabe des Tages) gleich an die Soldaten und forderte sie auf: „Kehrt ruhig in die Kasernen zurück. Lest morgen den ‚Vorwärts‘, wo Euch weitere Mitteilungen bekannt gegeben werden!“ Doch die Appelle kamen zu spät: Niemand auf den Straßen Berlins befolgte die Aufforderung, ruhig zuhause abzuwarten, was passieren würde. Die Forderung nach der endgültigen Abschaffung der Monarchie wurde immer lauter vorgetragen.
„Frieden bringen, Freiheit befestigen“
Auch der erste wenige Tage zuvor aus der Haft entlassene Karl Liebknecht war sofort nach Berlin gereist und plante nun die Ausrufung einer sozialistischen Republik. Noch vor ihm trat der stellvertretende MSPD-Vorsitzende Philipp Scheidemann kurzerhand an ein Fenster des Reichstags und rief dort, ohne es mit Ebert abgesprochen zu haben: „Das alte und morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue. Es lebe die deutsche Republik!“ Erst Stunden später rief Liebknecht von einem Balkon des Berliner Stadtschlosses die sozialistische Republik aus.
Im „Vorwärts“ fand sich von den Vorfällen nichts. In einer fünften Extraausgabe teilte der neu gegründete Soldatenrat „an alle Militärpersonen von Groß-Berlin“ mit, dass er sich am Abend „im Reichstagsgebäude, Zimmer 17“ treffen werde. Es folgte die Aufforderung: „Soldaten bleiben in Euren Kasernen, Ihr werdet dort verpflegt. Zapfenstreich 10 Uhr.“
Und auch der neue Reichspräsident Friedrich Ebert nutzte den „Vorwärts“ noch einmal als Forum. In der sechsten Extraausgabe des 9. November 1918 wandte er sich „an die deutschen Bürger“ und teilte ihnen mit: „Die neue Regierung wird eine Volksregierung sein. Ihr Bestreben wird sein müssen, dem deutschen Volke den Frieden schnellstens zu bringen und die Freiheit, die es errungen hat, zu befestigen.“
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Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.