Preis der SPD-Fraktion: Wie Otto Wels junge Menschen inspiriert
Michael Romacker
Wenn die Bundestagsabgeordneten der SPD zu einer Fraktionssitzung zusammenkommen, müssen sie an 120 Namen vorbeigehen. Sie stehen am Eingang zum Fraktionssitzungssaal. 94 der Namen gehören zu den SPD-Abgeordneten, die am 23. März 1933 im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz der Nazis stimmten. Die andere 26 Mitglieder der Fraktion saßen da bereits in „Schutzhaft“ oder waren auf der Flucht.
„Es gab immer wieder Chancen für die Demokratie.“
An zwei der damaligen SPD-Abgeordneten erinnert Rolf Mützenich am Mittwochabend. Der eine, Max Richter, war zum Zeitpunkt der Abstimmung bereits im Konzentrationslager Neuengamme inhaftiert. Er starb in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs auf der „Cap Arcona“. Die andere, Louise Schroeder, nahm an der Abstimmung teil, obwohl sie nicht wusste, was danach mit ihr geschehen würde. „Keiner darf fernbleiben. Ich gehe hinüber, auch wenn sie mich in Stücke reißen“, zitiert Mützenich die von Schroeder überlieferten Worte von kurz vor der Abstimmung.
„Es gibt keine Vorbestimmung in der Geschichte“, sagt Mützenich. Genauso wenig gebe es eine lineare Verbindung zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 und der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933. „Es gab immer wieder Chancen für die Demokratie“, betont Mützenich. Entscheidend sei, dass es auch Menschen gebe, die für die Demokratie einstehen.
Ein Kurzfilm und eine Social-Media-Kampagne
Einer von ihnen war Otto Wels. Auch sein Name steht am Eingang des Sitzungssaals der SPD-Fraktion. Der Saal ist heute sogar nach Wels benannt. Am 23. März 1933 schleuderte er Hitler im Reichstag die berühmt gewordenen Worte „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“ entgegen. Als die Nazis an die Macht kamen, war Wels nicht nur Vorsitzender der SPD, sondern auch deren Reichstagsfraktion – und damit ein Vorgänger Mützenichs, der seit 2019 die SPD-Bundestagsfraktion führt.
Die vergibt seit 2013 einen Preis, der nach Otto Wels benannt ist. Ausgezeichnet werden Initiativen oder Personen, die sich für die Demokratie einsetzen. Das Preisgeld finanzieren die SPD-Abgeordneten. Am Mittwoch werden gleich vier Projekte geehrt. Den ersten Platz teilen sich Max Schröter und Henrik Wieditz aus Wiesloch mit der 18-jährigen Leticia Gorka aus Dinslaken. Während Gorka eine Social-Media-Kampagne zum Thema „Demokratie & Rechtsbewusstsein“ entwarf, drehten Schröter und Wieditz einen Kurzfilm, in dem sie u.a. historische Audio-Aufnahmen von Nazi-Reden mit aktuellen Zitaten der AfD zusammenschnitten.
Was Otto Wels heute gesagt hätte
Auf dem zweiten Platz landete eine Schüler*innengruppe der Clemens-Brentano-Europaschule in Lollar (Hessen) um Kristin Sturtz, Sofie Holstein und Walid Nasso. Sie komponierten das Lied „Wie had it all“ in deutscher, englischer und türkischer Sprache und drehten ein passendes Musikvideo dazu. „Eine Botschaft, die alle Demokraten verstehen“, wie Laudator Shahak Shapira lobt. Der dritte Platz ging an den 17-jährigen Konrad Kißling aus Michelstadt in Hessen. Er hatte eine Rede im Stil von Otto Wels für das Jahr 2023 geschrieben.
Die Erstplatzierten Max Schröter und Henrik Wieditz nutzen ihre Dankesworte schließlich für einen Appell. „Lasst uns solidarisch mit allen Antifaschisten sein, die sich täglich für unsere Demokratie einsetzen“, sagen sie. „Auf dass es keinen zweiten Otto Wels mehr braucht.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.