Helmut Schmidt: Als Kanzler respektiert, im Alter verehrt
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Einmal wurde Helmut Schmidt während eines Interviews gefragt: Wie sehen Sie Ihre Rolle in den Geschichtsbüchern? Die Antwort war typisch für ihn: „Das kann mir nicht wichtig sein, denn wenn es geschrieben wird, bin ich längst tot.“
Vielleicht hat es ihn trotzdem beschäftigt, dass er bei der Aufzählung der bedeutenden Kanzler meist fehlte. Da war in der Regel nur von Adenauer, Brandt und Kohl die Rede. Gerecht war das nicht. Denn der Mann, der nicht Kanzler werden wollte, in diese Rolle nur durch Willy Brandts Rücktritt geschoben wurde, hat das Land sicher durch die erste Wirtschaftskrise nach dem Krieg geführt. Er hat in den Zeiten des RAF-Terrors Mut und Konsequenz gezeigt und mit seinem Kabinett verhindert, dass die demokratische Substanz im Land angegriffen wurde. Und seine Rolle während der erbitterten Debatten um die Nachrüstung wird längst anders gesehen als in den späten 70er und frühen 80er Jahren. Vielleicht war die Stationierung der Pershing-Raketen doch die Voraussetzung für die bald darauf einsetzende Abrüstung in Ost- und Westeuropa?
Helmut Schmidt und der „Scheißkrieg“
Helmut Schmidt, der junge Offizier im Zweiten Weltkrieg, hat Kriege gehasst. „Die große Scheiße des Krieges“ sagte er immer wieder, wenn ihm Fragen zu seiner Zeit als Offizier gestellt wurden. Der Irakkrieg und Guantanamo waren für ihn „diese ekelhaften Dinge“. Als Herausgeber der „Zeit“ schrieb er einmal barsch: „Das nordatlantische Bündnis war und ist ein Verteidigungsbündnis, nicht etwa ein Bündnis zur Umgestaltung der Welt.“ Und zur neuen Rolle der Bundeswehr, zu den Einsätzen rund um den Globus, merkte er kritisch an: „Sie ist nicht darauf vorbereitet, irgendwo in Asien den Dorfrichter Adam zu spielen. Wie für so viele Menschen seiner Generation war für ihn der Krieg das lebensbestimmende Thema, Krieg zu verhindern war wohl sein wichtigster Antrieb in der Politik.
Von 1953 bis 1987 hatte Helmut Schmidt fast ununterbrochen ein Bundestagsmandat, unterbrochen nur durch die Zeit als Innensenator in Hamburg, wo er 1962 zum Helden der Flutkatastrophe wurde. Er war ein Berufspolitiker, der sein ganzes Leben der Politik untergeordnet hat. Und dennoch sagte er: „Jemand, der eine Karriere als Politiker plant, ist mir höchst suspekt. Das Wort suspekt heißt verdächtig. Jemand, der in die Politik geht, um Karriere zu machen, ist mir verdächtig. Jemand, der in die Politik geht, um Dinge, die ihn ärgern oder die er für veränderungsbedürftig hält, tatsächlich zu ändern, der ist mir willkommen. Aber jemand, der in die Politik geht, um selber etwas zu werden, mit dem möchte ich nicht so viel zu tun haben.“
Der Preis, den Helmut Schmidt, und mit ihm seine Frau Loki und seine Tochter, für dieses aufreibende Leben gezahlt hat, war hoch. Schon als Kanzler kämpfte er immer wieder mit Krankheiten. Er hatte mehrere Herzinfarkte, musste viele Jahrzehnte lang mit Herzschrittmachern leben. Die Verantwortung, die endlos langen Arbeitstage über Jahrzehnte, das alles hat seinen Tribut gefordert.
„Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt“
Am schlimmsten aber schien der leidenschaftliche Klavierspieler im Alter unter seinem schlechten Gehör zu leiden. Manchmal in Interviews, wirkte sein Gesicht ganz starr vor Konzentration auf die nächste Frage.
Anders als in seinen aktiven politischen Jahren schien er sich im Alter gerne befragen zu lassen. Und von Altersmilde war da nichts zu spüren. Kultstatus hatte lange die letzte Seite im „Zeit“-Magazin: „Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt.“ Dort redete er zum Vergnügen seiner Leser stets Klartext. Zum Beispiel über den Berufsstand der Investmentbanker: „Ich teile die Menschen in drei Kategorien ein: Zur ersten Kategorie gehören wir normalen Menschen, die irgendwann in ihrer Jugend mal Äpfel geklaut oder im Supermarkt einen Schokoriegel in die Tasche gesteckt, sonst aber nicht viel ausgefressen haben. Die zweite Kategorie von Menschen hat eine kleine kriminelle Ader. Und die dritte besteht aus Investmentbankern, bisher weitgehend legale Übeltäter.“
Acht Jahre als Bundeskanzler
Acht Jahre lang war Helmut Schmidt Bundeskanzler. Er wurde nicht abgewählt vom Volk, sondern im Herbst 1982 durch den Koalitionswechsel der FDP mitten in der Legislaturperiode gestürzt. So lange es seine Gesundheit erlaubte, reiste er, besonders gerne nach China, hielt Vorträge, schrieb Bücher, die viel gelesen wurden. Während seiner Jahre im Kanzleramt war er meist beliebter als seine Partei. Die tat sich oft schwer mit dem häufig ruppig auftretenden Regierungschef. Es gab Zeiten, in denen sich der Hamburger und seine Genossen nur wenig zu sagen hatten. Und doch hat er nie an seiner Entscheidung für die SPD, in die er gleich nach dem Krieg eintrat, gezweifelt. „Ich war schon in der richtigen Partei. Nur meine Partei, die hat sich manchmal geirrt.“
Helmut Schmidt wurde als Kanzler respektiert, in den Jahrzehnten danach von immer mehr Menschen verehrt. Selbst die ungeniert in aller Öffentlichkeit gerauchten Zigaretten verziehen ihm auch jene Zeitgenossen, die sonst eine Neigung zur Gesundheitspolizei hatten. Viele Umfragen zeigten, dass die Deutschen den Mann, um den es nie auch nur den Hauch eines Skandals gegeben hatte, als Kanzler gerne zurück gehabt hätten. Vermutlich hat er die Rolle als Mentor eines ganzen Landes genossen.
Einer seiner wenigen persönlichen Freunde, der einstige amerikanische Außenminister Henry Kissinger hat über ihn einmal gesagt: „Ich denke an ihn nicht als einen Deutschen. Er gehört für mich zu den Menschen, die über die Welt nachdenken.“
Der Text erschien am 10. November 2015.
(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.
Helmut Schmidt hatte Klasse, Niveau, Charakter und Stil.
Unerreicht seitdem - alle Nachfolger waren dagegen blass, machtbesessen und zu oft der Methode des Aussitzens zugeneigt - die CDU-Kanzler insbesondere. Auch er unterlag einigen Irrtümern, aber wer denn nicht? Im Nachhinein hat man es vorher gewusst. Seine Interviews lohnten auch bis ins hohe Alter immer das Anschauen und genaues Zuhören - besonders Fr. Maischberger hatte wohl einen guten Draht zu ihm und konnte hochinteressante Gespräche mit ihm hervorzaubern. Die Inkonisierung seiner Person ist berechtigt, die bei Älteren oft heute noch präsente hohe Meinung von ihm ist keine Verklärung, sondern Erinnerung an seine klare Positionierung seinerzeit. Die Geopolitische Lage war letztendlich auch nicht wesentlich einfacher, die Sowjetunion stand ja de facto wenige Kilometer östlich von Bad Hersfeld und die Nato war kleiner als heute.