Geschichte

Toni Pfülf: „Sie wollte, dass die Menschen für die Demokratie kämpfen“

Florian von Brunn ist Vorsitzender der bayerischen SPD – und Urgroßneffe von Toni Pülf. Im Interview sagt er, wie seine Vorfahrin unter der Herrschaft der Nazis gelitten hat. Und welche Rolle sie noch heute für die SPD spielt.
von Kai Doering · 8. Juni 2023
Florin von Brunn und seine Urgroßtante Toni Pfülf: Es ist schon eine Ehre, jemanden wie sie in der Familie zu haben.
Florin von Brunn und seine Urgroßtante Toni Pfülf: Es ist schon eine Ehre, jemanden wie sie in der Familie zu haben.

Welche Bedeutung hat Toni Pfülf für die SPD?

Toni Pfülf ist eine der starken Frauen, die die SPD im Kaiserreich und dann in der Weimarer Republik mitgeprägt haben. Sie war eine ganz entschiedene Kämpferin gegen die Rechtsradikalen und den aufkommenden Nationalsozialismus. Darüber hinaus hat sich Toni Pfülf aber auch immer für die Gleichstellung der Frauen eingesetzt und für eine soziale Schule, die allen Kindern dieselben Chancen ermöglicht.

Was ist ihr größtes Verdienst als Politikerin?

Das Hervorstechendste ist sicher, dass sie eine der 94 SPD-Abgeordneten war, die gegen das Ermächtigungsgesetz der Nazis gestimmt haben. Toni Pülf war aber auch eine bedeutende Vorkämpferin für Frauenrechte, angefangen in der eigenen Familie: Toni Pfülf kam aus einer bürgerlichen Offiziersfamilie. Sie hat sich gegen ihre Eltern durchgesetzt, um einen Beruf zu ergreifen. Das war in bürgerlichen Familien damals keineswegs selbstverständlich. Auch der SPD ist sie gegen den Willen ihrer Eltern beigetreten, was zum Bruch mit der Familie geführt hat. Toni Pfülf hat sich in einer Zeit, in der das für Frauen sehr schwierig war, freigekämpft und ist mutig und hartnäckig ihren eigenen Weg gegangen. Dieser Kampf hat ihr gesamtes Leben geprägt. Während der Revolution 1918 hat sie sich den Zugang zu einem Arbeiter- und Soldatenrat erzwungen, weil sie wollte, dass auch Frauen dort eine Rolle spielen.

„Mutig“ und „hartnäckig“ – sind das Begriffe, die Toni Pfülf am besten charakterisieren?

Ja, aber gleichzeitig war sie wohl auch sehr sensibel. Sie hat deshalb auch sehr unter der sich immer weiter verschärfenden Situation mit den Nazis gelitten, was am Ende auch zu ihrem Freitod geführt hat. Toni Pfülf hat es nicht verwinden können, wenn nicht hartnäckig für Grundsätze und Prinzipien gekämpft wurde. Dafür hat sie auch in der SPD gestritten.

Toni Pfülf hat zwei Selbstmordversuche unternommen. War es das Gefühl der Ausweglosigkeit, das sie in den Freitod getrieben hat?

Toni Pfülf hat keinen anderen Weg gesehen. Sie wollte einen noch entschlosseneren Kampf der SPD und der Gewerkschaften gegen die aufkommenden Nazis. Sie wollte entschlossenen Widerstand, zum Beispiel gegen den Preußenschlag im Jahr 1932. Nach der Machtübergabe durch die herrschenden konservativen Kreise an Hitler im Januar 1933 ist Toni Pfülf vehement dafür eingetreten, dass es einen Generalstreik gibt. Sie wollte, dass die Menschen für die Demokratie auf der Straße kämpfen. Dass es dazu nicht gekommen ist, hat sie sehr getroffen.

Während Namen wie Otto Wels, Kurt Schumacher und Marie Juchacz auch heute noch den meisten Sozialdemokraten etwas sagen, ist Toni Pfülf nur wenigen bekannt. Woran liegt das?

Anders als die Genannten war Toni Pfülf einfache Reichstagsabgeordnete und hatte keine herausragenden Partei-Funktionen. Trotzdem hat sie eine spannende Lebensgeschichte, die viel bekannter sein sollte, nicht nur in der SPD. Bisher gab es auch noch niemanden, der über sie eine umfassendere Biografie geschrieben hat. Da gibt es noch eine Lücke in der historischen Forschung.

Seit 2013 verleiht die bayerische SPD zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen alle zwei Jahre den Toni-Pfülf-Preis an Frauen, die sich für andere Frauen einsetzen. Wie ist es dazu gekommen?

Den Preis gibt es eigentlich schon seit 1988. Die bayerische SPD wollte damals damit zeigen, dass es in der Partei nicht nur bedeutende Männer gegeben hat, sondern auch sehr wichtige Frauen. Leider ist die Verleihung des Preises irgendwann eingeschlafen. Seit 2013 verleihen wir ihn nun wieder regelmäßig alle zwei Jahre.

Sie sind der Urgroßneffe von Toni Pfülf. Wie wurde und wird bei Ihnen in der Familie an Toni Pfülf erinnert?

Als ich 1990 in die SPD eingetreten bin, wusste ich noch nichts von Toni Pfülf. Die Männer in der Familie haben eigentlich immer nur von den männlichen Vorfahren erzählt, zum Beispiel über Ärzte oder Offiziere. Vor etlichen Jahren hat dann meine Tante darauf hingewiesen, dass wir eine Sozialdemokratin in der Familie haben, die sich sehr für die Rechte von Frauen eingesetzt hat und sogar im Reichstag war. Daraufhin haben meine Kinder und ich angefangen, uns intensiver mit Toni Pfülf zu beschäftigen und viel Interessantes erfahren. Es ist schon eine Ehre, jemanden wie sie in der Familie zu haben.

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