Wie die SPD berufliche Bildung reformieren will
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Die SPD-Bundestagsfraktion hat ein Positionspapier zur beruflichen Bildung in der digitalen Arbeitswelt vorgelegt. Kommt die berufliche Bildung generell zu kurz?
Die Berufliche Bildung ist zu lange als zu selbstverständlich wahrgenommen worden. Die Sozialdemokratie steht für Bildungschancen für alle. Daher ist es wichtig, dass wir wieder mehr über Inhalte und Zielsetzungen in der gesamten Bildungskette reden und nicht nur über allgemeinbildende Schulen. Gerade das Berufsbildungssystem in Deutschland hat über Jahrzehnte hinweg eine enorm hohe Integrationskraft entfaltet. Breite Schichten der Bevölkerung haben dadurch einen Zugang zu einem erfolgreichen Erwerbsleben, guter Arbeit und Teilhabe an unserem Wohlstandsmodell. Daran müssen wir dringend festhalten. Denn ohne die starke Fachkräftesicherung wären wir auch wirtschaftlich nicht so erfolgreich.
Gleichzeitig fordern Sie im digitalen Wandel die gesamte Bildungspolitik und nicht nur die berufsbildenden Schulen in den Blick zu nehmen. Im Positionspapier ist von Bildungsketten die Rede. Wie ist das zu verstehen?
Wir dürfen den Transformationsprozess, in dem wir uns befinden, nicht alleine technisch verstehen. In diesem Wandel entstehen neue Geschäftsmodelle und Tätigkeitsfelder. Die technische Befähigung von Facharbeit ist wichtig. Aber das reicht nicht. Wir müssen auch soziale Kompetenz und individuelle Kreativität fördern. Auch Lernen zu lernen. Das kann nur funktionieren, wenn in der beruflichen Ausbildung neben dem Erwerb technischer und digitaler Fertigkeiten Menschen zusätzlich befähigt werden, sich mit dem Wandel und dem damit verbundenen Anpassungsdruck konstruktiv auseinandersetzen zu können. Wir werden ja nicht morgen plötzlich ganz viele neue Berufe haben. Vielmehr geht es um die Anpassung einzelner Tätigkeiten. Dafür müssen wir gute Grundlagen schaffen.
Was sind gute Grundlagen in diesem Sinn?
Das beginnt im Kindergarten, bedeutet aber vor allem auch eine gute Berufsorientierung zu sichern. Um zu sehen und zu verstehen, welche Möglichkeiten es gibt, braucht es mehr Praktika oder mehr interdisziplinäre Schulfächer. Schulen sollten mehr Freiheiten bekommen für Experimentierräume. Und das heißt dann auch, schon in der Ausbildung weitere Perspektiven aufzuzeigen: Kein Abschluss, ohne Anschluss. Eine vollwertige Ausbildung legt den Grundstein für ein erfolgreiches Berufsleben. Deswegen stellen wir uns auch klar gegen eine Schmalspurausbildung oder irgendwelche Teilqualifikation. Aber es muss auch klar sein, dass es nach der Erstausbildung weitergehen kann.
Viele Jugendliche scheitern am Übergang von der Schule in die Ausbildung. Könnten diese Maßnahmen unterstützend sein?
Im Übergangssystem haben wir vieles bereits verbessert, wie das Nachholen des Schulabschlusses und Berufsvorbereitungskurse. Aber das wird den Jugendlichen nicht immer gerecht. Denn dass, was man leichthin als Scheitern bezeichnet, ist in Wahrheit entweder ein Schulversagen oder ein Versagen auf dem Ausbildungsmarkt. Die Situation in Deutschland ist sehr unterschiedlich. Es gibt Regionen, die mehr Angebote als Bewerber*innen haben und umgekehrt. Dieses Passungsproblem kann man nicht lösen, indem man erwartet, dass ein junger Mensch zur Aufnahme einer Ausbildung aus Brandenburg mal eben nach Baden-Württemberg zieht, ohne dass sein Lebensunterhalt auch nur annähernd abgesichert ist. Also müssen wir dafür sorgen, dass es in den Regionen bessere Ausbildungsmöglichkeiten gibt. Wir müssen eine Ausbildungsgarantie einführen! Weitere Hindernisse sind aber auch Vorurteile in den Betrieben. Jugendliche mit Migrationshintergrund oder mit Beeinträchtigungen haben oft keine Chance auch nur zum Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden. Jugendberufsagenturen müssen noch mehr Unterstützungsangebote machen, Bewerber*innen und Betriebe zusammen zu bringen oder Jugendliche individuell zu fördern.
Die SPD will eine Ausbildungspflicht für Unternehmen. Wie soll das aussehen?
Wenn wir eine Ausbildungsgarantie aussprechen, womit jeder junge Mensch ein Recht auf eine vollwertige Ausbildung bekommen soll, kann das nur in Kooperation mit der Wirtschaft geschehen. Der Ausbau außenbetrieblicher Angebote soll kein Ersatz für eine betriebliche Ausbildung auf Dauer sein, sondern eine Brücke. Daher braucht es Kooperationsbetriebe, in denen trotzdem ein Teil der praktischen Ausbildung stattfindet. Gleichzeitig müssen wir der Wirtschaft deutlich machen, ihr seid in der Pflicht auszubilden! Und diese Pflicht setzt man praktisch um mit Umlage- oder Ausgleichsfonds. Entweder die Betriebe bilden selber aus oder gehen in Kooperation oder sie beteiligen sich an Ausbildungskosten, damit wenigstens andere Betriebe, die ausbilden, unterstützt werden. Der Schritt ist deshalb wichtig, weil wir inzwischen nur noch 20 Prozent Betriebe haben, die ausbilden. Dieser Lastenausgleich ist auch ein Gebot der Fairness zwischen den Betrieben.
Nun lässt sich in dualen Ausbildungen über gewerkschaftliche Vertretungen vieles ordnen, in sozialen oder gesundheitsorientierten Berufen allerdings nicht. Was muss sich hier ändern?
Ein Drittel der Schulabsolvent*innen, der einen beruflichen Ausbildungsweg geht, wählt eine schulische Ausbildung, wie in den Gesundheits- Erziehungs- und Sozialberufen üblich. Diese Ausbildungen fallen nicht unter das Berufsbildungsgesetz (BBiG), sondern unterliegen vielen landespolitischen Verordnungen. Mit dem Pflegeberufsgesetz haben wir endlich einen bundeseinheitlichen Rahmen gesetzt, was Inhalte und Qualität der Ausbildung betrifft. Wir haben auch endgültig das Schulgeld abgeschafft und stattdessen eine Ausbildungsvergütung eingeführt. Ich würde gerne diese Prinzipien aus dem BBiG auf alle schulischen Ausbildungsberufe übertragen. Nur mal als Beispiel: Für die Erzieher*innenausbildung gibt es bundesweit 64 verschiedene Verordnungen. Das schränkt auch die Freizügigkeit der Beschäftigten enorm ein, weil die verschiedenen Ausbildungen nicht in allen Bundesländern anerkannt werden. Deshalb brauchen wir dringend einen bundeseinheitlichen Rahmen.
Nun sind inzwischen alle Berufe durch den digitalen Wandel Veränderungen unterworfen. Wie gut sind Berufsschulen und Weiterbildungen in Deutschland darauf vorbereitet?
Das ist eine wichtige Zukunftsfrage. Mein Petitum heißt, kein Abschluss ohne Anschluss. Es muss für alle Berufe Fort- und Weiterbildungsentwicklungsstufen geben. Und das nicht irgendwie, sondern möglichst standardisiert und mit den Sozialpartnern verabredet. Für mich sollten in Zukunft auch die Berufsschulen eine viel größere Rolle spielen. Denn wenn ich den Lernort kenne, an dem auch eine weiterführende Qualifikation stattfinden könnte, werde ich weniger Hemmungen haben, mich der Aufgabe zu stellen.
Viele Menschen fühlen sich angesichts stetiger Veränderungen im Berufsleben und der Forderung nach lebenslangem Lernen überfordert. Was ist zu tun?
Es gibt drei Wege. Der erste ist das Lernen am Arbeitsplatz. Damit das nicht zufällig und möglichst gerecht läuft, braucht es eine gute Mitbestimmung. Die wurde gerade mit dem Betriebsräte-Modernisierungsgesetz gestärkt, indem Betriebsräte mehr Mitbestimmung bei betrieblicher Weiterbildung bekommen haben.
Für den zweiten Weg müssen wir Hürden bei der Bundesagentur für Arbeit abbauen. Ist jemand erwerbslos geworden oder von Arbeitslosigkeit bedroht, müssen Qualifizierungsmaßnahmen viel schneller ermöglicht werden. Und das bis hin zu einer geförderten echten zweiten Chance, also Erlernen eines zweiten Berufs. Das Arbeit-von-Morgen-Gesetz ist hierfür ein wichtiger Schritt in Richtung Arbeitsversicherung, der ausbaufähig ist.
Der dritte Weg ist das Erwachsenenbildungsgesetz in unserem Positionspapier. Damit wollen wir auch den individuellen Weg stärken und eine Weiterbildungskultur schaffen, die auf motivierende Faktoren setzt. Menschen sollen nicht nur auf äußeren Druck reagieren, weil der Arbeitgeber die Weiterbildung fordert oder weil sie arbeitslos geworden sind. Vielmehr sollen sie die Möglichkeit erhalten, nach einer Erstausbildung mindestens noch drei Jahre lang eine Fort- und Weiterbildung machen zu können, in der eine Grundsicherung garantiert wird.
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hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.
Berufliche Bildung
Die "Bildungskette" führt über DQR 6 (beruflich)/ oberhalb von ISCED655/ DQR 7 weiter bis zur 6 halbjährigen Fach-Schulausbildung. Diese rechtsfreie Bildungsebene befindet sich im Besoldungsbereich bis A13.
Die Verordnungsgeber im Bund und Ländern haben über das Statistische Bundesamt- Eurostat- UNESCO die sachgerechte gleichzeitige (redundante) Bildungsbewertung vermieden.