Der „Preußenschlag“: Staatsstreich von Rechts in der Weimarer Republik
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Als am Vormittag des 20. Juli 1932 Reichskanzler Franz von Papen die Amtsenthebung der preußischen Landesregierung verkündete, war das keine große Überraschung mehr: Schon Tage zuvor hatte es entsprechende Gerüchte gegeben. Die rechtskonservative und nur vom Reichspräsidenten Paul von Hindenburg abhängige Papen-Regierung nutzte die Chance, Staat und Verwaltung im größten deutschen Flächenland im autoritären Sinne umzubauen. Der Staatsstreich gegen Preußen war ein Schlag gegen die dort immer noch regierende „Weimarer Koalition“ aus SPD, Linksliberalismus und katholischer Zentrumspartei.
Amtsenthoben wurden aber nicht nur die Minister der genannten Parteien, sondern auch ein Großteil des leitenden Verwaltungspersonals in Preußen, soweit sie ausgeprägte Demokraten waren. Von der „Säuberung“ betroffen waren drei Oberpräsidenten, fünf Regierungspräsidenten, 30 Landräte und ungefähr zwei Drittel aller aus der SPD stammenden Polizeipräsidenten. 12 Jahre Demokratisierung und Republikanisierung des größten deutschen Landes fanden so mit einem Schlag ein Ende. An den Schalthebeln in Preußen saßen jetzt Rechtskonservative, die im Zuge der „Reichsexekution“ als Reichskommissare die Regierungsgeschäfte übernahmen. Reichskanzler von Papen übernahm als Reichskommissar auch das Amt des preußischen Ministerpräsidenten.
Staatsstreich mit fadenscheinigem Anlass
Die bisherige preußische Staatsregierung unter Führung Otto Brauns (SPD) wollte diesen Staatsstreich nicht auf sich beruhen lassen, zumal der von Papen vorgebrachte Anlass mehr als fadenscheinig war: Die bisherige Preußen-Regierung habe auf dem Feld der inneren Sicherheit versagt, weil blutige Ausschreitungen zwischen NSDAP und KPD im damaligen preußischen Altona nicht verhindert worden seien.
Ganz wesentlich dazu beigetragen hatte aber von Papen selbst, als seine Regierung die wegen blutiger Ausschreitungen berüchtigte NS-Bürgerkriegsarmee SA erst im Juni wieder legalisiert hatte. Brauns abgesetzte Regierung zog vor den Staatsgerichtshof in Leipzig, um das Vorgehen der Reichsregierung anzufechten. Heraus kam im Herbst 1932 ein eher zwiespältiges Urteil: Die Absetzung der Regierung Braun sei zwar verfassungswidrig gewesen, doch die Einsetzung eines Reichskommissars für Preußen durchaus legitim, soweit sie nicht zu stark in die Befugnisse der bestehenden Landesregierung eingriff. Nach dem Richterspruch existierten nun zwei preußische Regierungen: Die Regierung Braun konnte Preußen z.B. wieder in der Länderkammer, dem Reichsrat, vertreten, die Reichskommissare übten jedoch in den Ministerien die entscheidende Gewalt aus.
Teile der sozialdemokratischen Anhängerschaft hatten sich indes schon am 20. Juli 1932 die Frage gestellt, ob die Preußenregierung und die SPD, aber auch freie Gewerkschaften und das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold mehr als nur juristischen Widerspruch hätten wagen sollen. Vielleicht Protestaktionen und einen Generalstreik – so wie gegen den Kapp-Putsch im März 1920? Die ältere bundesdeutsche Geschichtsschreibung und die der DDR hatten das mehr oder weniger bejaht. Hagen Schulze und Heinrich August Winkler wiesen dagegen seit den späten 1970er Jahren vermehrt auf die Risiken einer solchen Alternative hin. Wobei auch sie nicht in Abrede stellten, dass es gerade jüngere Teile der SPD-Anhängerschaft gab, die aktivistisch gestimmt waren und angesichts eines ausbleibenden Widerstands auch verzweifelt.
SPD wollte Bürgerkrieg vermeiden
Fest steht: Die SPD war zutiefst legalistisch geprägt, sie war die Gründungspartei der Weimarer Republik. Was sie auf keinen Fall wollte, war ein Bürgerkrieg. Der stand mit der Verhängung des militärischen Ausnahmezustands durch die Papen-Regierung im Raum. Die Führungen von SPD und freien Gewerkschaften sahen auch aus diesem Grund von Widerstand ab und vertrösteten die Anhängerschaft auf die nahen Reichstagswahlen am 31. Juli 1932, die nicht gefährdet werden dürften.
Als Kardinalproblem erwies sich aber der Umstand, dass die preußische Regierung seit den letzten Landtagswahlen im April 1932 über keine parlamentarische Mehrheit mehr verfügte und nur noch geschäftsführend amtierte. Die NSDAP lag nun deutlich vor der SPD. Zu allem Überfluss war der langjährige preußische Ministerpräsident Braun seit Juni 1932 amtsmüde und krank. Selbst Innenminister Carl Severing (SPD) erwies sich in den entscheidenden Stunden alles andere als kämpferisch. Und über das Streikangebot der KPD ließ sich kaum ernsthaft diskutieren: Wie sollte ein Schulterschluss mit einer Partei gelingen, die kurz vor dem 20. Juli die Stoßrichtung gegen die als „Sozialfaschisten“ denunzierten Sozialdemokraten verstärkt und im Jahr zuvor einen Volksentscheid gegen die Landesregierung initiiert hatte, den die NSDAP nach Kräften unterstützte? Und dann noch in einer wirtschaftlich desolaten Situation mit extrem hoher Erwerbslosigkeit?
Sehr viele Faktoren sprachen also eher gegen einen anderen Weg als den der juristischen Anfechtung. Und doch wirkte die rein juristische Infragestellung des Staatstreichs auf weite Teile der Basis der SPD eher ernüchternd und demoralisierend. Die politischen Gegenkräfte der Weimarer Demokratie, Rechtskonservative und Nationalsozialisten, aber waren mit dem autoritären Umbau von Staat und Gesellschaft einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Der totalitäre Umbau erfolgte dann unter Federführung der NSDAP ab Januar 1933 – und zwar im ganzen Reich.
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Mike Schmeitzner ist Historiker und apl. Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der TU Dresden sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarimusforschung. Er gehört dem Geschichtsforum beim SPD-Parteivorstand an.