Krise bei Volkswagen: „Standorte zu schließen kann keine Option sein“
Ende des Jahres läuft die Beschäftigungssicherung bei Volkswagen aus. Den Arbeitnehmer*innen drohen harte Einschnitte. Julia Retzlaff, arbeitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion in Niedersachsen, fordert vom Management eine Gesamtstrategie, um VW fit für die Zukunft zu machen.
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Blick auf das Markenhochhaus im Volkswagen-Stammwerk in Wolfsburg. VW hat angekündigt, den Sparkurs zu verschärfen.
Am Dienstag ließ die VW-Spitze eine weitere Bombe platzen: Der Wolfsburger Autobauer hat die seit 1994 geltende Beschäftigungssicherung aufgekündigt. Auch von weiteren Tarifverträgen hat sich das Management in einem Kündigungsschreiben an die IG Metall nun offiziell verabschiedet. Entsprechende Ankündigungen hatte Vorstandschef Oliver Blume in der vergangenen Woche gemacht und damit für Proteste in der Belegschaft gesorgt.
Die seit 1994 geltende Job-Garantie bei Europas größtem Autobauer läuft somit zum Jahresende aus. Betriebsbedingte Kündigungen rücken in greifbare Nähe. Einen solchen Schritt lehnt Julia Retzlaff, arbeitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion in Niedersachsen, entschieden ab. Anstatt die VW-Krise auf dem Rücken der Beschäftigten auszutragen, müsse der Konzern einen umfassenden Plan entwickeln, um das gegenwärtige Tal zu überwinden, sagt sie im Interview mit dem „vorwärts".
Was sollte Niedersachsens Landesregierung tun, um der Krise bei Volkswagen zu begegnen?
Wirtschaftsminister Olaf Lies hat deutlich gemacht, dass die Landesregierung an der Seite der Beschäftigten steht, dass Einsparungen nicht auf ihrem Rücken ausgetragen werden dürfen und dass VW eine klare Zukunftsstrategie braucht. Standorte zu schließen und Fachkräfte freizusetzen kann keine Option sein. Das wäre sehr kurzsichtig.
Die Landesregierung hat viele Dinge angestoßen, um die Rahmenbedingungen der Autoindustrie und den Weg zur E-Mobilität in Niedersachsen zu ebnen. Wir bauen die Erneuerbaren Energien, die Stromnetze und die Ladeinfrastruktur für E-Autos aus und werden das konsequent fortsetzen.
Die Beschäftigungsgarantie bei VW ist nun Geschichte. Wie können auch weiterhin möglichst viele Jobs erhalten werden?
Die bislang vom VW-Management angekündigten Sparmaßnahmen zielen allein auf die Arbeitskosten ab. Stellen zu streichen ist neben Werksschließungen und Tarifeinschnitten eine von drei Maßnahmen, die VW genannt hat, um die Unternehmensziele zu erreichen. Die Krise allein auf dem Rücken der Beschäftigten zu bekämpfen ist schlichtweg ein Unding.
Vorstand, Unternehmensleitung, Gewerkschaft und Betriebsrat müssen zügig in gute und vertrauensvolle Gespräche einsteigen. Es braucht eine tragfähige Gesamtstrategie, um Volkswagen zukunftsfähig aufzustellen. Betriebsbedingte Kündigungen müssen vermieden und Kosteneinsparungen im Personalbereich – so wie bisher auch – sozialverträglich aufgefangen werden, etwa über die Altersteilzeit.
IG-Metall-Chefin Christiane Benner hat die Rückkehr zur Vier-Tage-Woche ins Spiel gebracht, um Jobs bei VW zu sichern. Wäre das eine Option?
Aus meiner Sicht wäre das eine sinnvolle mögliche Option. Vor 30 Jahren steckte das Unternehmen ebenfalls in großen Schwierigkeiten. Damals hat sich die Vier-Tage-Woche bewährt. Zwischen Konzernführung und Belegschaft gab es eine große Einigkeit, den Konzern gemeinsam aus der Krise zu führen.
Julia Retzlaff
Die Rückkehr zur Vier-Tage-Woche wäre eine sinnvolle mögliche Option
Anstatt beim Personal zu sparen, fordert die Gesamtbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo einen „strategischen Befreiungsschlag“ für VW. Damit ist unter anderem gemeint, die Produktpalette anzupassen und Prozesse zu optimieren. Ist das der richtige Weg?
Ja, auf jeden Fall. Um VW besser aufzustellen, reichen übereilte Vorschläge, die einseitig die Beschäftigten belasten, nicht aus. Dafür braucht es eine klare Orientierung für die Zukunft und eine Gesamtstrategie. Um die hohen Kosten zu senken, muss der Konzern sich auch die Produkte anschauen, sich weiter auf die E-Mobilität ausrichten und sich fragen, was die Werke in Niedersachsen dazu beitragen können. Wir stehen als SPD-Fraktion hinter jedem einzelnen Standort im Land.
VW hat im vergangenen Jahr einen Rekordgewinn eingefahren. Trotzdem fordert der Vorstand harte Einschnitte. Wie passt das zusammen?
Das ist ein generelles Problem des Weltkonzerns: Aktiengesellschaften arbeiten renditeorientiert. So funktioniert der Kapitalismus. Um VW fit für die Zukunft zu machen, muss die Konzernführung aber klären, welche Renditen angesichts der notwendigen zukunftssicheren Neuaufstellung des Konzerns realistisch sind. Dieser Punkt muss Thema bei künftigen Gesprächen und Verhandlungen sein.
Die „Braunschweiger Gruppe“ in der SPD-Fraktion macht sich dafür stark, dass Fraktion und Landesregierung gemeinsam mit der Konzernführung und dem Betriebsrat an einem Turnaround bei VW arbeiten. Welche Eckpunkte wären hierfür zwingend?
Die Konzernführung muss den Dialog mit Gewerkschaft und Belegschaft suchen. Die Politik kann das unterstützen.
Die Unternehmensleitung muss einen Plan vorlegen, welche Formen von Transformation es bei VW braucht und welchen Fokus die einzelnen Werke künftig haben sollen. Am Standort Braunschweig hat man das bereits vorgemacht, indem die Produktion erfolgreich auf Batteriesysteme umgestellt wurde.
Die CDU fordert, dass Ministerpräsident Stephan Weil und seine Stellvertreterin Julia Willie Hamburg ihre Verantwortung im VW-Aufsichtsrat „endlich wahrnehmen“. Was halten Sie von diesem Vorstoß?
Ich finde ihn sehr populistisch. Stephan Weil hat erklärt, dass sich für ihn die Frage der Aufkündigung der Beschäftigungssicherung und Werksschließungen nicht stellt, weil andere Optionen ziehen müssen. Kein anderer hat eine klarere Vorstellung davon, wie man VW gut durch die Krise führt als er.
Welche parlamentarischen Initiativen plant die SPD-Fraktion zum Thema VW?
Noch vor der Sommerpause haben wir einen Antrag eingebracht, der weitere Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die Automobilwirtschaft fordert. Es ist denkbar, ihn vor der finalen Abstimmung zu ergänzen, beispielsweise um eine Bundesratsinitiative zur Wiedereinführung der Kaufprämie für E-Autos.
Demnach unterstützen Sie Stephan Weils Forderung nach einer Wiedereinführung der Kaufprämie für E-Autos?
Ja. Das kann aber nur einer von vielen Schritten sein. Es braucht nochmal ein klares Bekenntnis aus Berlin zur E-Mobilität, der Rahmen für diese Zukunftstechnologie und den Industriestandort Deutschland muss verbessert werden.
Dabei gehört die gesamte Energiepreispolitik auf den Prüfstand. Ein gedeckelter Industriestrompreis wäre sinnvoll. Oder auch ein geringerer Mehrwertsteuersatz für Strom und geringere Kosten für Ladestrom aus öffentlichen Säulen. Denn wenn Menschen ihr E-Auto an ihre privaten Anschluss hängen, ist das deutlich günstiger als an öffentlichen Ladesäulen. Aber nicht jeder kann sich privat eine Wallbox montieren, daher muss auch die öffentliche Ladeinfrastruktur weiter konsequent ausgebaut werden.
Hinweis der Redaktion: Das Gespräch wurde kurz vor der offiziellen Aufkündigung der Beschäftigungsgarantie und anderer Tarifvereinbarungen durch den VW-Konzern geführt.
ganz meine Meinung, wir sollten Nägel mit Köpfen machen, und den
Konzern verstaatlichen, dann sind auch die Arbeitnehmerrechte in guten Händen