Otto Wels: ein Leben für Freiheit und Gerechtigkeit – und die SPD
Am 15. September 1939 stirbt Otto Wels in Paris. Berühmt wird der SPD-Politiker mit einer Rede, die er im März 1933 im Reichstag hält.
Der 9. November 1918 gilt gemeinhin als „deutscher Schicksalstag“. Dass der „Vorwärts“ an diesem Tag eine herausragende Rolle spielen würde, ist am frühen Morgen nicht zu ahnen. Seit sieben Uhr tagen in den Räumen an der Lindenstraße die Betriebsvertrauensleute der SPD und diskutieren über einen Aufruf zum Generalstreik.
„Deutscher Schicksalstag“: 9. November 1918
Während der Sitzung erscheinen schwer bewaffnete Soldaten und fordern, dass ein Vertreter der Partei zu ihnen in die Kaserne komme und vor den Mannschaften einen Lagebericht abgebe. Otto Wels begleitet die bewaffnete Abordnung und fährt in die Alexanderkaserne, wo die als besonders kaisertreu geltenden Naumburger Jäger Quartier genommen haben. Nach einigen vorsichtigen Vorbemerkungen nimmt Wels all seinen Mut zusammen und ruft aus: „Es ist eure Pflicht, den Bürgerkrieg zu verhindern! Ich rufe euch zu: Ein Hoch auf den freien Volksstaat!“. Damit hat er die Soldaten auf seiner Seite.
Ermuntert durch diesen Erfolg zieht Otto Wels durch alle Kasernen der Berliner Garnison und überzeugt die Soldaten, sich an die Seite der sozialen Republik zu stellen. Mit insgesamt neun Extraausgaben berichtet der „Vorwärts“ über die Abdankung des Kaisers, die Bildung eines Soldatenrates und die Ernennung Friedrich Eberts zum Reichskanzler. Otto Wels ist der stille Held dieses umwälzenden Tages, da es ihm gelungen ist, Ruhe unter den Soldaten zu bewahren, ein Blutvergießen unter der Zivilbevölkerung zu verhindern und die Machtverhältnisse zugunsten der Sozialdemokratie zu verändern.
Sohn eines Gastwirts
Vor dem 9. November ist Otto Wels außerhalb der Partei ein unbeschriebenes Blatt. Selbst im alten Reichstag, dem er seit 1912 als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Kalau-Luckau angehört, macht Wels nicht von sich reden. Otto Wels ist ein Mann des Parteiapparats, der es nach einer für seine Zeit typischen Laufbahn bis in den Parteivorstand geschafft hat.
Geboren wird er am 15. September 1873 in Berlin als Sohn eines Gastwirts, in dessen Lokal auch August Bebel und Wilhelm Liebknecht verkehren. Nach dem Besuch der Volksschule absolviert er eine Lehre als Tapezierer; nach deren Abschluss tritt er 1891 in den Verband der Tapezierer und in die SPD ein. Bis 1906 arbeitet Otto Wels — mit Ausnahme eines zweijährigen Militärdienstes — als Tapezierer in Regensburg, München und Berlin. 1907 beginnt seine Parteikarriere. Er wird zum Bezirkssekretär der SPD für die Provinz Brandenburg ernannt und wird Mitglied der Pressekommission des „Vorwärts“.
Parlamentarische Demokratie oder Räterepublik?
Otto Wels rechnet sich in jenen Jahren zu den Radikalen innerhalb der Partei. Rosa Luxemburg und vor allem August Bebel setzen große Hoffnungen in den gar nicht mehr so jungen Mann. Bebel schlägt Otto Wels für den Parteivorstand vor, in den dieser nach dem Tod des großen Vorsitzenden auf dem Parteitag im Juni 1913 gewählt wird. Gleichzeitig übernimmt Wels den Vorsitz der Pressekommission des „Vorwärts“, den er als Zentralorgan der Partei unbedingt erhalten will.
Als im Frühjahr 1916 der SPD-Vorsitzende Hugo Haase und 17 weitere Abgeordnete gegen einen Kriegsnotetat stimmen und die „Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft“ bilden, stellt sich der „Vorwärts“, unterstützt von der Berliner Parteiorganisation, hinter die neue Gruppierung. Diesen Schwenk vollzieht Otto Wels nicht. Er ist und bleibt ein loyaler Parteiarbeiter. Gemeinsam mit dem späteren Reichskanzler Hermann Müller sorgt er im Parteivorstand dafür, dass sich Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann voll auf die parlamentarische Arbeit konzentrieren können.
Am Tag nach dem 9. November 1918 übernimmt Otto Wels für kurze Zeit das einzige öffentliche Amt seiner politischen Karriere. Die Versammlung der Arbeiter- und Soldatenräte wählt ihn zum Stadtkommandanten von Berlin. Ein Frage beherrscht die Vorweihnachtswochen: Wird Deutschland eine parlamentarische Demokratie oder eine Räterepublik?
Die Auseinandersetzungen werden nicht nur in Zeitungen und Flugblättern ausgetragen, sondern auch in blutigen Straßenkämpfen. Zum Schutz der jungen Republik lässt Otto Wels die Volksmarinedivision aus Kiel kommen, deren Soldaten sich jedoch — vorgeblich wegen ausstehenden Soldes — radikalisieren und schließlich das Schloss besetzen. Im Zuge der so genannten Weihnachtskämpfe wird Otto Wels am 23. Dezember von den Aufständischen als Geisel gefangengenommen, geschlagen und mit dem Tode bedroht. Am Tag darauf wird er frei gelassen unter der Bedingung, den Posten des Stadtkommandanten abzugeben.
Ab Juni 1919 SPD-Parteichef
Otto Wels konzentriert sich in den anschließenden Wochen auf die Vorbereitung der Wahlen zur Nationalversammlung, die für den 19. Januar 1919 angesetzt sind. Wels wird Mitglied der verfassunggebenden Versammlung und erlebt am 11. Februar im Nationaltheater in Weimar, wie Friedrich Ebert zum vorläufigen Reichspräsidenten gewählt wird. Diese Wahl stellt die SPD vor ein Problem, denn Ebert kann nicht gleichzeitig Präsident und Parteivorsitzender sein.
Interimistisch werden Hermann Müller und Otto Wels am 24. März mit der Leitung der SPD beauftragt. Auf dem ersten Parteitag nach der November-Revolution werden beide im Juni 1919 in Weimar zu Vorsitzenden der SPD gewählt. Müller übernimmt die Repräsentation der Partei und der leicht cholerische Otto Wels, von manchen Zeitgenossen spöttisch-ironisch als „Diktator“ bezeichnet, bleibt zuständig für die innerparteiliche Organisation.
Erster rechtsradikaler Angriff auf Weimarer Republik abgewehrt
Im Januar 1920 gerät die junge deutsche Republik in eine ernste Krise. Nach dem Inkrafttreten des Versailler Friedensvertrages muss die deutsche Armee auf eine Stärke von 100.000 Mann reduziert werden. Am 29. Februar verkündet Reichswehrminister Gustav Noske die Auflösung der Marinebrigade Ehrhard und stößt damit den Aufstand der Freikorps an, auf die er sich lange gestützt hatte. Die Freikorps unter Führung des Generals Walter von Lüttwitz putschen am 13. März. Reichspräsident Ebert und Teile der Regierung flüchten.
Otto Wels bleibt in Berlin und organisiert den Widerstand. Für den Parteivorstand unterzeichnet er den Aufruf zum Generalstreik, in dem es in Wels’scher Diktion heißt: „Kein Betrieb darf laufen, solange die Militärdiktatur der Ludendorffe herrscht! Deshalb legt die Arbeit nieder! Streikt! Schneidet dieser reaktionären Clique die Luft ab!“ Nach 100 Stunden ist der erste rechtsradikale Angriff auf die Republik abgewehrt. Otto Wels überzeugt Friedrich Ebert, seinen Reichswehrminister zu entlassen und wird in der Folge von der Reichstagsfraktion als neuer Minister vorgeschlagen. Aber er will nicht Minister werden. Wels fühlt sich in der Partei besser aufgehoben.
23. März 1933: letzte freie Rede im Reichstag
Dass die große SPD zunehmend an Bedeutung verliert, weil sie weniger agiert als reagiert, kann Otto Wels alleine nicht verhindern, aber er gibt sich Mühe, aufrecht zu bleiben und Gesicht zu wahren. Nach der Machtübertragung am 30. Januar 1933 wird er von vielen Freunden gedrängt, ins Ausland zu fliehen. Aber Wels bleibt standhaft und besteht darauf, die Erklärung der Reichstagsfraktion gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz selbst abzugeben. „Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus“, erklärt Wels am 23. März 1933 in der letzten freien Rede des Reichstages.
Anfang Mai 1933 wird Otto Wels vom Parteivorstand zunächst ins französische Saarland und dann nach Prag geschickt, um von dort aus den Kampf gegen Nazi-Deutschland zu leiten. Schwer krank muss Wels noch einmal flüchten. Nach der Annektion des Sudentenlandes konstituiert sich der Parteivorstand 1938 in Paris. Dort stirbt der viel zu häufig falsch eingeschätzte Parteivorsitzende am 16. September 1939. Sein Vermächtnis bleibt: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“
Otto Wels
Die rede vom 23.3.1933 in allen Ehren.
Der Artikel mufft aber und ist einseitig.
"Hugo Haase und 17 weitere Abgeordnete gegen einen Kriegsnotetat stimmen und die „Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft“ (später USPD) bilden". Zuvor waren diese Abgeordneten aus der SPD-Fraktion ausgeschlossen worden.
Die Revolution im November verlief friedlich, blutig wurde es est als manche aus der ASPD-Führungsriege, darunter auch Wels, sich mit Monarchisten und Militaristen verbündeten.