23. März 1933: Was die SPD heute aus Otto Wels' Rede lernen kann
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„Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ – Unvergessen ist dieses Zitat aus der Rede von Otto Wels am 23. März 1933. Formal war es die Begründung für die Ablehnung des „Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich“, dessen Tragweite sich damals viele nicht bewusst waren. In die Geschichte eingegangen sind diese Worte jedoch als Teil der letzten freien Rede im Deutschen Reichstag. Vor 90 Jahren, am 23. März 1933, stimmte der Reichstag in der Kroll-Oper mit großer Mehrheit dem Ermächtigungsgesetz zu und beseitigte damit das letzte Hindernis auf dem Weg zur NS-Diktatur. Viele Oppositionelle waren bereits inhaftiert oder zur Emigration gezwungen, die anwesenden SPD-Abgeordneten wurden direkt bedroht, hielten aber an ihrer Ablehnung fest.
Entscheidender Akt zur Zerstörung der Weimarer Republik
Die Worte und die damit verbundene Haltung von Otto Wels und seinen Fraktionskolleg*innen, die alle an diesem Tag Haft, Folter oder Flucht vor Augen hatten, sind ein Kristallisationspunkt deutscher Geschichte. Die Konstruktionsfehler der Weimarer Republik, die Unfähigkeit der demokratischen Kräfte, eine Brandmauer gegen rechts zu errichten, und der Mut derer, die den Parlamentarismus bis zuletzt verteidigten – all das ist in diesen knapp acht Minuten enthalten.
Die Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes war ein weiterer, wenn auch entscheidender Akt im Kontext der Zerstörung der Weimarer Republik. Vorausgegangen waren die Juliwahlen 1932, zahlreiche Notverordnungen, der Terror der Nationalsozialisten gegen politische Gegner und der Reichstagsbrand, der das nur noch selten tagende Parlament in die Krolloper zwang. Ganz zu schweigen von den zahllosen Angriffen auf Parteien, Gewerkschaften und Kirchen, denen man sich täglich zu erwehren hatte. Die dort Engagierten wurden politisch kaltgestellt, verfolgt, in Gefängnisse verschleppt, aus dem Land getrieben, ermordet.
Der besondere Mut mahnt zur Wachsamkeit
Für Demokrat*innen, zuallererst für Sozialdemokrat*innen, ist der besondere Mut der 94 anwesenden SPD-Abgeordneten bis heute nicht nur Grund zum Gedenken, sondern zugleich Mahnung zur Wachsamkeit. Und gerade heute zeigen die Worte Einiger, denen vielerorts bereits Taten gefolgt sind, dass wir uns bereits wieder in einem Abwehrkampf der Demokratie gegen ihre Feind*innen befinden. Zwar müssen wir in Deutschland nicht um Leib und Leben fürchten, wenn wir unsere Meinung sagen, aber es gibt viele Menschen in unserem Land, die schon heute spüren, dass ihnen Hass entgegenschlägt aufgrund ihres Aussehens, ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung. Die Anschläge von Halle, Hanau und Hamburg sind schreckliche Terrorakte, die auf rechtsextremistischem oder menschenfeindlichem Gedankengut beruhen.
Es braucht daher weiterhin mutige und aufrechte Sozialdemokrat*innen, die sich dem politischen Extremismus entgegenstellen und sich für eine lebendige Demokratie einsetzen. Das gilt auf allen Ebenen. Es braucht Innenminister*innen, die dafür sorgen, dass es keine Waffen in Händen von Extremist*innen gibt. Es braucht Abgeordnete, die mit einem klugen Demokratiefördergesetz die Zivilgesellschaft stärken. Es braucht Kommunalpolitiker*innen, die sich nicht von der AfD vorführen lassen, sondern umgekehrt. Es braucht engagierte Streiter*innen, die sich rechtsextremen Veranstaltungen in den Weg stellen und ihren Protest deutlich machen.
Das Erbe von Otto Wels in guten Händen
Die SPD tut das und zeigt damit, dass die parlamentarische Demokratie für uns bis heute keine Selbstverständlichkeit ist, sondern tagtäglich gelebt wird. Wir zeigen, dass das Erbe von Otto Wels in guten Händen ist, denn schließlich hat er gesagt: „Uns“ kann man Freiheit und Ehre nicht nehmen, und damit meinte er jedes einzelne Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
ist Inneminister von Thüringen und stellvertretender Ministerpräsident. Außerdem ist er Landesvorsitzender der SPD in Thüringen und Mitglied des SPD-Parteivorstands.